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Katherine Hayles
»Fleisch und Metall: Rekonfiguration des Geistkörpers in virtuellen Environments (1)«

Fleisch und Metall: Rekonfiguration des Geistkörpers in virtuellen Environments

In meinem neuesten Buch »How We Became Posthuman« (»Wie wir posthuman geworden sind«) habe ich mich bemüht, die Cartesianische Geist-Körper-Spaltung zu vermeiden. Deshalb unterschied ich zwischen Körper und Verkörperung. Ich schlug vor, dass der Körper ein abstraktes Konzept sei, das immer kulturell konstruiert ist. Egal wie man ihn sich vorstellt, der ›Körper‹ generalisiert ausgehend von einer Gruppe von Beispielen und verfehlt in diesem Sinne stets den spezifischen Körper einer Person, der notwendigerweise in größerem oder kleinerem Ausmaß von der kulturell konstruierten Norm abweicht. Am anderen Ende des Spektrums liegen unsere Erfahrungen von Verkörperung. Während diese Erfahrungen zwar auch kulturell konstruiert sind, sind sie es doch nicht zur Gänze, denn sie entstehen aus den komplexen Interaktionen zwischen dem bewussten Geist und den physiologischen Strukturen, die aus Jahrtausenden biologischer Evolution (2) entstanden sind. Der Körper ist die menschliche Form von aussen gesehen, aus einer kulturellen Perspektive, die danach strebt, Repräsentationen anzufertigen, die für Körper im Allgemeinen stehen können. Verkörperung wird von innen erfahren, von den Gefühlen und Empfindungen, welche die dynamische Textur unseres Lebens ausmachen.
Dieses Essay geht über die Position hinaus, die gegen Ende von »How We Became Posthuman« artikuliert wurde, wo ich argumentierte, dass das Ausradieren der Verkörperung, welches für die Geschichte der Kybernetik so charakteristisch ist, nicht wieder durchgespielt werden sollte, wenn wir uns in Richtung jener techno-wissenschaftlichen Formationen bewegen, die ich das Posthumane nenne. Anstatt dualistisch mit Körper und Verkörperung zu beginnen, schlage ich vor, den Fokus auf die Idee der Relation zu richten und sie als den dynamischen Fluss zu postulieren, aus dem sowohl der Körper wie auch Verkörperung hervorgehen. Indem ich Entitäten sehe, die aus spezifischen Arten von Interaktion hervorgehen, bin ich in der Lage, sie nicht als statische Objekte zu sehen, die bereits im Voraus codiert und bewertet sind, sondern vielmehr als die sichtbaren Ergebnisse des dynamischen Fortlaufens des Flusses, welches in sich weder gut noch schlecht sein kann, weil es vor diesen Bewertungen liegt und als Quelle von allem dient, das meine wahrgenommene Welt bevölkert, inklusive meines Körpers und meiner Erfahrungen von Verkörperung. (3)
Mit Relationen statt mit bereits existierenden Entitäten zu beginnen, ändert alles. Es ermöglicht uns zu sehen, dass verkörperte Erfahrung nicht nur aus dem komplexen Wechselspiel zwischen Hirn und inneren Organen hervorgeht, das Antonio Damasio in »Descartes’ Error« [Descartes’ Irrtum] so zwingend beschreibt, sondern auch aus dem beständigen Engagement unserer verkörperten Interaktionen mit der Umgebung. Abstrakte Ideen des Körpers gehen ebensosehr aus dem Wechselspiel zwischen vorherrschenden kulturellen Formationen und den Glaubenssätzen, Beobachtungen und Erfahrungen hervor, die in einer gegebenen Gesellschaft als empirische Beweise zählen. In dieser Sichtweise sind Verkörperung und der Körper emergente Phänomene, die aus dem dynamischen Fluss entstehen, welchen wir analytisch zu verstehen suchen, indem wir ihn in Konzepte wie Biologie und Kultur, Evolution und Technologie aufschlüsseln. Diese Kategorien kommen jedoch immer nach den Tatsachen, die aus einem Fluss hervorgehen, der zu komplex, interaktiv und holistisch ist, als dass er als das Ding an sich ergriffen werden könnte. Um diese emergente Qualität von Körper und Verkörperung zu bezeichnen, übernehme ich den von Mark Hansen vorgeschlagenen Begriff für eine ähnliche Einheit: Geistkörper. (4)
Während das Studium anatomischer Lehrbücher über die Jahrhunderte hinweg bestätigen wird, dass die Vorstellungen vom Körper sich ändern so wie die Kultur sich ändert, ist es weniger offensichtlich, dass auch unsere Erfahrungen von Verkörperung sich ändern. (5) Wenn man sich weigert, der Verkörperung einen Status vor der Relation einzuräumen, dann öffnet dies die Möglichkeit, dass Veränderungen in der Umwelt (welche ihrerseits aus systemischen und organisierten Veränderungen im Fluss hervorgehen) mit Veränderungen in der Verkörperung zutiefst verbunden sind. Das Leben in einer technologisch gestalteten und informationsreichen Umwelt bringt eine Verschiebung in Gewohnheiten, Haltungen, Verhaltensweisen und Wahrnehmungen mit sich – kurz, Veränderungen in den Erfahrungen, welche die dynamische Lebenswelt konstituieren, welche wir als vekörperte Kreaturen bewohnen. Eine bestimmte Geschichte über diese Veränderungen – eine Geschichte, gegen die ich zutiefst Widerstand leisten möchte – erzählt sie als das, was Donna Haraway eine maskulinistische Phantasie zweiter Geburt nennt, eine transzendente Vereinigung des Menschlichen und des Technologischen, die uns in die Lage versetzen wird, unser Bewusstsein auf Computer runterzuladen und als körperlose Informationsmuster zu leben, um so den Schwächen des menschlichen Körpers und insbesondere der Sterblichkeit zu entkommen. (6) Mein Widerwillen gegen diese Geschichte ist so intensiv, dass ich mich davor hüten muss, mich von ihr blind machen zu lassen gegenüber den Arten und Weisen, wie verkörperte Erfahrungen sich durch Interaktionen mit informationsreichen Umwelten verändern.
