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Deutsch

Godard, Jean-Luc
»Interview mit Jean-Luc Godard«

Das Interview führte Wilfried Reichart:

[Excerpt]
[...] Ich habe Jean-Luc Godard Ende November 1976 zwei Tage in Grenoble besucht. Ein paar Tage vor seinem 46. Geburtstag. Während eines Jahres hatten wir immer wieder telefoniert, Termine vereinbart, die dann Godard wieder absagte. Offenbar hatte er keine große Lust, ein Fernsehteam in seinem Video-Studio zu empfangen. Doch dann klappte es. Er erinnerte sich, daß wir 1971 in Köln ein längeres Gespräch über seine politische Filmarbeit geführt hatten; das Thema des neuen Gesprächs sollte seine Arbeit mit Video in Grenoble sein. Einen Tag lang zeigte er mir Kassetten von seiner jüngsten Produktion »Sixfois deux« (Sechs mal zwei), die er für das »Institut Nadonal de l'Audiovisuel« machte. Am nächsten Morgen trafen wir uns zu dem Interview, das etwa zwei Stunden dauerte; 70 Minuten davon wurden aufgezeichnet. ...

Das Studio Sonimage, in der Rue de BeIgrade – zwei mittelgroße Räume – wirkte wie Ausstellungsräume für Video-Geräte, mit Holzregalen an den Wänden, in denen Videokassetten aufbewahrt werden, schön aufgereiht Videokameras von Shibaden und Hitachi, Videoanlagen für PAL und SECAM, Amplifier, Tuner, sauber an der Wand Kabel aufgehängt, Monitore, ein kleiner 16mm Projektorenraum.
Die Einrichtung soll 500.000 Dollar gekostet haben, die die Produzenten Rassam und Seydoux aufgebracht haben. Hier arbeitet Godard mit Anne-Marie Miéville, mit
der er auch befreundet ist. Sie können produzieren, experimentieren, arbeiten, ohne gleichzeitig darüber nachdenken zu müssen, wie sich das Untemelunen amortisiert. Die Geldgeber setzen auf den Namen Godard und das ist sicher auch mit der Grund, daß es zu den sechs Sendungen kam, die im August 76 im regionalen Fernsehen (FR 3) ohne Kürzungen oder Veränderungen ausgestrahlt wurden. ...

Erste Rolle

Wilfried Reichart: Zwischen 72, wo Sie »Tout va bien» (Alles geht gut) gedreht haben, und 75, wo Sie »›uméro deux« produziert haben, war, glaube ich, eine Zeit der Reflektion. Können Sie ein bißchen erzählen, wie Sie Ihre Arbeit bis 72 reflektiert haben und wie die Idee, mit Video zu arbeiten, entstanden ist?

Jean-Luc Godard: Nein, ich glaube nicht, daß man das erzählen kann. Man kann Bilder zeigen, aber man es nicht nicht erzählen. Ich weiß nicht, wie man es sagen soll. Wir haben früher gedreht, und heute produzieren wir. Ich ziehe es vor, produzieren zu sagen, wie ein Industrieller.

WR: Die Erfahrung der Gruppe Dziga Wertow, wollten Sie das nicht weiterführen?

JLG: Oh, diese Gruppe, das waren zwei Leute. Wir sind heute immer noch zwei Leute, also eine kleine Gruppe.

WR: Wie haben Sie in der Dziga Wertow-Gruppe gearbeitet? Und warum haben Sie sich von Gorin getrennt?

JLG: Wir trennten uns von Gorin in dem Moment, wo wir ein bißchen mehr Produzent sein wollten im industriellen Sinne. Und wir dachten, dap man auch schreiben müßte. Und es gibt Augenblicke, da muß man wissen, Zahlen zu verbinden und schließlich auch Buchstaben zu verbinden. Daß man also ein bißchen mehr machen muß, nicht einzig und allein Autor sein und ein wenig Produzent. Wenn man Produzent ist, kann das dem Autor neue Ideen geben. Es war der Versuch, ein bißchen unabhängig zu sein. Etwas Eigenes zu haben. Alle Leute ziehen es vor, ihr eigenes Haus zu haben, statt eine Wohnung zu mieten.

WR: Haben Sie jemand gefunden, der die Gesellschaft Sonimage gegründet hat? Wie war das?

