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Rudolf Frieling
Kontext Video Kunst

1. Diskurs
2. Update
3. White Cube - Black Cube
4. Video - Die flüchtige Utopie
5. Video - Aspekte einer ideologischen Debatte
6. Serialität und Segmentierung
7. Ökonomie des Marktes
8. "Good Morning, Mr. Orwell"
9. Looping the Loop
10. "Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein."
11. Exkurs: Good morning, Mr. Honecker
12. Windows 84
13. Distribution und Präsentation
14. Crossculture
15. Intermezzo: Video-Skulptur
16. Copy-and-Paste oder die produktiven Verkettungen der 90er Jahre
17. Forum

"Video doesn't exist: it insists." (Jean-Paul Fargier)[ 1 ]

1. Diskurs

Schon von Beginn an war die Medienkunst - vor allem durch visionäre, poetische oder provokative Aphorismen ihrer Protagonisten - mit der Historisierung, Kontextualisierung, "Verschlagwortung" und Verankerung des Mediums Video im Kunstdiskurs beschäftigt. Die Gleichsetzung von Kamera und Pinsel, Bleistift oder Meißel und dementsprechend dem Monitor als der zu bearbeitenden Fläche galt damals vor allem der Einschreibung der neuen Kunstform in eine uralte, längst anerkannte Tradition. Das Insistieren auf dieser kunsthistorisch unterfütterten Genealogie nach der ersten Phase der reinen Experimentation erscheint als ein symptomatisches Phänomen, das bis zu Beginn der 80er Jahre immer neue Rechtfertigungen mit sich bringt und ex negativo auf die mangelnde Akzeptanz im Kunstkontext weist. Die Parallelisierung und Rechtfertigung einer neuen Praxis läßt sich zur technologischen Entwicklung[ 2 ] und künstlerischen Nutzung in Bezug setzen, ohne daß damit bereits die Frage beantwortet wäre, in welcher Interdependenz die Pole Kunst und Technik im Fall der Videotechnologie stehen.

Kamera und Monitor gelten als die ersten (und damit im emphatischen Sinne ursprünglichen) videospezifischen Arbeitsmittel, wie sie in den Closed-circuit-Installationen und Performances von Valie Export [MKA] , Wolf Kahlen, Richard Kriesche, Marcel Odenbach, Ulrike Rosenbach, Peter Weibel [MKA] [ 3 ] und vielen anderen eingesetzt wurden. Die Konzentration auf den räumlichen Bezug dominierte in den 70er Jahren so ausschließlich den Medienkunst-Diskurs, daß Paik dies auch für die 80er Jahre als die wegweisende künstlerische Form prognostizierte.[ 4 ] Es lag nahe, daß im Kunstkontext gerade der Bezug des "Luminous Image" (leuchtenden Bildes) zum Raum und zur Figur diskursiv rezipiert wurde, erst in zweiter Linie dagegen die narrativen Bezüge zum Film oder Fernsehen. So überrascht nicht, wenn auch die klassische Palette der Topoi und kunsthistorischen Kategorisierungen ins Feld geführt wurden, so daß ein Brian Eno als Plastiker des Lichts unvermutet in einer jahrhundertealten Tradition seit Rembrandt steht.[ 5 ] Nach den medienspezifischen Analysen von "Video als Video" und "Film als Film"[ 6 ] splitterte sich das Feld kategorialer Bestimmungen weiter auf und produzierte "Video als Malerei", "Video als Skulptur" etc. Offen bleibt unser Erkenntnisgewinn in einer solchen Reihung. Peter Weibels Emphase von 1986, Video sei das "Fundbüro des Lichts"[ 7 ] , hilft uns in dieser Hinsicht auch nicht weiter, funkelt aber ebenso poetisch wie die Videokunst als Poetik des elektronischen Bildes.

Und doch - diese Kunst ließ sich, trotz aller Kreativität in der Schaffung signierter Editionen, nicht auf traditionellem Wege verkaufen, wie bereits zu Anfang der 70er Jahre das Scheitern der Fernsehgalerie von Gerry Schum deutlich gemacht hatte. Auch die diskursive kunsthistorische Einbindung konnte die potentiellen Kustoden in den Museen und Käufer in den Galerien nicht überzeugen. Zu offensichtlich negierte das prinzipiell unauratische Medium die Konventionen des Marktes. So notwendig diese Argumentation zu Beginn der Video-Ära für die Herausbildung einer differenzierten Wahrnehmung dieser künstlerischen neuen Formen gewesen sein mag, sie verstellt zugleich den Blick auf die Ungleichzeitigkeiten und Differenzen zur Tradition. Schon Gene Youngblood hat in diesem Zusammenhang von der Ära des Bildtauschs von Mensch zu Mensch gesprochen, das heißt, von einem Tauschverhältnis von Immaterialitäten, das Werte, Intensitäten und Emotionen transportieren kann und als abstrakt bleibendes, technologisch begründetes Tauschverhältnis ein gesellschaftliches Symptom darstellt. Videokunst ist in dieser Perspektive also auch ein Indikator für gesellschaftliche Prozesse, der sich nicht auf die kunstimmanente Diskussion von Stilen und Ästhetiken reduzieren läßt. Im Spannungsfeld zwischen Gesellschaftstheorie, Technik- und Kunstgeschichte bleibt für uns hier vor allem die Frage: Warum hat sich trotz aller Bemühungen bis heute im wesentlichen kein kritischer und kunsthistorischer Diskurs zu einzelnen Werken etabliert?<-

2. Update

Wie jede Software bedarf auch ein kritischer Diskurs des regelmäßigen "Updates" in Form einer kontinuierlichen Reflexion in Publikationen, offline wie heute natürlich auch online. Wenn man die holländische Zeitschrift "Mediamatic" einmal als Ausnahme von der Regel betrachtet, gab es weder in Deutschland noch woanders in der Welt jenseits der Festivalkultur eine regelmäßige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Werken der jeweils aktuellen Medienkunst. Die Schwierigkeiten der Rezeption medialer Werke sind nicht zu übersehen, wenn bei Performances und Installationen der Besucher/Leser nicht vor Ort sein konnte. Die Präsentation von Videotapes muß bis heute jeweils neue Formen finden zwischen Kino-, Galerie-, Fernseh- und Café- oder Clubsituation. Ob als Ausstellungsstück, à la carte in einer Videothek oder als lineare Programmierung, das Pro und Contra dieser Modi sind in der Vergangenheit ausführlich Gegenstand von Debatten gewesen. Fazit blieb immer, daß die Präsentation von Video eigene Bedingung erfordert, die in bereits bestehenden Kontexten nur schwer zu erfüllen sind. Die Rezeption der Videotapes scheitert daher meist an ihrer mangelnden öffentlichen Sichtbarkeit, im Gegensatz etwa zum funktionierenden Netzwerk anspruchsvoller Kinematheken, das sich in Deutschland in den 70er Jahren gebildet hatte, um ein Forum für den unabhängigen Autorenfilm zu sein. Kataloge, oft bloß schwarzweiß, mit Kurzbeschreibungen und ein oder zwei Videostills, sind meist eher Anhaltspunkte der Orientierung in einem vielfältigen Programm, ohne jedoch eine angemessene, kritische Rezeption aus der zeitlichen und räumlichen Distanz zu ermöglichen, wie dies nun wenigstens ansatzweise mit Multimedia- oder Netzpublikationen möglich geworden ist und in der vorliegenden CD-ROM versucht wird. Dennoch - das visuelle Medium Video bleibt paradoxerweise vielfach unsichtbar. Ein "Update" der Information würde jedoch bereits voraussetzen, daß ein erstes "Date", eine An-Sicht, stattgefunden hat.

Als zweiter Punkt fällt daher auf, daß der Diskurs über die Videokunst und genereller der Medienkunst ungebrochen bis heute vor allem den Systemaspekten gilt, der Differenz zwischen Videokunst und Fernsehen -, zwischen linear und non-linear, auch wenn viele Künstler nach der Technologiedebatte der Anfänge nun darauf drängten, endlich die "Software" zu diskutieren.[ 8 ] Warum gibt es einen seit Jahrzehnten andauernden Diskurs über "neue Medien" - hier reicht ein Blick in die gesammelten Kataloge der Ars Electronica in Linz -, aber z. B. keine kunsthistorische Praxis der Rezension von Installationen und Videobändern (Ausnahmen in bezug auf Klassiker wie Bill Viola oder Gary Hill bestätigen zumindest seit einigen Jahren die Regel)? Warum hat sich jenseits des Reizwortes "Interaktivität" kein kritisches Vokabular der elektronischen Bild- und Tonsprache etabliert?[ 9 ] Die Sprachlosigkeit angesichts der Fülle von experimentellen, konzeptuellen oder erzählerischen Bändern, z. B. bei den eher an Messen erinnernden Festivals, verschlägt den Rezensenten meist die Sprache. Gemeinsamer Nenner ist die sich wandelnde Technologie, die damit zur Grundbedingung der Analyse einer ästhetischen Praxis erhoben wird. So wie heute Microsoft die Diskussion vor allem der 'net community' gerade als Antipode beherrscht, so war SONY schon seit den Anfängen Schrittmacher der Medienkunst.[ 10 ] Je schneller die Industrie die meist inkompatiblen Medienformate revolutioniert, desto atemloser versuchen Kritiker und Analytiker der Medienkunst, damit Schritt zu halten.<-

3. White Cube - Black Cube

Schaffen und erforschen die Medienkünstler nicht nur neue Präsentationsformen und Räume, sondern auch ihre eigenen Arbeitsmittel, oder benutzen sie nur die existierenden Werkzeuge? Anfang der 80er Jahre schienen neu entwickelte Synthesizer und technologische Experimente etwa von Nam June Paik oder Steina und Woody Vasulka von nur noch marginaler Relevanz. Nicht die Erforschung der Vektoren der Bildproduktion, sondern das Interesse an anderen Inhalten und einer subjektiven wie narrativen Bildsprache in einem gegebenen Rahmen interessierte Künstler wie Klaus vom Bruch, Gábor Bódy, Marcel Odenbach oder Ingo Günther. So wie in den 80er Jahren der neutrale "White Cube" einen puristischen Standard im Ausstellungswesen durchsetzte, so sorgte der "Black Cube"-Monitor von SONY für neutrales Design und standardisierte Bildgrößen.