Welche Arten der Veränderung bringen diese Verschiebungen in der verkörperten Erfahrung mit sich? Man denke zunächst an die Macht der Gewohnheit in der Gestaltung verkörperter Reaktionen, insbesondere der Propriozeption, jenem inneren Sinn, der uns das Gefühl gibt, dass wir unsere Körper ›besetzen‹ statt nur besitzen. Computerspieler bezeugen ihre Empfindung, dass sie ihren propriozeptiven Sinn in den simulierten Raum der Spielwelt projizieren. Sie betonen sogar eloquent, dass diese Art der Projektion für einen guten Spieler absolut erforderlich ist. Ihre Körpergrenzen sind mit den technologischen Angeboten so ineinandergeflossen, dass sie den Joystick als eine unbewusste Erweiterung der Hand empfinden. Ein verwandtes Set von Veränderungen betrifft die verschiedenen Arten und Weisen, in denen ihre Nervenstrukturen sich als Ergebnis ihrer extensiven Interaktionen mit dieser Technologie entwickelt haben. Von den Gattungen auf der Erde gehören Menschen zu denen mit der längsten Periode der Neotonie, was die Fähigkeit des Nervensystems, sich nach der Geburt zu verändern und zu entwickeln zumindest ins Jugendalter ausdehnt. Die Flexibilität des menschlichen Nervensystems macht die Bildung neuer Synapsenverbindungen in Reaktion auf verkörperte Interaktionen möglich. Das impliziert, dass ein Jugendlicher, der in einem mittelalterlichen Dorf im Frankreich des 12. Jahrhunderts aufwuchs, buchstäblich andere Nervenverbindungen hätte als ein amerikanischer Jugendlicher des 21. Jahrhunderts, der viel Zeit mit Computerspielen verbracht hat.
Zusätzlich zu diesen technologischen Veränderungen gibt es dann auch stärkere Eingriffe, welche das Biologische mit dem Technologischen verbinden. Sandro Mussa-Ivaldi und sein Forschungsteam an der Northwestern University haben erfolgreich Teile des Hirns eines Neunauges entfernt, es in einem Bad von Nährlösung am Leben erhalten und dann mit Drähten verbunden, um elektrische Signale von den optischen Sensoren eines beweglichen Roboters in das Vestibularsystem des Neunauges zu bringen, also in den Teil des Hirns, der es mit der Oben/Unten-Orientierung im Wasser zu tun hat. Das körperlose Hirn interpretiert anscheinend die Signale des Roboters als Anzeichen einer gewissen Orientierung im Wasser und schickt Signale zurück, welche den Roboter sich zum Licht hin bewegen lassen (so die häufigste Reaktion), weg vom Licht, in einem Kreis oder einer Spirale. (7) Diese Verschmelzung zwischen einem biologischen Organismus und einem kybernetischen Gerät ist so auffällig, dass »Cyborg« ein zu harmloser Begriff scheint, um sie zu beschreiben.
Während die Anzahl von Menschen, die Implantate haben, in der nahen Zukunft wahrscheinlich gering bleibt, werden weitaus mehr von der fortgesetzten Entwicklung und Erweiterung der allesdurchdringenden Computerbenutzung betroffen sein. Die Idee ist es, unzählige Sensoren und kleine Computer in die Umwelt einzulagern, die fähig sind, Informationen zu sammeln, zu verarbeiten, zu speichern und zu übertragen. Die Entwicklung von smarten Umwelten macht die Argumente des Philosophen Andy Clark und des Anthropologen Edwin Hutchins noch überzeugender, dass Kognition nicht so gesehen werden sollte, als finde sie allein im Hirn statt. In ihrer Sichtweise ist Kognition vielmehr eine systemische Aktivität, die in der gesamten Umwelt, in der Menschen sich bewegen und arbeiten, verteilt ist. Clark argumentiert sogar, dass es schon immer das Unterscheidungsmerkmal von Menschen gewesen sei, Objekte in ihre kognitiven Systeme aufzunehmen und dadurch eine verteilte Funktionalität zu erschaffen, welche er den »erweiterten Geist« nennt. (8) Wir sind Cyborgs, schrieb er in einem neueren Artikel, »nicht in dem bloss oberflächlichen Sinn einer Kombination von Fleisch und Drähten, sondern in dem tieferen Sinn von Mensch-Technologie-Symbioten: Denk- und Verstandessysteme, deren Geist und Selbst über das biologische Hirn und nicht-biologische Schaltkreise ausgebreitet ist.« (9) Indem er zwar bemerkt, dass der »erweiterte Geist« eine Strategie so alt wie die Menschheit ist, macht er doch darauf aufmerksam, dass die Verbindung von Technologie mit Biologie eine »kognitive Maschinerie« erschaffen hat, die »jetzt intrinsisch auf Transformation, technologie-basierte Expansion und repräsentatives Wachstum ausgerichtet ist«. Obwohl relativ kleine Veränderungen im menschlichen Hirn ausreichend sein mögen, um uns zur »symbolischen Gattung« zu machen, wie Terrence Deacon die Menschen nennt, haben diese graduellen Veränderungen uns nun »auf die andere Seite einer steilen Klippe im kognitiv-architekturalen Raum« katapultiert (»Natural Born Cyborgs?«).