JLG: Nein, das ist eine alte Gesellschaft, die seit langer Zeit existiert, die ihren Namen gewechselt hat, die aber ein Produktionsinstrument war, um nicht eliminiert zu sein, um die Rechte zu haben, um die Möglichkeit zu haben, mit den Produzenten zu sprechen, nicht so sehr als Regisseur, denn als Produzent.

WR: Erklären Sie ein bißchen, wo Sie die Chance sehen, mit Video neben dem Film zu arbeiten.

JLG: Das ist ein Instrument, eine gegenwärtigere, neue Technik. Sie ist sozial noch wenig festgefahren. Oder, es gibt noch wenig festgefahrene Stellen. Und deswegen kann man vielleicht dieses Instrument ein wenig anders benutzen. Man kann es eher benutzen, als man von ihm benutzt wird.

WR: Sie haben gesagt, das Bild in Video ist weniger tyrannisch als das Bild im Film. Was soll das heißen?

JLG: Das heißt, die Art, es herzustellen, kann weniger tyrannisch sein. Im Kino ist heute alles, wie in der Literatur, sehr gut organisiert. Es gibt eine gewisse Kette, die man immer wieder durchläuft, auf dieselbe Art, und auf die Dauer hat man nicht mehr viele Ideen. Das ist unvermeidlich.

WR: Wie haben Sie »Numéro 2« (1) gedreht: Das heißt, wie haben Sie Leute gefunden? Haben Sie Dialoge geschrieben? Haben Sie mit Leuten gesprochen? Kannten Sie Leute, und haben Sie die Leutesprechen lassen in Numéro 2?

JLG: In »Numéro 2« habe ich nichts erfunden. Ich habe nur bereitgestellt. Den Dialog eines kleinen Mädchens zum Beispiel, den kann ich nicht erfinden. Sein Vater hat beim Film mitgearbeitet. Er hat mir was erzählt und in diesem Moment sagte ich, gut, wir werden es noch eirunal spielen. Wir baten das Mädchen, etwas zu sagen, und so hat es seinen Dialog erfunden. Es hätte auch ein anderes kleines Mädchen sein können, unser kleines Mädchen, unser kleines Schauspieler-Mädchen hätte etwas einem anderen kleinen Mädchen sagen können, und die hätte es wieder gesagt. Wir haben uns nur zur Verfügung gestellt. Wir haben gesagt, versuch, ob das geht, und sie hat dann was gesagt.

WR: Sie produzieren für welchen Markt, wenn man das sagen kann, in Video? Wo kann man das sehen, was Sie produzieren?

JLG: Aber nein, man kann es nicht sehr gut sehen, weil wir ein Kino machen, was nicht mehr existiert, mit den Mitteln eines Fernsehens, das noch nciht existiert. Noch nicht. Wir sind verloren.

WR: Aber Sie haben für das Fernsehen produziert, »Six fois deux« (6 x 2) wie war das?

JLG: Das war gut, weil es tatsächlich vor dem Publikum geschah, wie es sollte. Vor 200 000 oder 300 000 Zuschauem auf einen Schlag. Das war, als hätte ich einen Film gemacht, den über 200 000 Zuschauer gesehen hätten. Man hätte gesagt: ein großer Erfolg. Und hier, da es das Femsehen war, sagt man, ein großer Mißerfolg. Für mich ist das ein großer Erfolg. 300 000 Briefe auf einmal verschicken zu können ...

WR: Hatten Sie alle Freiheit zu drehen, wie Sie wollten? Und diesen Film in Video zu machen, wie Sie wollten?

JLG: Gut, wir hatten alle Freiheit. Aber ich weiß nicht, ob man machen kann, was man will. Wir haben niemals gemacht, was wir wollten. Wir machen, was wir können. Wir hatten alle Freiheit zu machen, was man kann. Das Beste, was man innerhalb einer bestimmten Zeit machen kann. Wir konnten es nicht besser machen. Selbst wenn es weniger gut ist, sage ich, wir konnten es nicht besser machen, dies ist interessanter. Wenn ich heute Filme sehe, die ich früher machte, sage ich mir, ich konnte keine andere Sache machen. Auch heute können wir es nicht anders machen als eben so. Das ist das Interessante daran.

WR: Interessant ist es auch, daß das französische Fernsehen Ihnen die Möglichkeit gab, neun Stunden zu produzieren. Das ist außergewöhnlich.

JLG: Nein, es gibt viele Leute, die neun Stunden machen im Femsehen ohne aufzuhören. Sie selbst, Sie machen ...