Mit der Einführung immer lichtstärkerer Projektoren änderten sich auch die Dimensionen der Rauminstallationen, so daß die Künstler ihr "Rahmenformat" nun selber bestimmen konnten. "Size matters" - vom Fuji-Miniprojektor, vom amerikanischen Künstler Tony Oursler geradezu zum Markenzeichen seiner skulpturalen Ensembles erkoren, den Laserinstallationen Paiks bis zur großformatigen Installation eines Bill Viola oder bis zum großen elektronischen Kinoprojektor: Die Formatfrage ist seit den 80er Jahren nicht mehr an den Monitor gebunden, der die vermeintlichen Ursprünge aus dem Fernsehkontext transportiert. Das elektronische Bild hat sich in vielfältige Präsentationsformen "emanzipiert". Es geht nicht um die Frage "Ist Video Kunst?" - oder eben doch nur anderes Fernsehen -, sondern um die Spuren, die Video in der Kunst und der Gesellschaft hinterläßt. Wir stoßen bei der Recherche gerade nicht auf die Rembrandts und da Vincis des elektronischen Zeitalters, sondern auf eine vielfältige Kunstpraxis, die sich in den letzten 20 Jahren grundlegend gewandelt hat.[ 11 ]<-

4. Video - Die flüchtige Utopie

Es ist inzwischen eine Binsenweisheit, daß sich, noch verstärkt durch den Einsatz der elektronischen Medien, der Werkbegriff seit Happening, Fluxus und Performance zusehends verflüchtigt hat. Bei aller Tendenz zur Auflösung kategorialen Denkens und zur Entdeckung neuer Aktionsfelder - "Fuck Art, Lets Dance" lautet ein Zeitgeistslogan für die T-Shirt-Generation - halten Künstler und Künstlerinnen bemerkenswerterweise in den 80er Jahren am Kunstbegriff fest, doch koppeln sie die Auseinandersetzung mit einer bewußt die Kunst auflösenden Kunstpraxis durch die künstlerische Verwertung der jeweils neuesten Technologie. Dies muß nicht immer High-Tech bedeuten, wie der Erfolg der amerikanischen Künstlerin Sadie Benning beweist, die mit ihrer Spielzeugkamera von Fisher Price krude schwarzweiße Bilder auf einer Audiokassette aufzeichnete und damit Anfang der 90er Jahre auf radikale Weise Low-Tech im Videobereich wieder einführte. Doch ist der Einsatz einer solch temporären Technologie, die inzwischen längst vom Markt verschwunden ist, immer mit dem Risiko verhaftet, eher ein begrenztes zeitgeschichtliches Phänomen zu bleiben. Ob High-Tech oder Low-Tech, die Künstler und Künstlerinnen selber haben auch dazu beigetragen, daß es in der Rezeption nicht darum ging, eine differenzierte Praxis auch am künstlerischen Werk oder Projekt zu reflektieren, sondern damals wie heute immer nur den Blick auf das Ganze zu richten, auf die Tendenz und die technologische Zukunft. Nicht Sadie Bennings ästhetische Umsetzung eines lesbischen Coming-outs wird formal untersucht, sondern die Bedeutung des Einsatzes einer Spielzeugkamera. Der subjektive Faktor tritt hinter dem technologischen Faktor zurück.

Die immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen technologischer Innovation der Wachstumsgesellschaft und der nur noch von immer weniger Spezialisten zu leistenden Rezeption der ästhetischen bzw. gesellschaftlichen Implikationen kann man für den Verlust an ganzheitlichen Utopien einer "anderen" und partizipatorischen medialen Praxis verantwortlich machen. 1966 träumte Nam June Paik davon, in einer Videothek nicht nur alle wichtigen visuellen Zeugnisse sehen zu können, seine selbstverständlich eingeschlossen, sondern endlich einen forschenden, kreativen Umgang mit Bildmaterial und Konkordanzen ermöglicht zu bekommem, wie es bei der Shakespeare-Sekundärliteratur längst der Fall sei.[ 12 ] Listig wie immer mag er dabei an sich als dem Video-Shakespeare gedacht haben. Erstaunlich ist jedoch, daß wir heute, mehr als dreißig Jahre später, erst anfangen, diesen Traum durch die digitalen Speichermedien ansatzweise zu erfüllen. Immerhin, das utopische Moment der Videokunst muß nicht ewig ortlos bleiben: Was Paik 1976 als Vision einer elektronischen Sixtinischen Kapelle vor sich sah, wurde ansatzweise mit der Lasertechnologie schon 1980 als "Laser Video Space I" sichtbar[ 13 ] , schließlich aber mit dem ironischen Titel "Sistine Chapel Before Restoration" in Venedig 1993 im deutschen Pavillon mit Hilfe einer "Batterie" von Videoprojektoren realisiert. Die Zeit für Paiks allumfassendes multimediales Raumerlebnis war bereits nach 25 Jahren gekommen. Nicht alle Utopien verflüchtigen sich also, je mehr wir uns ihnen nähern. Aber ist die Schaffung einer potentiell allumfassenden Verfügbarkeit digitalen Materials und die Realisierung immersiver elektronischer Bildräume noch als Aspekt einer gesellschaftlichen Utopie zu begreifen? Im folgenden wird noch einmal deutlich, daß der schleichende Verlust der medienpolitischen Utopie eines partizipatorischen Umgangs mit Video in der Produktion und Distribution erst in den 90er Jahren wieder auf der Basis einer neuen Technologie thematisiert wurde.[ 14 ]<-

5. Video - Aspekte einer ideologischen Debatte

Wie wenig tatsächlich die Medienkünstler die Probleme der Nutzung der Massenmedien kreativ lösen konnten, verdeutlicht der historische Streit um die "richtige" Distribution bzw. Präsentation. Ganze Debatten entsponnen sich an den Oppositionen Monitor - Projektor, Film - Video, Museum - Fernsehen usw.[ 15 ] Auf dem Höhepunkt des Videobooms 1985 konkurrierten zwei Modelle: Detlef Kuhlbrodts Apologie einer avantgardistischen Praxis "Videostrategie als Lebenskunst" ("die Fernbedienung ist die Herrschaft des Bildverbrauchers") wurde gekontert von Oliver Hirschbiegels Plädoyer für ein unprätentiöses Speichermedium im Rahmen einer umfassenderen künstlerischen Praxis unter dem Slogan "No Videokunst!", denn die sei "zu 98% einfach dämlich und oft viel zu lang".[ 16 ] Subkategorien wie Videoclip, -skulptur, -tanz, -theater, -oper, -grafik, -installation und natürlich -tape entstehen im Kontext einer eigenen Gattung "Video-Kunst", oft als "Bindestrich-Kunst" kritisiert. Doch der Streit um eine eigene Gattung "Video-Kunst" im Unterschied zu Video als einem unter vielen Mitteln künstlerischer Praxis war eine Diskussion falscher Alternativen, die zum Teil theologische Züge annahm: "Godard behauptet, Film und Video seien wie Kain und Abel. [Š] Kain und Abel sind in Wirklichkeit Fernsehen und Video".[ 17 ] Ob Fernsehen, Film oder Museum - das Medium Video schien immer zwischen den Ideologien zu sitzen - unbequem, unterfinanziert, ökonomisch nicht verwertbar, vom öffentlichen Diskurs jenseits der Insidertreffen de facto ausgegrenzt. Als Medium konnte es die utopischen Ansprüche von vornherein nur enttäuschen.