Entlang ähnlicher Denkbahnen argumentiert Edwin Hutchins, dass Kognitionswissenschaftler einen fundamentalen Fehler machten, als sie Kognition im Hirn lokalisierten und dann versuchten, diese Kognition nach dem Modell künstlicher Intelligenz zu modellieren. (10) Sie hätten stattdessen erkennen sollen, dass Kognition eine systemische Aktivität ist, die in der ganzen Umwelt verteilt ist und durch eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure ausgelöst werden kann, von denen nur einige menschlich sind. In seiner Sichtweise ist es nicht bloss eine Metapher, wenn man das Ziehen einer Linie auf einer Navigationskarte Erinnern und das Ausradieren einer Linie Vergessen nennt, denn wenn diese Objekte ein Teil unseres erweiterten Geistes sind, dann sind Zeichnen und Ausradieren in der Tat dem Erinnern und Vergessen funktional äquivalent. Das Modell des erweiterten Geistes zeigt an, wie sich kulturelle Wahrnehmungen in Bezug auf die Entwicklung von informationsreichen Umwelten verändern. Anstelle des Cartesischen Subjektes, das beginnt, indem es sich von seiner Umwelt abschneidet und seine denkende Präsenz als das eine Ding visualisiert, das es nicht bezweifeln kann, weiss der Mensch, der die informationsreichen Umwelten der zeitgenössischen technologischen Gesellschaften bewohnt, dass die dynamischen und fluktuierenden Grenzen ihrer (11) verkörperten Kognitionen sich in Bezug auf andere Kognitionsagenten entwickeln, die in die ganze Umgebung eingebaut sind und unter denen die mächtigsten intelligente Maschinen sind.
In diesen Sichtweisen wird die Auswirkung von Informationstechnologien auf den Geistkörper immer als zweiseitige Relation verstanden, als Rückkoppelungsschleife zwischen biologisch entwickelten Fähigkeiten und einer reich konstruierten technologischen Umwelt. Solche Rückkoppelungsschleifen mögen vielleicht neue Levels von Intensität erreichen, da unsere Umwelten smarter und informationsreicher werden, aber die zugrundeliegende Dynamik ist so alt wie die Menschheit. Um auf »The Symbolic Species« zurückzukommen übernehme ich Deacons Punkt, dass die Evolution der Sprache zwar die Struktur des menschlichen Hirns verändert hat, dass aber die Struktur des menschlichen Hirns auch die Evolution der Sprache beeinflusst hat. Um die Wichtigkeit dieser Relationalität zu betonen, schlägt er vor, dass wir uns »Sprache als eine unabhängige Lebensform vorstellen, die menschliche Hirne kolonisiert und parasitiert, um sie zur Reproduktion zu nutzen«. (12)
Mein Argument impliziert weiterhin, dass diese koevolutionären Dynamiken nicht nur abstrakte Thesen sind, die der bewusste Geist begreift, sondern auch emergente dynamische Prozesse, die durch Interaktionen mit der Umwelt ausgelöst werden. Und hier besteht ein Problem. Insbesondere in Zeiten rapider technologischer Innovation bestehen viele Lücken und Diskontinuitäten zwischen abstrakten Konzepten des Körpers, den Erfahrungen von Verkörperung und den dynamischen Interaktionen mit dem Fluss, dessen akkulturierte Ausdrücke sie sind. Die Umwelt verändert sich, und der Fluss verschiebt sich auf korrelierte systemische und organisierte Weisen, aber es braucht Zeit, Gedanken und Erfahrung, damit diese Veränderungen im Geistkörper registriert werden. Diese Lücken zu überbrücken und diese Diskontinuitäten zu verbinden ist die Aufgabe, welche die drei Kunstwerke in virtueller Realität unternommen haben, die hier diskutiert werden: »Traces« [Spuren] von Simon Penny und seinen Mitarbeitern, »Einstein’s Brain« [Einsteins Gehirn] von Alan Dunning, Paul Woodrow und ihren Mitarbeitern und »NØTime« [Keine Zeit] von Victoria Vesna und ihren Mitarbeitern. Wenn Kunst uns nicht nur lehrt, unsere Erfahrungen auf neue Weise zu verstehen, sondern tatsächlich die Erfahrung selbst verändert, dann engagieren diese Kunstwerke uns auf Weisen, welche das Entstehen von Vorstellungen vom Körper und von Erfahrungen von Verkörperung aus unseren Interaktionen mit zunehmend informationsreichen Umwelten lebendig und real machen. Sie lehren uns, was es heisst, im besten Sinne posthuman zu sein, wobei der Geistkörper als emergentes Phänomen erfahren wird, das in dynamischer Interaktion mit dem ungreifbaren Fluss kreiert wird, aus dem auch die kognitiven Agenten entstehen, die wir intelligente Maschinen nennen. Zentral ist für alle drei Kunstwerke das Engagement, den Körper und Verkörperung relational zu verstehen, als Prozesse, die aus komplexen rekursiven Interaktionen entstehen, nicht als bereits existierende Entitäten. Weil Relationalität durch viele verschiedene Linsen gesehen werden kann, habe ich diese Werke gewählt, die die Betonung auf verschiedene Modi von Relation legen. »Traces« rückt die Relation des Geistkörpers zur unmittelbaren Umgebung in den Vordergrund, indem es auf robuste Bewegungen in einer dreidimensionalen Umwelt fokussiert; »Einstein’s Brain« rückt Wahrnehmung als Relation zwischen Geistkörper und Welt in den Vordergrund, welche den Fluss für uns als eine gelebte Realität zur Existenz bringt; und »NØTime« betont Relationalität als kulturelle Konstruktion.