WR: Ja, das ist das Fernsehen selbst, aber ihre privaten Produzenten, für sie ist es doch ungewöhnlich.

JLG: Gut, da gibt es eine Mafia. Es gibt eine Mafla des Femsehens, und es gibt eine Mafia der Femseh-Zuschauer, die sich verständigen, damit es so sei.

WR: Können Sie so weiterarbeiten, oder wie sehen Sie die Zukunft – wie geht das weiter?

JLG: Sagen wir, ich weiß es nicht. Für den Augenblick haben wir keine besondere Lust, abgeschlossene Produkte zu machen, sondem eher Prototypen wie in der Industrie und in der Forschung. Doch sollte diese Forschungsarbeit ein wenig gesehen werden können, um zu wissen, ob sie interessant ist. Und das vergleicht man mit anderen Forschungen, um danach zu sehen, ob es sich vielleicht anders machen läßt. Wenn das nicht geschieht, sind alle Produktionen gleich und damit sind die Leute auch nicht einverstanden.

WR: Politische Filme zu machen, ist es das, was Sie jetzt machen?

JLG: Oh, ich möchte dieses Wort nicht benutzen. Ich mag lieber kinematographisch Kino machen. In der Tat.

WR: Sie wollten immer politisch Filme machen und nicht politische Filme tnachen?

JLG: Ja, in diesem Sinne des Wortes politisch. Aber das Wort Politik ist zu eideutig und zu gefährlich. Ich mag es lieber nicht so verwenden.

WR: Ist es vielleicht das, wenn Sie sagten: »British Sounds« zu produzieren, das ist, einen politischen Film machen, aber zu kämpfen, damit dieser Film im Fernsehen gezeigt wird, das ist: politisch einen Film zu machen. Jetzt haben Sie 6 x 2 produziert.

JLG: Das ist etwas einfacher. Das ist ein wenig besser als »British Sounds«. Denn das wurde gesehen. Die anderen Filme wurden nicht gesehen.

WR: Ich möchte gern wissen, was bedeutet »Tout va bien« heute für Sie? War es der letzte Film mit bekannten Schauspielern?

JLG: Nein, das war ein kommerzielles Untemehmen. Da ging es auch darum, den Kumpel, mit dem ich in dieser Zeit arbeitete, seinen Füm machen zu lassen, denn es war sein Film. Ich habe ihm geholfen, ihn zu produzieren statt ihn zu realisieren. Ich war dabei der Assistent.

WR: Ist das für Sie auch eine Möglichkeit, Filme zu produzieren, das heißt, mit bekannten Schauspielern zu drehen?

JLG: Ja, ich finde das sehr gut. Aber in »Tout va bien« wußte ich nicht recht, was man mit ihnen machen sollte. Entweder sind sie zu anspruchsvoll, oder sie sind derart begrenzt, daß man in ihre Grenzen reingehen muß. Ein bekannter Schauspieler zum Beispiel kann nur drei Dinge tun: er kann vielleicht rauchen, »ich liebe dich« sagen, aber er kann kein Auto fahren. Oder er kann Auto fahren, aber er weiß nicht, wie man «ich liebe dich« sagt. ...


Zweite Rolle

WR: Ich glaube, es gibt einen Widerspruch: »Numéro 2« in Video zu produzieren und ihn dann als Film zu zeigen. Ich möchte gern wissen, wie Sie über die Arbeit mit Video denken.