Allenfalls in der alternativen Medienszene schien sich noch ein Bewußtsein für die Utopie einer anderen Öffentlichkeit ein paar Jahre länger zu halten. 1982 gründeten neun deutsche Medienzentren kollektiv den "Cut In - Videoinformationsdienst für den subversiven Bandzug". Immer wieder wurden hier Anspruch und Realität der alternativen Videoarbeit kontrovers diskutiert. Als Zeitdokument kommt diesem zirkulierenden Infoblatt die gleiche Bedeutung zu wie den heutigen Mailinglisten "nettime" oder "Rhizome". Doch blieb auch die alternative Szene von den Bedrängnissen der Warenästhetik nicht verschont. Auf dem Höhepunkt der Diskussionen zur Relevanz von Professionalisierung und stärkerer formaler Experimentation schuf die Medienwerkstatt Freiburg mit "Geisterfahrer" eine kunstvolle, vom Fernsehen produzierte Parabel auf den Ausverkauf linker Inhalte im Zuge der Institutionalisierung der Alternativbewegung. Man kann sich heute kaum noch vorstellen, mit welcher Vehemenz hier High- und Low-Tech ideologisch gegeneinander ausgespielt wurden: "Wer U-matic wählt, wählt das Kapital!"[ 18 ] Die Mediengruppen laborierten in endlosen Debatten an den Problemen einer besseren Gestaltung der Inhalte, denn auch die Klientel der politischen Szene verlangt endlich nach mehr Form. Doch die basisdemokratische Position war genauso zum Scheitern verurteilt wie die Hoffnung, mit professioneller Technik eher linke Inhalte einer größeren Öffentlichkeit näherbringen zu können.

Die Zeit der Häuserbesetzungen, Anti-AKW und Großdemonstrationen war vorbei, alle Beteiligten legalisiert oder professionalisiert und die nachkommende Generation der 90er Jahre mit ihren Raves und Technoparties vollends entpolitisiert - "Utopie light" für Massen von Jugendlichen, "agitiert" vom DJ-Star. Man kann wahrlich nicht behaupten, daß der Technoclub der Ort eines kritischen Diskurses ist. Von hohem Aussagewert ist jedoch das "Clubbing", die Idee des Clubs als eine Art postmodernem Salon von Gleichgesinnten und Aktivisten, der Ausdruck eines komplexen Gewebes zwischen Kunst, Szene und Kommerz ist. Verschiedene technologische und kulturelle Fäden durchziehen dieses Gewebe voller Ungleichzeitigkeiten, Rückkopplungen und Revivals. Zur Diskussion dieser dynamischen und ständig neu abgemischten Textur aus Kunst, Technik und Ideologie werden im folgenden einige Fäden des in vielen parallelen Strängen verknüpften Feldes aufgerollt.<-

6. Serialität und Segmentierung

Mit der Einführung des Videocassettenrecorders und insbesondere der Durchsetzung des Standards VHS (Video Home System), der 1975 in den Markt für den sogenannten "Konsumer-Bereich" eingeführt wurde,[ 19 ] wird das klassische Fernsehen mit dem "Durchlauferhitzer" Videorecorder (Siegfried Zielinski) potentiell destrukturiert, zeitversetzt rezipiert, von Künstlern überhaupt erst als reicher Materialfundus "gefunden"[ 20 ] und weiter verarbeitet bzw. als Film auf Video, von Raubkopisten in der Videotheke um die Ecke feilgeboten. Die Sender reagieren in der Folge und "signieren" ihre Bilder mit dem Sendelogo, dem massenmedialen Relikt einer künstlerischen Signatur.[ 21 ] Der konzeptuelle Videokünstler sieht sich im Konkurrenzkampf um mediale Öffentlichkeit in den 80er Jahren überrollt von der "Neuen Deutschen Welle" der Videoclip-Generation einerseits und von der neo-expressiven Malerei andererseits. Die in Deutschland immer schon strenger und ideologischer als anderswo geführte Debatte um scheinbare Oppositionen wie E (ernste Kunst) und U (Unterhaltung) oder auch Seriosität und Popularität verband sich mit der Diskussion der angemessenen Kontexte zur Wahrnehmung der Videokunst. Nach den heroischen Tagen der Erprobung fernsehtypischer Interventionen durch etwa Keith Arnatt, Peter Weibel, Valie Export[ 22 ] oder auch David Hall in Schottland oder Chris Burden in den USA bot das Fernsehen zwar noch immer die potentiell avisierte Massendistribution, doch leider auch ein zunehmend als kompromittierend empfundenes Umfeld durch die Liberalisierung und damit einhergehend Kommerzialisierung der gesamten bundesdeutschen Fernsehlandschaft. Ausnahmen wie das Nischenfernsehen der Reihe "Das kleine Fernsehspiel" des ZDF [MKI] , das dem Medium Video vor allem im Rahmen einer erzählerischen Experimentation Möglichkeiten bot, bestätigen die Regel.

Die Angst des Fernsehens vor Experimenten der Wahrnehmung, die dem Zuschauer nicht zugemutet werden konnten, hatte nicht zuletzt zu dem Schlagwort geführt: VT ungleich TV. Eben dieses Motto der Videothek der documenta 6, 1977, und die Demonstration eines autonomen Anti-Fernsehens durch die Übertragung von Videobändern im Dritten Programm der ARD bereitete den televisionären "Boden", um nach einer fernsehadäquaten künstlerischen Aussage zu forschen, die nicht zugleich auch die Systemfrage fundamentalistisch stellte. Nachdem die "Aspekte"-Redaktion des ZDF zur documenta eine eben solche reflektierende TV-Aktion von Richard Kriesche produziert hatte, nahm 1978 "Das kleine Fernsehspiel" als erste Redaktion im deutschen Fernsehen das künstlerische Video so ernst wie den boomenden deutschen Autorenfilm. Bemerkenswert ist allerdings die Tatsache, daß mit "Video 50" von Robert Wilson die erste Videokunstproduktion einem prominenten amerikanischen Theaterregisseur anvertraut wurde. Noch vor der Einführung von MTV hatte Wilson aus seiner amerikanischen Perspektive erkannt, daß Fernsehen nicht ein Medium der Konzentration und Indoktrination, sondern der Zerstreuung, Beiläufigkeit und Serialität ist.[ 23 ] Sein Band reflektierte dies durch die Reihung von 50 Szenen zu je 30 Sekunden, deren Verknüpfung nicht dramaturgisch, sondern assoziativ war, ganz ähnlich wie die Verknüpfung der 1'30-Nachrichtenspots zwar eine Rangfolge der Wichtigkeit behauptet, aber keinen allgemeinen Zusammenhang herstellen kann (weswegen gerade die Bemühungen um Überleitungen so krampfhaft wirken). Wilson ging es damit also nicht um die Brechung eines strukturellen TV-Standards, gar um die kritische Entlarvung eines solchen, sondern um die künstlerische Nutzung der faktischen Rahmenbedingungen. Er bewies damit, daß die immer wieder aufgestellte Differenz zwischen Fernsehen als visualisiertem Radio und dem experimentellen Medium Video keine essentielle, sondern eine historische und kontextuelle Differenz ist.

Einer der beliebtesten deutschen Talkmaster jener Zeit, Robert Lembke, glaubte, daß sich mit der Einführung des Fernsehens in die deutschen Wohnzimmer, bildlich gesprochen, der Kreis ums Lagerfeuer zu einem Halbkreis geöffnet habe. Diese in Deutschland charakteristische Überschätzung der manipulativen und suggestiven Macht des Fernsehens, die an der Ausrichtung auch der Möblierung des Wohnzimmers auf die Fernsehperspektive abzulesen ist, löste sich unter amerikanischem Vorzeichen mehr und mehr zu einem bewegten Tapetenmuster auf. Nam June Paiks Recycling und Remixing seines Materials ist daher ein so offensichtlich amerikanisches, ornamentales "Schnittmuster", eine selbstreferentielle Tautologie, gegen die sich in Deutschland immer Widerstand geregt hatte. Das Fernsehen blieb schon in der Kritischen Theorie Adornos und Horkheimers der Apparat, der "alles mit Ähnlichkeit schlägt"[ 24 ] . Wenn man mit Siegfried Zielinski Fernsehen als seriellen Supertext immer schon fragmentarisch, dispersiv, variabel begreift, mußte man schon wie Klaus vom Bruch an den meditativen Sog des Loops glauben - "Ich habe den Anspruch, daß Du ein Tape von mir hundert Mal sehen kannst"[ 25 ] -, um das Fernsehen mit der Potenzierung seiner eigenen Mittel schlagen zu wollen: extreme Verdichtung gegen extreme Zerstreuung. Interessanterweise hält vom Bruch diese Ökonomie der Aufmerksamkeit des extrem verdichteten Augenblicks für die adäquate Haltung sowohl gegenüber dem Fernsehen als auch dem Museumskontext. Ob serielles Muster oder verdichteter Loop - hier wie dort ist es keine Frage der naturalistischen Abbildung der Realität, sei es 1:1 oder im Format 16:9.<-

7. Ökonomie des Marktes

Ein institutionelles Medienlabor - eine alte Forderung Brechts an das staatliche Radio, Ruttmanns an die Filmindustrie und der Videokünstler an das Fernsehen generell - realisierte sich in Deutschland nur im Bereich der elektronischen Musik und akustischen Kunst beim WDR [MKI] . [ 26 ] Die bekannte Anti-Haltung besonders der deutschen Künstler zum Staatsfernsehen resultierte nur in subversiven Aktionen illegalen "Mikro-Fernsehens" - von Individuum zu Individuum aus dem eigenen Studio. Die erste deutsche Produzentengruppe ATV (Alternativ TV) mit Klaus vom Bruch, Marcel Odenbach und Ulrike Rosenbach reagierte auf die faktische Sendeblockade mit einer eigenen Strategie der Sendung für Nachbarn und Freunde im Umkreis von ein paar hundert Metern [MKA] .[ 27 ] Einer anderen Stimme Gehör zu verschaffen im Konzert der Massenmedien, das versuchten auch die Aktivisten des Radio Dreyecklands Mitte der 80er Jahre. Ihr illegaler Sender in den oberrheinischen Wäldern sendete regelmäßig 10 Minuten lang (eben nur wenig kürzer, als die Post zum Anpeilen des Senders benötigte) Gegeninformationen zur politischen Protestbewegung aus der Sicht der Beteiligten und Betroffenen.