Bereits 1994 sprach Simon Penny vom Wunsch, vom üblichen Modell Virtueller Realität abzuweichen, welches seiner Einschätzung nach »auf unbekümmerte Weise eine Geist/Körper-Spaltung verdinglicht, die ihrem Wesen nach patriarchal und ein Paradigma des Sehens ist, welches phallisch, kolonialisierend und panoptisch ist«. (13) In »Traces« schuf Penny zusammen mit seinen Mitarbeitern Jeffrey Smith, Phoebe Sengers, Andre Bernhardt und Jamieson Shulte ein interaktives Kunstwerk, welches darauf angelegt war, den Körper stärker in den virtuellen Raum einzubringen. Sie schlagen vor, ein »nicht behinderndes Sensorsystem« zu bauen, »welches den gesamten Körper der Benutzerin modelliert«. (14) Sie arbeiteten mit einer dreidimensionalen CAVE-Umwelt, die simulierte visuelle Bilder auf vier Oberflächen (drei Wänden und dem Boden) wie auch in den Brillen der Benutzerin zeigte, und implementierten ein visuelles Spurfindungssystem, welches das Körpervolumen der Benutzerin berechnet, indem es seine Bewegung in Raum und Zeit mit Hilfe von dreidimensionalen Würfeln modelliert, die »Voxels« genannt werden (volumetrische Einheiten, deren Name in Analogie zu zweidimensionalen Pixels gebildet wurde). Aus dieser Berechnung erzeugen sie ›Spuren‹, simulierte Bilder von volumetrischen Rückständen, die hinter dem gerenderten Modell des Körpers der Benutzerin herziehen und sich mit der Zeit allmählich auflösen, während fortgesetzte Bewegung neue Spuren erzeugt, die sich ihrerseits ebenfalls auflösen.
Das Avatar-Interface ist, in Pennys Terminologie, dazu entworfen, ›autopädagogisch‹ zu sein und der Benutzerin beizubringen, wie sie mit ihm im Laufe der Evolution durch die drei Phasen von Passiver Spur, Aktiver Spur und Verhaltensspur umzugehen hat. Er und seine Mitarbeiter machen darauf aufmerksam, dass die »Traces«-Simulation, wenn man sie als Avatar betrachtet, einen Mittelbereich einnimmt zwischen Avataren, welche die Bewegung der Benutzerin spiegeln, und autonomen Agenten, die sich unabhängig von ihren menschlichen Gesprächspartnern verhalten. Indem der »Spur«-Avatar sich vom Spiegeln der Aktionen der Benutzerin zu selbständigen Verhaltensweisen transformiert, stellt er ein Grenzland dar, in dem die Grenzen des Selbst in die unmittelbare Umwelt diffundieren und dann zu unabhängigen Agenten ausdifferenzieren. Diese Performance, die von der Benutzerin visuell und auch kinaesthetisch registriert wird, indem sie sich energetisch innerhalb des Raumes bewegt, um die Entitäten der Aktiven und der Verhaltensspur zu generieren, macht lebendig und klar, dass die simulierten Entitäten, die sie »ihren Körper« und die »Spur« nennt, emergente Phänomene sind, die aus ihren dynamischen und kreativen Interationen entstehen.
In seiner Form, Konstruktion und Funktionalität bezeugt »Traces« die Relationalität, welche es zugleich für die Benutzerin aufführt. Weit entfernt von der Phantasie körperloser Information und transzendenter Unsterblichkeit, spricht »Traces« von den spielerischen und kreativen Möglichkeiten eines Körpers mit verschwommenen Grenzen, von Erfahrungen von Verkörperung, die sich mit der Zeit transformieren und entwickeln, von Verbindungen mit intelligenten Maschinen, welche die Mensch/Maschine-Grenze als wechselseitiges Entstehen inszenieren, und von der Freude, die aufkommt, wenn wir verstehen, dass wir nicht vom Fluss isoliert sind, sondern unsere Geistkörper durch tiefe und beständige Kommunion mit ihm darstellen.
Relation als Wahrnehmung
Das Projekt »Einstein’s Brain« ist seit fünf Jahren im Prozess und hat in verschiedenen Installationen unterschiedliche Formen angenommen, aber eine gemeinsame Idee vereint die einzelnen Manifestationen. (15) Der Titel weist auf die Tatsache hin, dass das Hirn als fetischisiertes physisches Objekt isoliert von der Welt betrachet unmöglich den Reichtum menschlicher Erfahrung erklären kann. Die Künstler sind dem Verständnis verpflichtet, dass die Welt konsensueller Realität nicht in irgendeinem Sinn ›dort draussen‹ in den Formen existiert, in denen wir sie wahrnehmen. Vielmehr ist die Welt, die wir kennen, eine aktive und dynamische Konstruktion, die aus unseren Interaktionen mit dem Fluss entsteht.
Sie positionieren ihre Arbeit bewusst und reflektiert in Opposition zur Nutzung von Virtueller Realität durch das Militär und die Konzerne, welche beständig auf immer größeren Realismus abzielen. Sie machen darauf aufmerksam, dass der Effekt, wenn die Illusionen virtueller Realität mit dem Ziel einer nahtlosen Reproduktion der ›realen‹ Welt konstruiert werden, ob gewollt oder nicht, darin besteht, existierende Strukturen von Autorität und Herrschaft zu verstärken. Im Gegensatz dazu verstehen Dunning und Woodrow Simulationstechnologien als absichtlich unvollkommen, um klarzustellen, dass ihre Konstruktionen nicht als »Realitätsmaschinen« zu verstehen sind, die »mit der Erzeugung einer Realität verbunden sind, sondern als Mittel, ein Bewusstsein zu erreichen, welches seinerseits eine Realität formt« (»Einstein’s Brain«, S.7).