JLG: Sozial gesehen ist es interessant, weil die Technik noch nicht so sehr sozialisiert ist. Sie ist weniger steif. Es gibt noch wenige ökonomische Gesetze. Gut, es gibt gewisse, in den großen Femsehanstalten. Da kann man nicht anders arbeiten, denn es gibt zu viele Leute. Aber im Kleinen kann man vielleicht anders arbeiten als im Femsehen. Im Kino, selbst im kleinen, kann man nicht anders arbeiten, als im großen. Wenn ich oder Rivette einen Film in 16mm mit einigen Freunden machen, kann man nicht anders arbeiten als Steve McQueen, wenn er einen großen Film mit Kubrick macht. Das ist immer so. Man braucht eine gewisse Zahl Leute, eine gewisse Zahl von Wochen, ein gewisses Geld. Es gibt zwar mehr oder weniger teure oder billige Kameras, aber es ist immer die gleiche Sache. Und Rivette? Im Scherz habe ich gesagt: Rivette macht dieselben Filme wie Vemeuil. Selbst, wenn er sympathischer ist. Auch ich machte dieselben Filme wie Verneuil. Deshalb möchte ich nicht mehr. Darum profitiere ich von einer etwas anderen Technik. Im Augenblick sind die Japaner interessant, denn vom kommerziellen und industriellen Standpunkt aus gesehen, mußten sie eine den Amerikanem und Deutschen verschiedene Technik herausbringen, um industriell zu überleben. Wir können uns derer bedienen, um zu versuchen, auch zu überleben. Also, im Kleinen arbeiten mit ein klein wenig Video-Material, gemischt mit Film. In einem kleinen Unternehmen kann man das mischen, auf unterschiedliche Art und Weise. Video ist dafür interessant. Aber das Unangenehme ist, hat man dies einmal gemacht, es am anderen Ende der Kette zu zeigen. Das ist schwierig, denn dafür existiert noch nichts. Man kann eine einfache Kassette machen, aber man weiß nicht, wer sie sehen kann und wann. Man nimmt an, daß Gruppen existieren, aber man weiß nicht, wie man sie erreichen soll. Also, es ist zu früh dazu. Aber es ist vielleicht interessanter, denn die Arbeit besteht daraus, zu forschen, zu suchen und zu finden und nicht darin, schon fertige Ideen zu haben.

WR: Warum glauben Sie, finden Sie keine Produzenten, die sich dafür interessieren, wie Sie arbeiten?

JLG: Es gibt vielleicht welche, aber wir haben keine gefunden. Ich brauche einen Produzenten, der ein wenig Autor ist oder einen Autor, der ein wenig Produzent ist oder einen Schauspieler, der ein wenig Regisseur ist oder auch einen Financier, der ein wenig Regisseur ist oder etwas ähnliches. Er kann achtzig Prozent Financier, aber vielleicht zwanzig Prozent Regisseur sein. Oder so. Aber ich finde das nicht. Ich denke, im Kino oder Fernsehen fühlen sich die Leute sehr gut, wo sie sind. Sie sind vielleicht nicht gut bezahlt, aber sie sind zufrieden, denn etwas zu erfinden, ist ermüdend, anstrengend. Ich erinnere mich an einen Dialog mit Carlo Ponti, als ich eine Szene von »Die Verachtung« neu schreiben sollte, weil er eine hinzufügen wollte. Ich sagte ihm, also, ich bin vollkommen einverstanden, machen Sie es, und er sagte, nein, ich bezahle Sie für das, und ich sagte ihm, nein, ich werde dafür bezahlt, damit ich das kopiere, was Sie mir sagen. So werden Sie sicher sein, daß Sie zufrieden sind. Er wollte nicht schreiben, denn es ist anstrengend zu schreiben, weil man erfinden muß.

WR: Es gibt auch hier in Grenoble Videogruppen?

JLG: Ich weiß nicht.

WR: Wissen Sie, ob Gruppen existieren und wissen Sie, wie diese Gruppen mit Video arbeiten?

JLG: Aber ich weiß nicht, wie sie arbeiten.

WR: In den kleinen Vierteln mit den Leuten zu drehen und dann mit ihnen ui diskutieren, um vielleicht den Film zu ändern und all dies, interessiert Sie das nicht, so zu arbeiten?

JLG: Doch, aber ich denke, daß das Femsehen dies machen muß. Doch das Femsehen macht es nicht.

WR: Sie machen es nicht, nein ...
Arbeiten Sie nur in Video oder drehen Sie auch in Super 8 und 16mm?

JLG: Ich finde seit 2 oder 3 Jahren Video für mich interessanter, weil es denselben technischen Punkt wie das Kino erreicht hat, aber auf eine andere Weise. Beispiel: ein Magnetoskop, halb-professionell, das ist wie eine kleine Tonkassette. Die Handhabung der Tasten erschreckt weder ein Kind noch eine Frau. Jemand, der das noch niemals angefaßt hat, kann das verstehen, weil er die kleinen Kassetten gewohnt ist. Dagegen ist eine Kamera oder ein Schneidetisch abschreckend. Und in diesem Augenblick läßt er das von einem Verantwortlichen machen. Und dann ist es so, daß alles wieder von vome beginnt. Wenn es etwas Neues gibt, kann man, wenn man will etwas produzieren. Man kann vielleicht nicht davon leben, aber man kann schon etwas produzieren.