Doch nicht nur das Fernsehen stellte Barrieren dar, auch der Kunstmarkt weigerte sich beharrlich, Videokünstler aufzunehmen. Symptomatisch war die Ausstellung "Westkunst" in Köln 1979, die erstmalig und offenkundig demonstrierte, daß sich zu den konzeptionellen Schwierigkeiten, Video als nicht-auratisches Medium zu vermarkten, nun auch die Vorliebe der Galeristen und Kuratoren gesellte, sich der "frischen" und auch vermarktbaren Attitüde der jungen expressiven Maler aus Köln oder Berlin-Kreuzberg Raum zu geben. Marcel Odenbach hat ein eindrückliches Resumee dieser neuen Situation um 1980 [MKI] gegeben. [ 28 ] Es bleibt auch der Verdacht, daß es gerade die Maler waren, die wußten, wie sie die Medien zu nutzen hatten, die also medial dachten: "Die Präsentationsweise ŒWir, die Maler' war immer eine Mediengeschichte, also so modern wie möglich, die Produktionsweise, die Malerei, so antik wie möglich."[ 29 ] Die Medien zu nutzen, hieß hier, die Öffentlichkeit als Markt zu nutzen. Genau dies gelang paradoxerweise den Videokünstlern durch ihr ambivalentes Verhältnis zu den Massenmedien nicht. Nicht Produktions-, sondern Distributionsfragen waren entscheidend geworden.<-

8. "Good Morning, Mr. Orwell"

Der Neo-Liberalismus der 80er Jahre stellte mit Macht die Frage nach der Deregulierung des Medienmarktes. Vorreiter war hierbei die konservative Thatcher-Regierung in England mit der Gründung von Channel 4. Gedacht als ein Korrektiv zur unabhängigen BBC, wurde dieser Sender jedoch ironscherweise von den Redakteuren in einer Weise realisiert, die Raum für eine andere Art von Fernsehen, für Experimente und auch Videokunst im Fernsehen bot. Die Zerschlagung des staatlichen Fernsehmonopols in Deutschland durch die Öffnung zum Privatfernsehen war 1984 von der CDU-Regierung - Thatcher flugs imitierend - ermöglicht worden, zunächst mit RTL plus, ein Jahr später gefolgt von Sat 1 (1985). Die Ära der Kommerzialisierung der Medienwelt begann in Deutschland am 1. Januar 1984, just an dem Tag, an dem Nam June Paik sein fulminantes Satellitenprojekt "Good Morning, Mr. Orwell" [MKI] mit viel Eigenkapital realisierte.[ 30 ] Hier singt die Pop-Sängerin Sappho "TV frißt euer Hirn auf", Beuys und seine Tochter Jessyka setzen die Aktion "Hose für das 21. Jahrhundert" in Szene und prangern den Materialismus der Welt an, John Cage, Allen Ginsberg, Laurie Anderson und viele andere tragen zu diesem Mega-Mix in der Tradition von "Global Groove" (1973) bei. Mit der Gratwanderung zwischen E- und U-Kunst erreicht Paik über 10 Millionen Menschen, inklusive der späteren Wiederholungen sogar über 25 Millionen weltweit. Was 1977 Douglas Davis nur in seiner Performance "Die letzten neun Minuten" eine Verständigung von Mensch zu Mensch per Satellit simulierte, wird hier zur globalen Probe der Völkerverständigung in Echtzeit von West nach Ost und zurück via Paris. Damit steht Paik wie ein Solitär in der künstlerischen Szene, ein Mittler zwischen Kommerz und Kunstanspruch, während zur gleichen Zeit Filmemacher und Künstler in Deutschland eher düstere Orwell-Fantasien aufzeichneten und inszenierten - siehe Michael Kliers "Der Riese" [MKI] (1983) und Dieter Froeses komplexe Closed-circuit-Installation "Unpräzise Angaben (Not a Model for Big Brother's Spy-Cycle)"[MKI] von 1985.[ 31 ]<-

9. Looping the Loop

Paiks Bildermix war nicht nur ein Modell, er profitierte auch noch von dem Erfolg des amerikanischen Musikkanals MTV (Music Television), der weltweit über Satellit oder Kabel einen 24-Stunden-Endlosloop der Musikindustrie sendet, ein Kult-Fernsehen, daß die Erfolge des Beat-Clubs von Radio Bremen Anfang der 70er weit in den Schatten stellte und selbst die rebellischsten Gegenbewegungen wie Punk bereits seit 1981 in sein Programmschema integrierte. Video wurde zum kommerziellen Standard, aber anders als es sich die Pioniere der ersten Dekade vorgestellt hatten. Die kritisch mit den Bildern und gegen die Systeme operierende Videokunst sah sich plötzlich rechts überholt von einer explodierenden Bildsprache, die zwar bei genauerer Betrachtung nur wenige Stilmittel unendlich variierte und zu einem Dauerloop formte, aber den skeptischen Fernsehzuschauern ein Wahrnehmungstempo abverlangte, daß diese schließlich kapitulieren ließ. Im Zuge der postmodernen Theorien setzte MTV ganz neue Bildstandards und "production values", die weder kritisch noch alternativ zu korrigieren waren. Die Videokunst geriet spätestens jetzt in den Ruch einer längst obsoleten Opposition oder eines peinlichen Dilettantismus. Mit MTV verwischten die Grenzen zwischen Kunst, Fernsehen und Kommerz vollends.[ 32 ] Die Frage stand im Raum: In welchem Kontext kann das elektronische Bild noch als ein künstlerisches wahrgenommen werden?

Die forcierte Wiederholung, der auf das Prägnanteste reduzierte Loop oder die permanent mutierende Bilderkette sind die logische Variation zum tautologischen Videofeedback der Generation der 70er Jahre. Als Material findet ein Künstler wie Klaus vom Bruch im Prinzip die ganze "Welt", denn die "Welt ist alles, was ins Fernsehen fällt"[ 33 ] , formuliert er noch 1999, salopp Wittgenstein paraphrasierend. Das Rauschen des Fernsehers ohne Signal wird abgelöst vom unendlichen Fluß der Programme. Die Sendelücken schließen sich, nach dem Videorecorder übernimmt nun auch das Zapping im Sinne Vostells die "Dé-coll/age" der Programmeinheit, und damit verabschiedet sich das Fernsehen endgültig von der Idee eines Sozialität begründenden Mediums, dem "Kaminfeuer", das Jan Dibbets schon 1969 in die Fernsehstuben zum Ende des Programms sendete.[ 34 ] Die These vom Fernsehen als Abbild der Realität, als "Fenster zur Welt", wurde nun offenkundig als mediale "Produktion von Welt" erkennbar. Adib Fricke karikiert diese narzißtische Selbstbezüglichkeit auch in der Kunstwelt, wenn er ein zufallsgesteuertes Sprachprogramm als scheinbaren Dialog zweier Rechner installiert. Der Kunstinteressierte schaut der sprachlichen und semantischen Akrobatik amüsiert zu, als handle es sich um ein digitales linguistisches Mobile. Mit "Ontom", "Smorp", "Yemmels", "Flogo" und anderen Wortschöpfungen geht Fricke später soweit, seine künstlerische Forschung mit dem Trademark "TWC" zu versehen. Man benötigt eine diversifizierte Produktpalette, wenn man "Welt" produzieren will, die sich auch verkaufen läßt.<-

10. "Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein."

Was so parodistisch daherkommt, weist auf eine der wesentlichsten Konstanten des Fernsehens hin: Im Gegensatz zum Kino oder zur Ausstellung bleibt der TV-Zuschauer eine virtuelle Größe - für die Kunst, die an Austausch und Kritik interessiert ist, eine untragbare Bedingung. Dennoch wurden von Anfang an Projekte zum interaktiven Fernsehen mit Skepsis aufgenommen, zumal wenn sie von staatlicher Seite lanciert wurden. Im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der BRD und der föderalen Struktur der ARD benötigten die deutschen Politiker ein "bildungspolitisches" Argument für die Privatisierung des Fernsehens über die Kabeltechnologie. Die Ludwigshafener Programmgesellschaft für Kabel und Satellitensendungen (PKS) fungierte daher als medienpolitisches Feigenblatt mit ihrem Konzept der "Offenen Kanäle", die nachdem amerikanischem Vorbild der Public-Access-TV-Stationen entstanden. Zu Anfang noch als Pilotprojekt mit Rückkanälen ausgestattet, die den Traum vom interaktiven Fernsehen zumindest in Form von direkter Programmbewertung als Ja - Nein oder simplen Multiple-choice-Fragen ins Visier nahm, rief dies jedoch im Jahr Orwells auch virulente Ängste der Bürger vor staatlicher Kontrollmöglichkeit der Privatsphäre hervor. Heute hat sich das weitergehende partizipatorische Konzept des Rückkanals und des Zweiweg-Fernsehens, von dem schon Paik träumte, auf die bloße Markt- und Quotenerfassung eines statistischen Querschnitts reduziert.