Um der Herrschaft eines »von Ausdruck, Symbol oder Metapher leeren Realismus«, der »von den Autoritäten der Honogeneität und Nahtlosigkeit aufrechterhalten wird«, in der VR Widerstand zu leisten (»Einstein’s Brain«, S.1), erschaffen Dunning und Woodrow eine »kraniale Landschaft«, in der symbolische und semiotische Markierungen mit der Landschaft der Erfahrung verschmelzen (»Einstein’s Brain« S.5). […] Die Inspiration für die kraniale Landschaft kommt teilweise aus »Carte du tender«, Madeleine de Scudèrys romantischer narrativer Landkarte von 1654, in der auf eine Landschaft Namen geschrieben werden, welche das vorhersehbare Aufflammen und Abkühlen einer Liebesaffaire anzeigen. Dunning und Woodrow eignen sich den Namen einer dieser Schauplätze, den »Wald der Vokale«, an und erschaffen eine semiotisch markierte Landschaft, die für die Benutzerin als eine verhandelbare Oberfläche und ebenso als eine sich verändernde Landmasse existiert, die mit den Reaktionen der Benutzerin verbunden ist, welche durch Lesen ihrer Hirnwellen und anderer physiologischer Indikatoren registriert werden.
»Wir und andere Künstler verschieben unsere Aufmerksamkeit weg von einer greifbaren, überwiegend körperlichen Welt hin zu einer zunehmend schlüpfrigen, sich entziehenden und immateriellen. Geist und Materie, die sich im kognitiven Körper kombinieren, sind interdependent. Die Welt, die wir bewohnen, ist im Fluss und besteht aus zunehmend komplexen Verknüpfungen und Interaktionen. In dieser Welt gibt es keine festen Objekte, keine unveränderlichen Kontexte. Es gibt nur koexistente, ineinander eingebettete Vielfältigkeiten« (»Einstein’s Brain«, S.8). Sie haben die Absicht, dass ihre Kunst Engagements darstellt, welche die Tatsache lebendig und real machen, dass alles in unserer Welt, inklusive (oder vielmehr: insbesondere) der menschliche Geistkörper, exakt aus unserer Relation mit dem geschehenden Fluss entsteht.
Diese Ideen und Strategien kommen in der Installation zusammen, die im September 2001 in der TechnOboro Gallerie in Montreal eröffnet werden soll und die im April 2001 als Prototyp auf der Digital Arts Conference an der Brown University ausgestellt wurde, wo ich sie sah. Das zentrale Stück der Installation ist der ALIBI, das »anatomisch lebensnahe interaktive biologische Interface«, ein anatomisch korrektes, lebensgroßes Modell des menschlichen Körpers, das mit einer Vielzahl unterschiedlicher Sensoren vollgestopft ist, inklusive Theramin-Proximitäts-Sensoren, Tast-Sensoren, Aroma-Schnüfflern, Druck-Sensoren, Klang-Sensoren und Kohlendioxid-Sensoren. Teilnehmer tragen Brillen, die so arrangiert werden können, dass sie nur die simulierte Welt zeigen oder (indem man die Blenden vom Linsenbereich entfernt) die Szene in eine »gemischte Realität« konvertieren, in der sowohl die Simulation wie auch der reale Raum sichtbar sind. Sie sind so in der Lage, zugleich die Projektion virtueller Realität und den künstlich-faktischen Körper zu sehen, der auf einem leichten Tisch im Zentrum des Raumes liegt. Der Körper wurde aus dem Abguss eines männlichen Modells hergestellt und mit thermochromischer Farbe angemalt, die als ein liebliches Dunkelblau erscheint, wenn sie kühl ist, aber weiss wird, wenn sie durch Berührung angewärmt wird, und wieder blau wird, wenn dieser Bereich auf Umgebungstemperatur abkühlt. Teilnehmer können mit dem Körper interagieren, indem sie ihn an Hüften, Bauch, Beinen usw. berühren, ihm ins Ohr flüstern oder gar in den Mund atmen. Wenn diese Interaktionen von dem System wahrgenommen werden, aktivieren und ändern sie die simulierten Welten, die in den Brillen bildlich vorgestellt werden. Der blaue Körper agiert so als ein Navigationsinterface und öffnet Portale zu einer Vielzahl verschiedener simulierter Welten, wenn die entsprechenden Körpergegenden berührt, massiert oder auf andere Weise manipuliert werden. Eine Benutzerin trägt einen Helm, der in der Lage ist, ihre elektroenzephalische Aktivität zu registrieren, inklusive Alpha-, Beta-, Theta- und Delta-Hirnwellen. Diese Daten werden zusammen mit anderen biologischen Daten, die von der Benutzerin abgenommen wurden, wie etwa Blutdruck, Pulsfrequenz und galvanische Hautreaktion, in die Simulation eingespeist. Die Daten lösen eine Performance von simulierten Bildern aus, wobei Sonnenexplosionen, Polygone und Lichtblitze in Reaktion auf die Reaktionen der Benutzerin erscheinen. Zudem werden die Amplitude und Frequenz der Hirnwellen der Benutzerin zu MIDI-Dateien konvertiert und dazu benutzt, eine Klanglandschaft für die Simulation zu erschaffen, die als akkustische Transformation ihrer gegenwärtigen physiologischen Reaktionen dient.
Der aus meiner Sicht auffälligste Teil der Installation sind die Rückkoppelungsschleifen zwischen den Reaktionen der Benutzerin, ihren Interaktionen mit dem künstlich-faktischen Körper und der Produktion der simulierten Welt. Stellen Sie sich den Schauplatz vor. Sie sind in einem anfänglichen Hirnzustand, der Bilder und Klänge in der simulierten Welt, die Sie sehen, generiert. Während Sie diese Darstellungen betrachten, beginnen Sie, den Körper an seinen empfindsamen Stellen zu berühren, wodurch Sie Portale in andere simulierte Welten öffnen, was neue Reaktionen in Ihnen auslöst, die wiederum in die Simulation zurückgespeist werden, um sie zu verändern, was Sie dazu veranlasst, den Körper auf andere Weise berühren zu wollen, was weitere Veränderungen der simulierten Bilder und Klänge bedeutet, die ihrerseits weitere Reaktionen von Ihnen generieren. Die Schleife ist endlos und unendlich faszinierend, da sie, wie die Autoren sagen, ein »einziges intelligentes symbiotisches System« bildet. (16) »Der Körper verschwindet, weil er auf sich selbst gewendet wird. Die Ich-Grenze ist nicht mehr der Punkt, an dem der Körper im Bezug auf eine externe Umwelt anfängt und aufhört, sondern er ist vielmehr … das Ende der Welt selbst« (»Einstein’s Brain« S.5).