WR: Trotzdem: ist es nicht zu schwer, in Video zu arbeiten? Man braucht technische Kenntnisse.

JLG: Ich sehe da keinen Unterschied, Sie wissen, für das Kino braucht man mechanische Kenntnisse, und ich bin sicher, wenn die Kamera hier kaputtgeht, gibt es niemanden von uns, der weiß, wie man sie repariert.

WR: Vielleicht, ja.

JLG: Das gleiche gilt für Video.

WR: Trotzdem muß man lernen, wie man die Mischung macht.

JLG: Nicht mehr als im Kino. Es ist leichter, es ist interessanter, da es neuer ist. Darüber sind noch keine Lehrbücher geschrieben worden, während die Gesetze im Kino schon geschrieben sind. Es ist schwer, wenn die Gesetze einmal gemacht sind, sich von ihnen freizumachen. Der Moment ist interessant, wo man die Gesetze diskutiert, wo man Vorschläge hat, wo man Gesetze entwickelt.

WR: Haben Sie jemand gesucht, der sich schon mit Video beschäftigt hat, um etwas zu lernen? Wie ist das geschehen? Haben Sie mit Videotechnikern zusammengearbeitet?

JLG: Nein, hier haben wir einen Techniker engagiert, mit dem wir Probleme haben, weil wir finden, daß er zu sehr Techniker ist. Und er wird auch mit uns Probleme haben, nehme ich an. Nein, das geschah Schritt für Schritt. Ich habe damit begonnen, mir einmal eine kleine Akai zu kaufen, und das ermöglichte mir, ein wenig in anderen Bildem zu denken. Und es war möglich, sofort zu sehen, was man machte. Das endete damit, daß ich mich fragte, warum mache ich das nicht. Denn ich kann das gleich sehen auf eine einfachere Weise als im Film. Also, es erlaubte mir, ein wenig anders zu denken.

WR: Zum Beispiel »Numéro 2«. Wieviel haben Sie gedreht? Jetzt ist es ein Film von 1 1/2 Stunden, und wieviel Material haben Sie verdreht?

Wir haben wie im Kino gedreht. Ungefähr 2- oder 3mal die Szenen. Wir haben wie im Kino gedreht, außer, daß es Videomaterial war, ein halb-professionelles Material, es war das JVC. Außerdem waren wir nur zu dritt, das genügte. Im Kino, wenn man eine Mitchell oder Panavision hat, braucht man 7 oder 8 Leute. Und die Tatsache, wir in einem Raum so wie diesem hier zu dritt waren, ist nicht dieselbe Sache wie 7 oder 8 zu sein. In der Metro zu sitzen, ist nicht dasselbe wie stehend eingezwängt zu sein. Video ist eher das erstere, wenn ich das vergleichen kann.

WR: Das Licht setzen, Szenen vorbereiten, wie ist es damit?

JLG: Das ist das gleiche. Das Licht ist interessanter, weil man darüber diskutieren kann. Zum Beispiel der Effekt, den man sofort sieht, dazu kann man sagen, das gefällt mir nicht. Man kann versuchen, herauszufinden, warum es so besser ist oder so. Und ob man eher die Lampe hierherstellt oder hier. Im Kino kann man das nicht sehr gut, weil man das Bild erst ain nächsten Morgen sieht. Und da man also es selbst nicht weiß, ist man gezwungen, Vertrauen für den zu haben, der es weiß. Und da der, der es weiß, und der, der es nicht weiß, sehr weit voneinander sind, heißt das, in einem sehr festgefahrenen Zustand zu sein. Während es bei Video flüssiger geht.


Dritte Rolle

WR: Lassen Sie uns ein wenig darüber sprechen, wie man im Film arbeitet und wie man in Video arbeitet. Warum ziehen Sie es vor, in Video zu arbeiten?

JLG: Man hat etwas mehr Zeit vom technischen Standpunkt aus, das heißt, die kleinen Kassetten laufen 20 Minuten und die großen eine Stunde und vielleicht noch länger. Es ist ein anderes Gefühl, eine Stunde vor sich zu haben, während es im Kino nur 10 Minuten sind. Und in Super 8 noch viel weniger. Ich glaube, das ist sehr tyrannisch. Die Leute machen sich das nicht mehr so klar, daß man am Ende von 10 Minuten schneiden muß. Man kann es nicht laufen lassen. Ich weiß nicht, man kann nicht von denselben Sachen sprechen. Einmal 60 Minuten ist nicht dieselbe Sache wie 10 mal 6 Minuten. Ich denke, daß der Gedanke, den wir haben, in diesem Interview zum Beispiet geschnitten wird, unterbrochen wird, in mehrere 10 Minuten. Wenn man eine Stunde hat

WR: ... kann man besser miteinander reden.