In den Offenen Kanälen kann jedoch noch heute jeder Bürger nach festgelegtem Schema freien Zugang zu einfachsten Produktionsmitteln und Sendeplätzen erhalten (einzige Bedingung für Equipmentausleihe und ein paar Stunden Schnittzeit: Die Produzenten müssen kostenlos senden!). Doch ließ sich weder die Alternativszene, die in ihrem Professionalisierungstrend keine unbezahlte Sendung hätte produzieren wollen, noch die künstlerische Szene zu einer nachhaltigen Nutzung dieser Kapazitäten bewegen. Zu diffus und kontaminös erschien der Kontext und ein nennenswertes Publikum war auch nach Jahren noch nicht in Sicht. Dieser Kontext, prinzipiell offen auch für linke wie rechte Positionen, konnte auch Fragen nach Zensur aufwerfen wie z. B.: Dürfen die islamischen Fundamentalisten ihre Propaganda staatlich gefördert senden? Der "Offene Kanal" - nicht dem Prinzip nach, aber als "real existierender Kanal"- erwies sich zumindest in utopischer Perspektive als Sackgasse, denn auch tolerante Medienbenutzer erwarten zurecht eine medial "ansprechende" bzw. "entsprechende" Aufbereitung der Information. Niemand erträgt auf Dauer langweiliges Fernsehen.[ 35 ] Ein Medium, das zu niemandem vermittelt, führt sich aber selbst ad absurdum.<-

11. Exkurs: Good morning, Mr. Honecker

Während im Westen die Angst vor dem Orwellschen Überwachungsstaat zunahm, auch wenn Paik 1984 die Negativ-Utopie Orwells mit seinem fröhlichen "Good Morning, Mr. Orwell" beantwortete, erlebten die Künstler der DDR spätestens mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1979 ihr Land als einen offen restriktiven Überwachungsstaat, der künstlerische Kritik auch nicht mehr im Ansatz zuließ. Untergrundszenen von Performern, Malern und Filmemachern bildeten sich, wie sie die Video- und Buchpublikation "Gegenbilder" ausführlich dokumentiert.[ 36 ] Der Fall der Mauer brachte hier eine Fülle künstlerischer Reaktionen. Auch wenn vor dem Fall der Mauer nur in seltenen Fällen das deutsch-deutsche Verhältnis Thema einer Arbeit war - eine Ausnahme war hier z. B. Hartmut Jahn mit seinem Tape "Deutsch-deutsche Fragmente"(1985) [MKI] - , reagierten Rike Anders, Egon Bunne, Antal Lux, Marcel Odenbach und viele andere direkt auf die Entwicklung in Deutschland nach dem Fall der Mauer. Wie sehr das Verhältnis BRD-DDR jedoch als propagandistisches Verhältnis verschiedener Massenmedien genauer zu analysieren war, erarbeiteten mit etwas mehr Abstand z. B. Frieder Schnock und Renata Stih(1997) [MKI] zum Thema Print-Propaganda oder Julian Rosefeldt und Piero Steinlezum Thema der TV-Nachrichten (1998) [MKI] [ 37 ].

Von dem elementaren Bedürfnis nach Informationsaustausch zwischen Ost und West profitierte im Frühjahr 1990 der Leipziger Piratensender Kanal X [MKI] (als Name mit einem Augenzwinkern zur Kategorie X-rated - "nur für Erwachsene" - in der amerikanischen Filmzensur).[ 38 ] Solange unklar war, wer was in der formal noch existierenden DDR zu sagen hatte und auch noch die Macht besaß, es durchzusetzen, solange konnten entstehende Freiräume besetzt werden. Kanal X, dessen Hardware als "Kunstwerk" vom westdeutschen Künstler Ingo Günther über die damals noch bestehende deutsch-deutsche Grenze transportiert wurde, installierte einen TV-Sender auf dem Dach des von der Bürgerbewegung "Neues Forum" besetzten "Hauses der Demokratie" in Leipzig und wurde so zum einzigen unabhängigen Fernsehsender in der Geschichte der DDR. Als "Kunstwerk" importiert, von einem Ost-Kurator (Joerg Seyde) und einem West-Künstler (Norbert Meissner) sowie einer Gruppe von Aktivisten über ein Jahr lang betrieben, gelang ein Transfer künstlerischer Impulse in die Massenmedien, der deutsch-deutsche Mediengeschichte schrieb. Diese war bis dato geprägt von den Auswirkungen der Propaganda des Kalten Krieges und einer medialen Hegemonie des westdeutschen Fernsehens über das ostdeutsche mit seiner legendären Magazinsendung "Der Schwarze Kanal" zur Denunziation der BRD. Während im institutionalisierten DDR-Fernsehen die Jugendsendung "1199" (Postleitzahl der Produktionsstätten in Berlin-Adlershof) erste Gehversuche in unabhängigem Journalismus und MTV-poppigem Tempo wagte (Katrin Willim z. B. mit ihrem Clip "Born in the GDR"), realisierte Kanal X aus der Illegalität heraus ein echtes Bürgerfernsehen, das auch als Exportmodell für Osteuropa gedacht war: "Ingo Günthers Absicht war es gewesen, hiermit einen Modellfall für autonome Oppositions-Medien in der gesamten Umwälzung in Osteuropa zu schaffen. So sollten auch der Sender und das Studio von Kanal X nach dessen Wandlung zu einer professionellen TV-Produktion nach Rumänien weiterreisen, wo sie allerdings noch bis zum heutigen Tage vom Zoll beschlagnahmt an der Grenze festliegen. Wie schon Lenin wußte, gelingt der Export von Utopien nur in seltenen Fällen."[ 39 ]<-

12. Windows 84

Vom "Fenster zur Welt" und dem Ausguck einer imaginierten Zentrale auf die Welt durch ein Netz von Überwachungskameras führt eine Entwicklung hin zum selbstreferentiellen "Fenster im Fenster". Ohne sich vielleicht des strukturellen Zusammenhangs bewußt zu sein, übertrugen die politisch Verantwortlichen, nicht ganz der liberalen Deregulierung trauend, das Prinzip des Apple-Betriebssystems mit seinen "Windows" (heute erfolgreich von Microsoft usurpiert) auf das Fernsehsystem der BRD. Auf der stets fliessenden Oberflächentapete des Kommerzfernsehens installierten sie per Gesetz kleine Zeitfenster für unabhängige Produzenten von "Qualitätsfernsehen", so daß indirekt auch die privaten Kommerzsender ihr Scherflein zum bildungsbürgerlichen Programmauftrag beitragen müsse. Plötzlich entstanden Nischen für z. B. die westdeutschen Produzenten Kanal 4 um den ehemaligen ZDF-Redakteur Carl Ludwig Rettinger oder die Firma des Filmemachers Alexander Kluge DCTP (Development Company for Television Programs), die mit Hilfe des "Spiegel TV" und des japanischen Konzerns Dentsu seitdem regelmäßig essayistische Sendungen programmiert. Wie ein U-Boot im Meer der ausufernden "Verdummung"[ 40 ] reizen sie den Kontrast zum kommerziellen Umfeld von RTL oder Sat 1 bis zum Äußersten aus. Alexander Kluge verband damit anfangs sogar die Hoffnung auf eine neue Art von Kinematografie. Das reduzierte Design mit Reminiszenzen an die Zwischentitel der Stummfilmära wirkte auch stilbildend für eine neue, Bild und Text verbindende Magazinform, aber die unvorstellbare inhaltliche Dominanz des Interviewers Kluge wie auch die hochkulturelle Esoterik ließ nicht nur den RTL-Chef Thoma an den Sendungen verzweifeln. Mit der Etablierung des deutsch-französischen Kultursenders ARTE verloren diese "Fenster" schließlich an Bedeutung. Die "Säuberung" in eine diversifizierte Produktpalette von Programmkanälen hatte begonnen.