Relationalität ist hier der relevante Punkt an einem Geistkörper, der sich selbst durch seine spielerischen und intensiven Interaktionen mit sich entwickelnden virtuellen Welten verwirklicht, welche in der Sichtweise dieser Künstler unsere Wahrnehmungen der realen Welt ebenso beinhalten wie auch unsere Erfahrungen der simulierten. In diesem Sinn ist jegliche menschliche Erfahrung eine »gemischte Realität«, die aus einer anderen Art verblüffender Helligkeit entsteht, in der Technologie, die Welt und menschliche Verkörperung alle eine Rolle spielen.
Relation als Akkulturierung
Victoria Vesna erdachte »NØTime« [Keine Zeit] ursprünglich als Reaktion auf die verbreitete postmoderne Lage, keine Zeit zu haben. Ihre spielerisch paradoxe Idee bestand darin, Avatare zu kreieren, die Teile unseres Lebens übernehmen und für uns leben könnten, während wir damit beschäftigt sind, andere Dinge zu tun. Als das Projekt sich entwickelte, nahm die Idee von kollaborativen Interaktionen, die zusammen eine ›Person‹ oder ein ›Leben‹ kreieren, eine etwas andere Wendung und fokussierte auf eine ineinander eingebettete Serie von Relationen zwischen dem Lokalen und dem Fernen, dem Individuellen und dem Kollektiven, dem Benachbarten und dem Verteilten, dem Unmittelbaren und dem Langfristigen. Wie mit »Traces« und »Einstein’s Brain« besteht der Effekt darin, einen Raum intensiver Interaktion und Rückkoppelung zu erschaffen, in dem das Subjekt sich erlebt als etwas, das aus relationaler Dynamik entsteht, statt als vorgegebenes und statisches Selbst zu existieren.
Das Kunstwerk besteht aus einem verteilten kognitiven System, darunter eine physische Installation in einem Gallerieraum und eine Fernkomponente, die über das Internet ausgespielt wird. Wenn die Besucherin sich im Zentrum der Installation aufstellt, fungiert die durchscheinende Abdeckung wie ein Grenzland zwischen Innen und Aussen, denn es erzeugt ein Gefühl der Einschließung, während es zugleich Formen und Klänge durch das Tuch hindurch wahrnehmen lässt. (17) Auf der Wand ist eine Projektion, welche die Namen der Teilnehmerinnen aufblitzen lässt, die zuvor in »NØTime« ›Körper‹ erschaffen haben. Wenn die Besucherin einen Namen sieht, den sie erkennt oder mag, geht sie einen Schritt nach vorne, und der ›Körper‹, der dem Namen korrespondiert, wird auf der anderen Wand gezeigt.
Wie Penny, Dunning und Woodrow ist auch Vesna der Tendenz zu immer größerem Realismus in der VR des Militärs und der Konzerne gegenüber kritisch. Statt an dieser Tendenz durch das Erschaffen eines anthropomorphischen Avatars teilzunehmen, zieht Vesna es vor, mit realistischer Repräsentation zu brechen und den Informations-/Energie-›Körper‹ als Tetraeder zu visualisieren, der anfänglich aus den sechs Linien und vier Ecken besteht, die nötig sind, um die tetraedrische Gestalt zu umreissen. Der Tetraeder, so erklären es Botschaften, die auf der Wand aufblitzen, wird deshalb privilegiert, weil er von allen Polygonen den größten Widerstand gegen eine gegebene Last hat. Wenn die Last die kritische Toleranzschwelle überschreitet, wird der Tetraeder nicht verbeult oder verbogen wie andere polyedrische Strukturen. Der Tetraeder stülpt sich vielmehr nach aussen, was ihn »einzigartig macht, weil er nämlich sein eigenes Doppel ist«. Sie haben auch einen Bezug zur tetraedrischen Gestalt der Kohlenstoffstereochemie, wodurch der Tetraeder die essentielle Gestalt für jegliches kohlenstoffbasiertes Leben auf der Erde ist. Die sechs Kanten des Tetraeders nennt Vesna »Intervalle« und assoziiert sie mit den für das menschliche Leben essentiellen Komponenten wie sie im indischen Chakrasystem identifiziert werden.
Die Ecken werden ebenfalls benannt, aber hier konzentriert sich das Benennungssystem auf die kulturellen Konstruktionen, die Richard Dawkins »Meme« nannte, das heisst, Ideen, Teile von Liedern und andere Konzepte, die sich rapide durch die Kultur verbreiten und als Ideenviren agieren, welche Menschen als ihre konzeptionellen Replikationssysteme benutzen, so wie es, Dawkins Vision zufolge, das »selbstbezogene Gen« durch den physischen Körper tut. (18) Wenn der Körper fertig ist, wird er mit einer dreidimensionalen Klanglandschaft korreliert, durch welche eine anwesende Besucherin navigieren kann, indem sie innerhalb der Installation ihren Standort wechselt. Gerald Jongs massgefertigte Software mit dem Namen »Fluidiom« [Flüssige Sprache] koordiniert die von Bewegungsmeldern registrierte Position der Besucherin innerhalb dieser Klanglandschaft und erschafft eine akkustische Erfahrung, die für die Interaktionen zwischen einem spezifischem virtuellen Körper und den einzigartigen Bewegungen einer Benutzerin innerhalb des Raumes einzigartig ist.
