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Deutsch

László Moholy-Nagy
»Typofoto«

»Nicht Neugier, nicht wirtschaftliche Rücksichten allein, sondern ein tiefes menschliches Interesse an den Vorgängen in der Welt haben die ungeheure Verbreitung des Nachrichtendienstes, der Typografie, des Films und des Radios geschaffen.
Die gestaltende Arbeit des Künstlers, die Versuche des Wissenschaftlers, die Kalkulation des Kaufmanns, des heutigen Politikers, alles, was sich bewegt, alles, was formt, ist in der Kollektivität der aufeinanderwirkenden Geschehnisse gebunden. Das im Augenblick aktuelle Tun des Einzelnen wirkt stets gleichzeitig auf lange Sicht. Der Techniker hat die Maschine in der Hand: Befriedigung momentaner Bedürfnisse. Aber im Grunde weit mehr: er ist Initiator der neuen sozialen Schicht, Zukunftebnender. Eine solche Wirkung auf lange Sicht hat z.B. die heute noch immer nicht genügend beachtete Arbeit des Druckers: internationale Verständigung mit ihren Folgerungen.
Die Arbeit des Druckers ist ein Teil des Fundaments, auf dem die neue Welt aufgerichtet wird.
Das konzentrierte Werk der Organisation ist geisterfüllte Konsequenz, die alle Elemente menschlichen Schaffens in eine Synthese bringt: Spieltrieb, Anteilnahme, Erfindungen, wirtschaftliche Notwendigkeiten. Der eine erfindet das Drucken mit beweglichen Lettern, der andere die Fotografie, ein Dritter Ratserverfahren und Klischee, ein Nächster die Galvanoplastik, den Lichtdruck, das mit Licht gehärtete Zelluloidklischee. Die Menschen schlagen einander noch tot, sie haben noch nicht erfasst, wie sie leben, warum sie leben; Politiker merken nicht, dass die Erde eine Einheit ist, aber man erfindet das Telehor: den Fernseher – man kann morgen in das Herz des Nächsten schauen, überall sein und doch allein sein; man druckt illustrierte Bücher, Zeitungen, Magazine – in Millionen. Die Eindeutigkeit des Wirklichen, Wahren der Alltagssituation ist für alle Schichten da. Langsam sickert die Hygiene des Optischen, das Gesunde des Gesehenen durch.
Was ist Typofoto?
Typografie ist in Druck gestaltet Mitteilung.
Fotografie ist visuelle Darstellung des optisch Fassbaren.
Das Typofoto ist die visuell exaktest dargestellte Mitteilung.
Jede Zeit hat ihre eigene optische Einstellung. Unsere Zeit: die des Films, der Lichtreklame, der Simultanität sinnlich wahrnehmbarer Ereignisse. Sie hat für uns eine neue, sich ständig weiter entwickelnde Schaffensbasis auch in der Typografie hervorgebracht. Die Typografie Gutenbergs, die bis fast in unsere Tage reicht, bewegt sich in ausschließlich linearer Dimension. Durch die Einschaltung des fotografischen Verfahrens erweitert sie sich zu einer neuen, heute als total bekannten Dimensionalität. Die Anfangsarbeiten dazu wurden von den illustrierten Zeitungen, Plakaten, Akzidenzdrucken geleistet.
Bis vor kurzem hielt man krampfhaft fest an einem Satzmaterial und einer Setztechnik, welche zwar die Reinheit des linearen gewährleistete, die neuen Dimensionen des Lebens aber außer Acht ließ. Erst in der allerletzten Zeit hat eine typografische Arbeit eingesetzt, welche durch kontrastreiche Verwendung von typografischem Material (Buchstaben, Zeichen, positive und negative Werte der Fläche) eine Korrespondenz mit dem heutigen Leben zu schaffen versuchte. Die bisherige Starre der typografischen Praxis wurde jedoch durch diese Bemühungen kaum gelockert. Eine wirksame Lockerung kann nur bei weitestgehender, umfassender Verwendung der fotografisch-zinkografischen-galvanoplastischen usw. Techniken erreicht werden. Das Biegsame, Bewegliche dieser Techniken bringt Ökonomie und Schönheit in eine neue Wechselbeziehung. Mit der Entwicklung der Bildtelegrafie, die die Beschaffung von Reproduktionen und präzisen Illustrationen im Augenblick ermöglicht, werden wahrscheinlich sogar filosofische Werke mit den gleichen Mitteln arbeiten – wenn auch auf höherer Ebene – wie die jetzigen amerikanischen Magazine. Selbstverständlich werden diese neuen typografischen Werke in ihrer Gestalt typografisch-optisch-synoptisch von den heutigen linear-typografischen durchaus verschieden sein.
Die lineare, gedankenmitteilende Typografie ist nur ein vermittelndes Notglied zwischen dem Inhalt und der Mitteilung und dem aufnehmenden Menschen:
Mitteilung <– Typografie –> Mensch
Heute versucht man, die Typografie, anstatt sie – wie bisher – nur als objekthaftes Mittel zu verwenden, mit den Wirkungsmöglichkeiten ihrer subjekthaften Existenz gestaltend in die Arbeit einzubeziehen.
Die typografischen Materialien selbst enthalten starke optische Fassbarkeiten und vermögen dadurch den Inhalt der Mitteilung auch unmittelbar visuell – nicht nur mittelbar intellektuell – darzustellen. Die Fotografie als typografisches Material verwendet, ist von größter Wirksamkeit. Sie kann als Illustration neben und zu den Worten erscheinen, oder als „Fototext“ an Stelle der Worte als präzise Darstellungsform, die in ihrer Objektivität keine individuelle Deutung zulässt. Aus den optischen und assoziativen Beziehungen baut sich die Gestaltung, die Darstellung auf: zu einer visuell-assoziativ-begrifflich-synthetischen Kontinuität: zu dem Typofoto als eindeutige Darstellung in optisch gültiger Gestalt. (Ein Versuch Seite 122.)
Das Typofoto regelt das neue Tempo der neuen visuellen Literatur.
In Zukunft wird eine jede Druckerei eine eigene Klischeeanstalt besitzen und es kann mit Sicherheit ausgesprochen werden, dass die Zukunft des typographischen Verfahrens den fotomechanischen Methoden gehört. Die Erfindung der fotografischen Setzmaschine, die Möglichkeit, mit Röntgendurchleuchtung ganze Auflagen zu drucken, die neuen billigen Herstellungstechniken von Klischees usw. zeigen die Richtung, auf die ein jeder heutige Typograf bzw. Typofotograf sich baldigst einstellen muss.
Diese Art der zeitgemäßen synoptischen Mitteilung lässt sich mittels des kinetischen Verfahrens, des Films, auf einer anderen Ebene großzügig weiterführen.«

Quelle: László Moholy-Nagy, Malerei, Fotografie, Film / László Moholy-Nagy, hrsg. von Otto Stelzer, Faks.-Nachdr. d. Ausg. 1927, Mainz, Berlin 1967, S. 36ff.