Doch zuvor wurde der Siegeszug der Privatsender noch begleitet von durchaus unerwarteten Experimenten: 1989 organisierten die Bonner Galeristin Philomene Magers und der Kunstjournalistin Regina Wyrwoll ein einwöchiges Experiment. Der "Kunstkanal" [MKI] auf RTL plus präsentierte eine ungewöhnliche Mischung aus Kunstberichterstattung, künstlerischen Tapes und medialen Interventionen.[ 41 ] Daß die "Appropriation" der Privatsender kein Modell einer längerfristigen Kooperation sein konnte, versteht sich von selbst, auch wenn RTL in der Folge immer wieder einer publikumswirksamen Präsentation von Kunst in bezug auf das Fernsehen aufgeschlossen war, wie z. B. 1997 die Unterstützung der Ausstellung "Der Traum vom Sehen" zur Kulturgeschichte des Fernsehens unter Beweis stellte.[ 42 ]<-

13. Distribution und Präsentation

Das Fernsehen wiederholte damit eine Entwicklung, wie sie auch im eher unfreiwillig gewählten "Exil" der überall boomenden Videofestivals sich zeigte. Diese Ära setzte im deutschen Raum ebenfalls 1984 mit der Videonale Bonn und dem Marler Video-Kunst-Preis ein.[ 43 ] Sie trugen der Tatsache Rechnung, daß weder die Integration/Infiltration des Fernsehens noch der Galerien/Museen für das künstlerische Medium Video von Erfolg gekrönt war und somit eine regelmäßige Präsentation und Förderung dringend not tat.[ 44 ] Die damals noch vorherrschende Form des Videotapes schien einerseits einen regelrechten Boom zu generieren (eine Frage der besseren und billigeren Videostandards, aber auch dies nicht zuletzt ein MTV-Effekt), andererseits zur virtuellen Unsichtbarkeit verdammt. Die boomende künstlerische Produktion fand noch immer keine Gelegenheit zu öffentlicher Aufmerksamkeit. Der Publikumserfolg der Neuen Wilden, die Kommerzialisierung des MTV-Modells, die mit Furor geführten Grundsatzdebatten von Filmemachern[ 45 ] und Fernsehprofis, die Skepsis der Galeristen und die historisierende Perspektive der Museumskuratoren, all dies ließ das Bedürfnis nach einem eigenen Ort der Aktualität, des Austauschs und der Diskussion entstehen. Die bewußte Abkopplung von diesen höchst negativ aufgeladenen Kontexten ließ eine bis heute stark vernetzte Medienkunstszene erst entstehen, die auch andere Distributionsformen jenseits des etablierten Kunstmarktes erprobte.[ 46 ] Neue Querverbindungen wurden lokal wie formal gesucht. "Fusion" allerorten: in der Musik wie beim bewegten Bild. Film, Video, Videogames und Computeranimationen schufen eine neue, multiperspektivische Bildsprache jenseits der kanonischen Kunsttradition.<-

14. Crossculture

Heterogenität, prozessuales Denken und kollektive Produktion im medialen Raum trägt zur Durchkreuzung hegemonialer Ansprüche bei. Einer der wichtigsten Motoren dieser dynamischen Gruppenprozesse war das netzwerkartige Projekt Infermentalvon Gábor und Vera Bódy [MKI] , das sich von 1980, dem ersten Ideenentwurf, bis zu seiner Auflösung 1991 als ein Informationsspeicher definiert hat, der jenseits aller Schablonen und Kategorisierungen einmal im Jahr an einem anderen Ort der Welt ein Periodikum von vier bis sechs Stunden visuellen Materials kompilierte. Die Videocassette erwies sich als ideales Zirkulationsmedium. Ein Manko, wenn auch nur aus heutiger Sicht, war die zu wenig verbreitete und teure Nutzung der Bildplatte bzw. Videodisc, die einen punktuelleren Zugriff und eine bessere Realisierung des Magazingedankens ermöglicht hätte.[ 47 ] Dieser einzigartige Speicher der Trends, Theorien, Bilder und Bewegungen der 80er Jahre vermittelt auch einen Einblick in die Topoi der Medienkünstler: New Narrative oder die Subjektivitäten von Helden und Exzentrikern waren durchgängige Genres; 1985 wurden globale Phänomene als Ethno-Mondiale und Ethno-Occidentale untersucht; postmoderne Theorien schienen das Interesse an "Ritueller Mechanik", "Media Mystik" und "Simulacre" zu nähren, während 1986 eine komplette Edition unter dem Titel "The Image of Fiction" kompiliert wurde, ein Titel, der sich auf einen Großteil der künstlerischen Bänderproduktion der 80er Jahre beziehen läßt. Selbst die Analysen des Überwachungsstaates wie "Der Riese" [MKI] , zusammengesetzt allein aus Aufzeichnungen von Überwachungskameras, folgte einer narrativen Filmlogik in der Montage und im Soundtrack. Die Mediatisierung der Lebenswelt, gerade am Vorabend des Orwellschen 1984, wurde als umfassende Fiktionalisierung der Gesellschaft gefeiert - "We need more fiction" (Jean-Paul Fargier) - oder aus kritischer Sicht denunzieren. Den Prozeß des Übergangs vom "Fenster zur Welt" zur globalen "Produktion von Welt" überhaupt erst anschaulich werden zu lassen, das gelang dem "Crosscultural Television" von Antoni Muntadas und Hank Bull (1986). Das im Rahmen von Infermental distribuierte einstündige Kompilationsband visualisierte die Formen der globalen TV-Hegemonie, indem die strukturellen Gemeinsamkeiten der Fernsehformate auf der ganzen Welt kompiliert und analysiert wurden.[ 48 ] In dieser Veranschaulichung einer Fiktionalisierung und medialen Formatierung unserer Wahrnehmung wird die Herkunft des Begriffs "Crossculture" aus der amerikanischen Kultursoziologie auf das Medium Fernsehen und den Kontext Kunst übertragen.

Festivals boten für grenzüberschreitende und vernetzte Projekte einen idealen Ort der Präsentation und Kommunikation, deren Produktion zuallererst sich aus anderen Lebens- und Arbeitszusammenhänge generierte. "Cross Culture" nannte Wolfgang Max Faust bereits 1985 auch das Phänomen einer Gegenstrategie zu den sich isolierenden Subkulturformen, die sich jenseits aller Formatfragen mit Gruppenphänomenen verbindet: "statt der Isolation die Verkettung, die permanente Vermengung von Eigenem und Fremdem".[ 49 ] Im Gegensatz zum Jazz, Rock und Pop mixende Fusion-Begriff, mit dem etwa die Musiker und Performer der "Notorischen Reflexe" operierten, verblüffte die Berliner Gruppe "Die Tödliche Doris" mit dem Konzept des "Durchkreuzens" von Stilen, Erwartungen, Traditionen. Ihre mediale Haltung bestand weniger in der Verbindung von Musik und Bild, Play und Replay, als vielmehr in der Schaffung einer eigenen Art von privater Öffentlichkeit und der parodierenden und dilettierenden Verkettung von Medien, Aktionen und Konzepten. Unterschiedliches zusammenzufügen, ohne ein Drehbuch oder eine übergeordnete Struktur zu verfolgen, die Lust an der Überkreuzung und Konterkarierung, das dilettierende Basteln als Antwort auf kommerzielle "production values", ein bewußtes Außenseitertum mit Affinitäten zum fröhlichen Abseits und dem parasitären Zitat - der Werkbegriff und das Konzept einer autonomen Kunst werden zwar nicht negiert, aber sie stehen hier nur probeweise neben einer Reihe anderer Aggregatzustände von "Die Tödliche Doris". Kunst und Leben sind auch in Zeiten des postmodernen Diskurses ineinander verwoben, aber als eine vielfältige mediale Praxis ohne utopischen Anspruch.

In der Post-Punk-Ära Mitte der 80er Jahre in Berlin beharrte "Die Tödliche Doris" auf Widerspruch zur Vereinnahmung. Dies macht sie zum paradigmatischen Aushängeschild einer Crossculture-Szene, die sich gerade nicht als "Szene" begreift, sondern als Gast in den verschiedensten Kontexten. Von dieser Praxis des selbstverständlichen Agierens in unterschiedlichsten Rollen lassen sich, gerade auch aus Sicht der Positionen der 90er vielfältige Verknüpfungen herstellen zu den frühen Performern als Dienstleistern in der Kunst wie M. Raskin Stichting Ens. oder der Gruppe um Minus Delta t, aus der später das Ponton European Media Lab [ 50 ] hervorgegangen ist. Die Produzenten agieren in variablen Kontexten: Musiker und Künstler Carsten Nicolai spielt z. B. sowohl auf dem Klavier der Plattenlabel wie dem der musealen Präsentation. Allein die Wahrnehmung des Publikums hinkt hinterher: Zeitgenossenschaft dokumentiert sich noch immer vornehmlich in geschlossenen Kreisen der Kunst- oder Musikszene.<-