Wenn der Basiskörper konstruiert ist, kann er durch Mitarbeiterinnen wachsen, die bereit sind, im physischen Raum einige Zeit zu verbringen. Je länger eine Besucherin vor Ort bleibt und jemandes Tetraeder betrachtet, desto mehr Intervalle werden zu der Figur hinzugefügt. Die Besitzerin des Körpers kann dann mehr Meme hinzufügen oder Freundinnen etwas hinzufügen lassen oder Karten austeilen, mit denen Besucherinnen etwas an einer vor Ort befindlichen Internetverbindung hinzufügen können. In Übereinstimmung mit dem Thema der Installation kann das Wachstum jedoch nicht unendlich weitergehen. Als Darstellung der Endlichkeit, die Zeit, Raum und Lebensspanne für alle Menschen zu begrenzten Gütern macht, dekonstruiert ein Körper, wenn er eine Größe von 150 Intervallen erreicht. Das Ereignis wird im Voraus auf der Webseite angekündigt, und man wird eingeladen, dem virtuellen Kollaps beizuwohnen. An diesem Punkt wird der übergroß gewachsene Körper auf einer Datei archiviert, die nur der Besitzerin zugänglich ist, die die Möglichkeit hat, den Wachstumsprozess nochmals mit demselben Basistetraeder zu beginnen oder einen neuen zu bauen.
Durch seine verteilte Architektur, kollaborativen Prozeduren und skulptural auffällige Vor-Ort-Installation stellt »NØTime« den menschlichen Körper als emergentes Phänomen dar, das durch multiple Handlungsträger zur Existenz kommt, darunter das Begehren der Besitzerin, die kulturellen Formationen, innerhalb derer diese Identitäten dargestellt und vorgeführt werden können, und die sozialen Interaktionen, die durch die globalen Netzwerke des World Wide Web zirkulieren.

Relation als das Posthumane

In »How We Became Posthuman« argumentierte ich, dass eine Reihe von Entwicklungen in Bereichen wie der Kognitionswissenschaft, des künstlichen Lebens, der Evolutionspsychologie und der Robotik dabei sind, eine Verschiebung in dem, was es heisst, Mensch zu sein, mit sich bringen, die so signifikant von dem liberalen humanistischen Subjekt abweicht, dass sie angemessenerweise posthuman genannt werden kann. Unter den Qualitäten des liberalen humanistischen Subjekts, die durch technowissenschaftliche Artikulationen des Posthumanen verschoben worden sind, sind Autonomie, freier Wille, Rationalität, individuelle Handlungsträgerschaft und die Identifikation des Bewusstseins als Sitz der Identität. Ob als biologischer Organismus oder als Cyborg verstanden, der nahtlos mit intelligenten Maschinen verbunden ist, das Posthumane wird als eine Konstruktion gesehen, die an verteilter Kognition teilnimmt, welche über den Körper und die Umwelt verstreut ist. Handlungsträgerschaft existiert noch, aber für das Posthumane ist sie ebenfalls eine verteilte Funktion geworden. Für das Posthumane wird Bewusstsein nicht mehr als Sitz der Identität gesehen und wird stattdessen ein Epiphänomen, eine späte evolutionäre Hinzufügung, deren Hauptfunktion darin besteht, ungefähre Geschichten zu erzählen, die oft wenig mit dem zu tun haben, was wirklich passiert. In der Krise, die durch die Dekonstruktion des liberalen humanistischen Subjektes ausgelöst wurde, wird eine Art der Reaktion durch Versuche repräsentiert, die verlorenen Qualitäten durch die Meisterung von zunehmend mächtigeren Rechen- und Informationstechnologien wiedereinzusetzen. Wenn Bewusstsein auf ein Epiphänomen reduziert wird, kann seine souveräne Rolle vielleicht dadurch wiedereingesetzt werden, dass man den Körper verliert und den Geist in einen Computer verlagert. Wenn Handlungsträgerschaft genau wie Kognition verteilt ist, kann sie vielleicht wiedergewonnen werden, indem man mächtigere Prothesen erschafft, ausgedehntere Implantate, smartere Waffen. Diese Reaktionen sträuben sich alle dagegen, menschliche Endlichkeit zu akzeptieren; sie bleiben darauf ausgerichtet, den Willen des Individuums der Welt aufzuzwingen, die als zu beherrschendes Objekt gesehen wird. In diesen Konstruktionen bleibt das Subjekt selbst dann unverletzt, wenn es den Körper verliert, und die Grenzen des Subjekts sind weiterhin klar gegenüber einer objektiven Welt abgesteckt. Diese Reaktionen führen auf wichtige Weise die schlimmsten Aspekte des liberalen humanistischen Subjektes fort, während sie sich dem Posthumanen zuwenden.
Eine andere Art der Reaktion wird durch die Kunstwerke virtueller Realität dargestellt, die oben diskutiert wurden. Hier wird das Posthumane als Gelegenheit begrüsst, die Geist/Körper-Spaltung und die Prämisse, dass Geist und Körper, wie der Rest der Welt, bereits vor unseren Erfahrungen von ihnen bestehen, erneut zu überdenken. Wie wir gesehen haben, legt die relationale Haltung, die von diesen Werken dargestellt wird, die Betonung eher auf dynamische interaktive Prozesse, aus denen sowohl Geistkörper wie auch die Welt gemeinsam entstehen. Die Bedeutung dieser Werke in diesem posthumanen Moment ist tiefgründig, denn sie operieren mit einer performativen Intensität, welche uns die Wichtigkeit der emergenten Relationalität in Geist und Körper begreifen lässt, indem diese beiden ›Elemente‹ zum Geistkörper transformiert werden, der wiederum in unsere Relationen mit der Technowelt eingebettet ist. Indem diese Kunstwerke zu mehr als dem bewussten Geist sprechen, bieten sie unseren Geistkörpern reiche Erfahrungsfelder, welche die relationale Haltung mit Bedeutungen versieht, die auf vielfältigen Ebenen funktionieren, inklusive des Neokortex, aber ebenso darunter und darüber hinausreichend. Sie zeigen lebendig das Versprechen des Posthumanen, dass Existenz ohne Relation, wenn man sie sich überhaupt vorstellen könnte, eine gemeine und armselige Sache wäre. Wir existieren nicht, um in Relation zu stehen, sondern vielmehr wir stehen in Relation, um als voll verwirklichte Menschen existieren zu können.

Deutsche Übersetzung einer überarbeiteten Fassung des Originaltextes, veröffentlicht als: N. Katherine Hayles, »Fleisch und Metall: Rekonfiguration des Geistkörpers in virtuellen Umwelten«, aus dem Englischen von Benjamin Marius Schmidt, in: Jörg Huber (Hg.), Singularitäten – Allianzen, (= Interventionen 11), Institut für Theorie der Gestaltung und Kunst Zürich (ith) / Edition Voldemeer Zürich / Springer Wien New York 2002, S. 289–304.

1 Ich danke Michael Fadden und Carol Wald für Hilfe bei der Recherche für diesen Artikel und Simon Penny, Alan Dunning, Paul Woodrow und Victoria Vesna dafür, dass sie unveröffentlichte Essays, Videos, Vorabausstellungen und anderes Material zu ihren Kunstwerken mit mir geteilt haben. – Der vorliegende deutsche Text wurde erstmals veröffentlicht als N. Katherine Hayles, »Fleisch und Metall: Rekonfiguration des Geistkörpers in virtuellen Umwelten«, aus dem Englischen von Benjamin Marius Schmidt, in: Jörg Huber (Hg.), Singularitäten – Allianzen, Bd. Interventionen 11, Institut für Theorie der Gestaltung und Kunst Zürich (ith) / Edition Voldemeer Zürich, Wien/New York 2002, S. 289–304; vgl. die Version des Originaltexts »Flesh and Metal: Reconfiguring the Mindbody in Virtual Environments« (Anm. d. Red.).
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3 Ich argumentiere schon seit mehreren Jahren für eine solche Sichtweise. Siehe beispielsweise »Constrained Constructivism: Locating Scientific Inquiry in the Theater of Representation,« New Orleans Review, 18, 1991, S. 76–85, wiederabgedruckt in Realism and Representation: Essays on the Problem of Realism in Relation to Science, Literature, and Culture, hg. von George Levine, Madison, 1993, S. 27–43.
4 Mark Hansen, Präsentation an der UCLA, Mai 2001.
5 Siehe beispielsweise Thomas Laqueur, Making Sex: Body and Gender from the Greeks to Freud, Cambridge, 1992.
6 Donna Haraway, Präsentation an der UCLA, Juni 2001
7 Sid Perkins, »Lamprey cyborg sees the light and responds,» in: Science News, 158, 20, November 11, 2000, S. 309. Siehe auch den Konferenzbeitrag für Artificial Life VII (Portland OR: August 2000): [www.smpp.nwu.edu/~smpppub/RegerEtAlv_2000.pdf].
8 Andy Clark, Being There: Putting Brain, Body, and World Together Again, Cambridge, 1998.
9 Andy Clark, »Natural Born Cyborgs?,« zu Gast auf der von John Brockman unterhaltenen The Third Culture Web site, [www.edge.org/3rd_culture/clark/clark_index.html].
10 Edwin Hutchins, Cognition in the Wild, Cambridge, 1996.
11 D. h. des Menschen als Femininum. Hayles verwendet in ihrem Text durchgehend die weibliche Form, wenn es um die Benennung von Menschen oder Partizipanten geht. [Anm. d. Übersetzung.]
12 Terrence W. Deacon, The Symbolic Species: The Co-evolution of Language and the Brain, New York, 1997, S. 111.
13 Simon Penny, »Virtual Reality as the Completion of the Enlightenment Project,» in: Culture on the Brink: Ideologies of Technology, hg. von Gretchen Bender und Timothy Druckrey, Seattle, 1994, S. 231–263, insbesondere S. 238.
14 Simon Penny, Jeffrey Smith, Phoebe Sengers, Andre Bernhardt and Jamieson Schulte, »Traces: Embodied Immersive Interaction with Semi-Autonomous Avatars,« unveröffentlichter Essay, S. 3. Ich danke Simon Penny für die Erlaubnis, aus diesem Essay vor seiner Veröffentlichung zitieren zu dürfen.
15 Die Mitarbeiter sind von Projekt zu Projekt verschieden, aber unter anderen sind es, Martin Raff vom MRC Laboratory for Cell Biology, University College, London; Pauline van Mourik Broekman, Mute magazine, London; Hideaki Kuzuoka, Department of Engineering, University of Tzukuba, Japan; Nick Dalton, Bartlett School of Architecture, University College, London, und Arthur Clark, Department of Neurology Health Sciences, University of Calgary, Calgary AB Canada.
16 Alan Dunning and Paul Woodrow, »The Stone Tape, the Derive, the Madhouse«, präsentiert am New Media Institute im Banff Centre, September 2000, S. 6.
17 Don Idhe bemerkt in Technology and the Lifeworld, S. 72 ff., dass viele Menschen die Vorteile der Technologie haben wollen, ohne dass sie in ihr Leben eindringt – ein widersprüchliches Begehren, das sich in dem Wunsch manifestiert, dass mächtige Technologien existieren, aber auch transparent sein sollen. Die durchscheinende Einschliessung scheint diesen Wunsch anzuerkennen, ihm aber auch zu widerstehen, indem Transparenz evoziert, zugleich aber verneint wird.
18 Richard Dawkins, The Selfish Gene, New York 1990.