15. Intermezzo: Video-Skulptur

Ganz unberührt von diesen querlaufenden, anti-institutionellen Entwicklungen wurde gegen Ende der 80er Jahre ein finanzielles wie technologisches Handicap der Videokunst deutlich: die Abhängigkeit von den Sponsoren der Industrie, ohne die keine größere Ausstellung zu finanzieren war. "Video-Skulptur aktuell und retrospektiv 1963-1989", von Wulf Herzogenrath und Edith Decker 1989 in Köln, Berlin und Zürich präsentiert, inszenierte mit der Hilfe von Sponsoren wie u. a. RTL eine Schau der Superlative, der es zu verdanken ist, daß das Medium Video nach einem Vierteljahrhundert faktischer Außenseiterexistenz und eines bereits nachhaltigen Revivals zur documenta 8, 1987, endgültig an den Kunstmarkt gekoppelt werden konnte. Die Popularisierung konnte jedoch wohl kaum früher erfolgen, da erst die vollkommene Umgestaltung des Fernsehens in den 80er Jahren den Boden bereitet hatte. Überdimensionierte Installationen von Nam June Paik oder Marie-Jo Lafontaine setzten mit monumentaler Macht visuelle Verführungskünste ein. Eher kritisch operierende Positionen wie Marcel Odenbach, Klaus vom Bruch oder Dara Birnbaum profitierten zwar von der Popularitätswelle, konnten aber keine spezifisch neuen Akzente mehr setzen.Video hatte sich vom konzeptuellen zum sinnlichen Medium gewandelt, mit den Elementen des Fernsehens wie der Kunstgeschichte zitatweise souverän spielend. Dem Vorwurf des postmodernen Beliebigkeit widerstanden die auf dem materiellen Aspekt beharrenden Videoskulpturen. Die über einige Jahre nun herrschende Dominanz des Skulpturbegriffs im Zusammenhang mit der Medienkunst war ein populistischer Rückschritt, sei es aus Gründen der Vermarktung oder, wie Vito Acconci schon früh vermutete, des "schlechten Gewissens"[ 51 ], der sich in den 90er Jahren beinahe so schnell dem Wandel des Kunstverständnisses beugen mußte wie zuvor die schnell verheizten neo-expressiven Maler. Installationen begannen, sich von allen Referenzen auf einen realen Objektcharakter eines Werks zu befreien und eine Ära der reinen Bildinstallation, linear oder interaktiv, einzuläuten. Die poetische Fusion paralleler, sich überlagernder, konkurrierender, kommentierender Erzählungen im elektronischen Bild spiegelt dabei in nuce das Prinzip der Videoinstallation, d. h. die räumliche Aufspaltung einer Erzählung oder eines visuellen Konzepts in mehrere Kanäle.<-

16. Copy-and-Paste oder die produktiven Verkettungen der 90er Jahre

Die Geschlossenheit des skulpturalen Werks, die Beliebigkeit der ausufernden Produktion von Artefakten, an der Paik kräftig mitstrickte, und das wachsende Desinteresse junger Künstler und Künstlerinnen an einer musealen Präsentation im "White Cube" lassen die Videoskulptur als Intermezzo auf dem Weg zum offenen medialen Kunstwerk erscheinen. Die Bezüge und Affinitäten der heterogenen und multimedialen Produzentengruppen der 80er Jahre zu den aktuellen Positionen der 90er Jahre unter dem Vorzeichen eines vernetzten Kontextes spannen retrospektiv das sinnfälligere Netz. Die (emotionale) Partizipation, Grundlage vieler interaktiver Installationen, und die Faszination durch potentiell offene Strukturen weist auf ein Phänomen hin, das sich mit der öffentlichen Inszenierung von Arbeitsprozessen, Workshops und Kommunikationsorten in Bezug setzen läßt.[ 52 ] Heute wie damals wird die prozessuale Verkettung disparater Elemente und Low-Tech-Produktionsformen öffentlich ausgestellt, ein Work-in-progress mit emotionaler Beteiligung des Publikums. Die Intimität wie Absurdität der ausgestellten Dialoge eines Paares, dessen Internetkommunikation inklusive der Widersprüche, Mißverständnisse und Redundanzen Christian Jankowski [MKI] ausstellt , nutzt genau diesen Prozeß einer ständigen Verkettung weiterer Medialisierungen: vom Internet zum Theater zum Video zur Ausstellung. Nichts, was nicht über "copy" und "paste" in neue Kontexte eingesetzt werden könnte. Auf der anderen Seite wendeten sich Felix Stefan Huber und Philip Pocock gegen die Subsumierung unter einen zu eng gefaßten und vordefinierten Kontext der "Netzkunst" in einem Computer- und Arbeitsambiente bei der documenta X, 1997. Für ihre "Travel as art"-Projekte ziehen sie das temporär als Lebens- und Arbeitsraum umfunktionierte Museum vor. Die Medien spielen hier zwar die dominante Rolle in der Konstruktion von Erzählung, bleiben aber der oft sehr materialreichen Form der Präsentation untergeordnet.[ 53 ]

Zwischen Appropriation des Museums und anti-institutioneller Kritik changiert ein ganzes künstlerisches Spektrum. Der "White Cube" der 80er Jahre ist inzwischen einem öffentlich ausgestellten Privatraum gewichen, der die Subjektivierung in der Kunst als Schnittmenge und Archiv verschiedenster privater wie öffentlicher Faktoren begreift. Zu den zeitgenössischen Modellen der Dislozierung von Kontexten zählen die Aktionen Johan Grimonprez' mit seinen Video-Lounges, des Thailänders Rirkrit Tiravanija, der art club berlin, der die Präsentation von Videos mit einem mobilen Clubsystem verbindet, oder auch Künstler wie Carsten Nicolai [MKI] und Daniel Pflumm [MKI] mit ihrem Crossover zwischen Clubszene und den Zentren zeitgenössischer Kunst. Eine "Fusion" zwischen Club und Museum ist weder möglich noch überhaupt erwünscht. Doch zeugen diese Grenzgänger von einer multimedialen und multilokalen Präsenz der Künstlers. Subkultur, Kunst und Kommerz in der Technobewegung koppeln sich zu einer breiten Bewegung, bewußt mit den Rahmenbedingungen der kapitalistischen Gesellschaft spielend. So spiegelt das Loopen von Corporate Identity Logos und die Generierung sowie Parodierung der bekanntesten Markennamen die Konsequenz einer totalen Innenansicht unserer Gesellschaft. Die Fusion im Sinne der Verschmelzung der Differenzen und der Kreierung eines neuen Stils war noch ein Anliegen der One-World-Generation, die Player und Kombattanten der 90er Jahre haben an die Stelle einer ganzheitlichen Vision nun eine "hybride" Praxis gesetzt. So verweist der "HybridWorkSpace" der documenta X sowohl etymologisch gesehen auf sein Zwitterwesen und seine Ambivalenz, als auch auf die vielfach aufscheinende Hybris, auch innerhalb des Kunstkontextes dezidiert an nicht-ästhetisierenden Praktiken festhalten zu können.<-

17. Forum

All die Künstler und Künstlerinnen in den Clubs, Galerien und auf den Festivals, die an den vielfältigen Verbindung von Kunst und Netz arbeiten, stehen im Gegensatz zu Versuchen, genau dieses individualistische Kunstschaffen gänzlich für einen offenen demokratischen Diskurs einer Gemeinschaft aufzugeben, der auf die Gesellschaft Rückwirkungen hat. Wolfgang Staehle, der Begründer des Netzwerks "The Thing" [MKI] in New York, hält 1992 erneut das vehemente Plädoyer der 60er Jahre für den Künstler als gesellschaftlichen Akteur: "Der Kunstkontext ist machtlos, wir wissen alle warum. Die Realität wird woanders konstruiert, und wenn wir als Künstler, Schriftsteller oder sonst was da mitreden wollen, müssen wir diese ganzen so viel mächtigeren Medien unterwandern, damit wir dafür sorgen können, daß unsere Stimme gehört wird."[ 54 ] Als eine der ersten hat das Ponton European Media Lab mit seinem Van Gogh TV auf diese Herausforderung reagiert und den wohl weltweit bekanntesten Versuch für eine interaktive TV-Plattform zur documenta 9, 1992, unternommen. Ihre "Piazza virtuale" [MKI] wurde kritisch und hämisch als Hallo-TV klassifiziert, doch andererseits in seiner Potentialität ebenso euphorisch von den Medienaktivisten begrüßt. Ingo Günther zählte ebenso dazu wie der damalige Leiter der documenta, Jan Hoet. Auch das öffentlich-rechtliche Satellitenfernsehen 3sat beteiligte sich in der Hoffnung, hier einen Vorgeschmack auf seine eigene Zukunft zu bekommen.

Erfolg und Mißerfolg der "Offenen Kanäle", die von der Netz Community heute simplifizierend mit der Existenz geheimer oder offener Zensur linker und innovativer Produktionsformen in Verbindung gebracht wird,[ 55 ] sind in den 90er Jahren angesichts einer neuen partizipatorischen Technologie wieder ein wichtiger Vorläufer in der Diskussion um "Elektronische Cafés", "virtuelle Foren", "Webcams" etc. Spuren der frühen, eher anarchischen Ideologie tauchen plötzlich vermittels des neuen Mediums Internet wieder auf. Die Philosophie des Webcastings der Berliner Netzaktivisten von "convex tv." dient hier als Schlaglicht: "In den Traditionen von Do-It-Yourself-Kultur, Piratenradio, Audio Art, Improvisation, Feintune-Journalismus etc. senden temporäre Kollektive und Einzelpersonen von ihren Rechnern aus meist irreguläre Programme, die im Zweifelsfall auch ohne Publikum oder content auskommen wollen. [Š] Die widersinnige Forderung, jedem sein eigenes Massenmedium' erfindet sich hier ihre eigene Kulturpraxis des dezentralen Webcastings. Wenn jeder ungleichzeitig sendet, entstehen zusätzliche Kanäle von selbst."[ 56 ] Die medienpolitisch entscheidende Botschaft steckt in "dezentral" und "eigen". Aber was heißt das konkret? Jeder produziert am Ende parallel und wieder "hört oder guckt kein Schwein zu"? Alle Webnarziße verfolgen nur ihre eigenen Sendungen, besessen von der permanenten Produktion? Web-TV oder Web Anti-TV für einen Kreis von Insidern und Ingroups? Erst mit speziellen Events scheint sich überhaupt eine Aufmerksamkeit für solch vernetztes Senden herstellen zu lassen, wie schon die "Piazza virtuale" der documenta 9, die ja auch eine "piazza reale" vor Ort war, bewies.

Zwar beginnen wir erst, das Potential des Webcastings mit der Verbesserung der Software zum Videostreaming zu erahnen, doch die problematische Kopplung von Technologie und medialer, gar künstlerischer Wirkung ist damit auch in Zukunft nicht lösbar. Low-Tech und Do-It-Yourself, heute kurz DIY, werden als subversive Strategien ohne Anspruch auf "Reichweite" geschätzt. Von ATV, dem "Alternativ TV", zu UTV, "Unserem Fernsehen" [MKI] gibt es eine immer wieder aufflackernde Diskussion utopischer Fernsehkonzepte, die einen prinzipiellen Rollentausch zwischen Produzenten und Rezipienten vorsehen. Im geschützten Kunstkontext können Funktionen öffentlicher Räume umdefiniert werden, ein funktionierendes Fernsehmodell werden UTV oder "convex tv." dadurch nicht. Die Aktivisten bleiben, daran wird sich auch im 21. Jahrhundert nichts ändern, eine kleine radikale Minderheit.

"Zeitgebundene Information und Random-Access-Information unterscheiden sich durch den Prozeß des Abrufens. Das "Buch" ist die älteste Form von Random-Access-Information. Der einzige Grund, weshalb Videobänder so langweilig und Fernsehen so schlecht ist, ist, daß sie zeitgebundene Information sind."[ 57 ] Nam June Paik, wohl der früheste Visionär multimedialer Interaktion, kann 1980 nicht voraussehen, daß gegen Ende des Jahrhunderts das lineare Videoband in Form von Videoinstallationen und räumlichen Projektionen ein überraschendes Revival erfährt - der Erfolg von Pipilotti Rist [MKI] wie der Erfolg der jungen britischen Kunst (Douglas Gordon, Tracey Emin u. a.) ist eindeutiges Indiz dafür. Wie in einem langen Gärungsprozeß scheint traditionelles Museumsterrain endlich reif für mediale Aktivitäten. An der Schwelle zur Institutionalisierung, Etablierung finden wir genau für die Arbeitsfelder einen beginnenden Prozeß der Historisierung und "Archäologie", die nicht mehr mit der neuesten Technologie assoziiert werden - in diesem Fall das auch technisch bald obsolet gewordene Videotape.[ 58 ] So wird verständlich, daß z. B. 1999 das Museum für Neue Kunst im ZKM eine große Ausstellung unter dem Titel "video cult/ures" ausschließlich diesem Medium widmen kann und sich damit zugleich im Einklang mit dem Kunstmarkt befindet. Die im Boom der 80er Jahre entstandenen Sparten und gattungsspezifischen Ableitungen der "Video-Kunst"sind aufgegangen in einer "Video-Kultur" von Klaus vom Bruch bis Daniel Pflumm, Nam June Paik bis Pipilotti Rist. Die Selbstverständlichkeit des Umgangs mit dem Medium, für die 80er Jahre reklamiert, kann man nun tatsächlich konstatieren. Video ist ein unspektakuläres Medium unter vielen anderen geworden, sei es im Club, im Museum oder im Fernsehen, wovon auch die langjährige Zusammenarbeit des ZKM mit dem Fernsehsender SWR in der Ausrichtung des "Internationalen Videokunstpreises" zeugt.[ 59 ] Die öffentlich konsumierbaren elektronischen Bilder im Fernsehen, der Werbung oder den Clubs sind formal von entwaffnender Experimentierfreudigkeit. Paik hat spät, aber umso nachhaltiger Schule gemacht. Ob diese elektronischen Ikonen allerdings noch etwas jenseits der Retina bewirken, kann getrost bezweifelt werden. Die Videokunst hat sich in eine mediale Praxis verwandelt, die Ko-produzent ihrer eigenen Auflösung ist.

Doch die technologische Front hat sich nur verschoben. Die Netzkunst steht vor den Toren der Kunsttempel, die sich wahrscheinlich erst dann öffnen werden, wenn auch diese Kunstform technologisch überholt ist und der Hype der Medienkunst sich auf ein wieder neues Terrain verlagert hat. Die strukturelle Affinität eines Museums zur distanzierten Beobachtung aktueller Tendenzen wird auch in Zukunft die Oberhand behalten. Und die Zentren zeitgenössischer Kunst stehen heute so perplex vor dem Phänomen des Internets wie in den 70er Jahren vor dem Medium Video. Einzig die digitalen Museen der 90er Jahre tragen der Tatsache Rechnung, daß heutzutage die multimediale Kunstpraxis zu einem Großteil ohne die technische Infrastruktur und die personelle Unterstützung von Häusern wie dem ZKM, dem Ars Electronica Center in Linz oder dem ICC in Tokyo nicht denkbar ist. Aber ist es nicht nur eine Frage der Zeit, bis jeder sich einen Silicon-Graphics-Echtzeitrechner leisten kann, so wie heute schon jeder in der Lage ist, am eigenen Rechner Video digital zu editieren? Gerade die neu entstandene "Netzkunst" ist nicht mehr auf die technische Unterstützung durch Institutionen angewiesen. Künstlerische Prozesse vom Rechner zu Hause in Gang zu setzen, ist ökonomisch, praktisch und schnell in der Distribution. Den Institutionen bleibt tendenziell nur die Aufgabe, diese vielfältigen Aktivitäten gebündelt im öffentlichen Raum zur Diskussion zu stellen.[ 60 ]

Die "digitale Gesellschaft" (Richard Kriesche) generiert hybride Formen, die das zukünftige elektronische Kino andeuten. Das von fast allen MedienproduzentInnen praktizierte technologische "Crossover" zwischen den Produktionsformaten, zwischen analog und digital, zwischen Film, Video, Fotografie, Text und Computer, führt auch die letzten kunsthistorischen Bemühungen, den Status eines Originals der Medienkunst fixieren zu können, ad absurdum. Der Marktwert eines Medienkunstwerks basiert nur noch auf einem Vertrag mit dem Museum oder Händler.[ 61 ] Vom Kontrakt des Zeichners zum Kontrakt des Medienkünstlers - hier wie dort können im Copyright Täuschung und Tauschwert in direkter Korrelation stehen. Es ist dagegen gerade ein hervorragendes Merkmal der Künstlergeneration der 90er Jahre, real oder simuliert dem Gebrauchswert auch der medialen Kunst wieder zu seinem Recht zu verhelfen. Georg Winters "Telegrooming" [MKI] liefert hierzu ein vorbildliches, an der Praxis orientertes Modell zur Stärkung "achtsamer zwischenmenschlicher Beziehung" wie generell auch zum Umgang mit "hohen audiovisuellen Reizmengen, wie sie bei der Bildschirmarbeit und der Television vorkommen. Durch Übungen mit Fingern, Händen und den Augen kann im Sinne vertrauensbildender Maßnahmen (soziale Fellpflege) ein mediatoxisches Feld entspannt werden."[ 62 ]

Georg Winters konzeptueller Ansatz weist mit trockener Ironie auf die Tatsache hin, daß sowohl eine Überdosis Medien wie eine Überdosis Kunst oder eben auch eine Überdosis Medienkunst per definitionem toxisch wirken. Je nach individueller Disposition ist es also ratsam, einfache Gegenstrategien zu jeglicher Fixierung auf institutionelle, formale oder interpretatorische Hegemonien zu verfolgen. Die Künstler der 90er Jahre beharren von daher auf parallelen, ergänzenden oder auch konkurrierenden Aktivitäten, die sich schnell und effizient an den einen oder anderen Kontext ankoppeln lassen. "Offene Handlungsfelder" (Peter Weibel) durchkreuzen und besetzen sie temporär, ohne den Gang durch die Institutionen wie Museum oder Fernsehen absolvieren zu müssen. Aber auch die Narration, der zitatreiche oder analytische Rekurs auf eine narrative Bildsprache gehört zu den erfolgreich praktizierten Modellen wie die Installationen von Pipilotti Rist, Christoph Girardet, Douglas Gordon u.a. bekunden.[ 63 ] Sie müssen weder wie die Generationen vor ihnen eine fehlende Anerkennung im Kunstkontext provokativ einklagen, noch gegen eine übermächtige Technologisierung rebellisch dilettieren. Sie sind mit dieser schon von Beginn an verwachsen und operieren aus einer intimen Kenntnis der öffentlichen Images wie der Informationsgesellschaft und ihrer Medientools. High und Low Tech stehen ihnen gleichermaßen und immer schon zur Verfügung. Sie können immer dann mit privater wie öffentlicher Aufmerksamkeit rechnen, wenn ihre subjektiven Modelle und Inhalte eine authentische Auseinandersetzung ermöglichen, die sich einem reinen Kunstdiskurs entzieht. Bei aller berechtigten Skepsis gegenüber einem heutigen Begriff von Authenzität, scheint mir nicht die unendlich wiederholte, aufklärerische Entlarvung der Medialität unserer Erfahrung weiter zu führen, sondern eher der Versuch, in einen intensiven Dialog/Polylog mit einem Ort, einem Kontext und vor allem einem Gegenüber zu treten.<-

 

 

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