JLG: Man erhofft, etwas zu lernen und versucht dann, in einer Tour zu reden. Man versucht, sich zu öffnen. Die Klammern, die das Kino macht, beruhen darauf, einzuschließen. Es gibt tatsächlich eine Erwartung zwischen den Leuten, die Kino und Femsehen machen. Man hofft, sich auf den anderen zu stützen. Aber sie erreichen nur, daß man sich schließt.

WR: Eine Geschichte in Video zu erzählen, würde Sie das auch interessieren?

JLG: Ja, ich mache dabei keinen Unterschied zwischen Kino und Femsehen. Es gibt die Mittel, es gibt Gabel und Messer, und es kommt darauf, in welchem Moment man sich derer bedient.

WR: Vielleicht läßt sich im Film besser manipulieren?

JLG: Der Film ist gut für die Aufnahme, und ein gutes Mittel der Verbreitung. Aber nicht gut ist, was zwischen beiden ist, die Montage, die Bearbeitung. Mit Video außerhalb des Femsehens, so wie es ist, kann man ein wenig nachdenken, zeigen, eine Sache an die Seite einer anderen stellen. Im Kino kann man das nicht mehr. Man kann nur eine Sache nach der anderen machen. Und man ist nicht mehr Herr von alledem. Ob man Aktualität macht, ob man Dramatisches macht, man ist nicht mehr Herr von alledem. Man wird anderen Normen ausgesetzt. Bei Video ist man gezwungen, seine Normen zu suchen, was wirklich nicht leicht ist. Das ist wie mit einem Volk, das sich fragt, was es mit seiner Unabhängigkeit tun wird. Man muß ihm ein wenig Zeit lassen. Man darf es nicht gleich zwingen, Verträge und soIche Dinge zu machen. Sie wissen dann nicht mehr, was man machen soll

WR: Ich möchte eine andere Frage stellen. Als ich zum Beispiel ihren Film »Wie geht es?« sah, sah ich ein wenig die Schwierigkeit; das liegt viel. leicht ein wenig daran, daß Französisch eine Fremdsprache für mich ist. Wenn Sie einen Film wie »Wie geht es?« drehen, drehen Sie diesen Film für sich selbst oder wissen Sie, für wen der Film interessant sein könnte? Fragen Sie sich das?

JLG: Ich denke, man dreht für sich selbst, doch man hat in sich auch einen Teil, der zu den anderen gehört. Ich will sagen: Wenn Sie z.B. in eine Frau verliebt sind, und diese fragt, »Iiebst Du mich?«, und Sie antworten ihr »'ja« oder »nein«, ist das »Ja« oder »Nein« für Sie selbst oder für sie? Das ist eine Produktion von etwas. Hier produzieren Sie einen Film oder einen Roman, der »Ja« heißen wird oder »Nein« heißen wird. Ist das für Sie selbst oder für sie? Das ist für beide in einer bestimmten Verbindung.

WR: Haben Sie eine Gruppe von Leuten, mit denen Sie Ihre Projekte diskutieren können, oder sind Sie mehr oder weniger allein?

JLG: Wir sind ganz allein, d.h. zu zweit. Es gibt eine Frau, die Anne-Marie Miéville heißt, die in diese Gesellschaft kam. Wir sind auch persönliche Freunde. Wir suchen Mitarbeiter, aber wir haben viele Schwierigkeiten. Wir finden sie nicht. Schließlich, der einzige Dialog, den wir führen, ist mit anderen Geschäftsleuten oder Produzenten, aber sie sind weit weg von hier.

WR: Warum, glauben Sie, ist es so besonders schwer, jemanden zu finden, mit dem man arbeiten kann?

JLG: Weil die Welt der Arbeit sehr organisiert ist. Auf alle Fälle in Westeuropa. Die Arbeitswelt existiert, die Fabriken existieren, die Büros existieren. Die Welt, in der man lebt, hängt von den Arbeitsbedingungen ab. Es ist sehr schwierig, andere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Das ist eher möglich in dem kleinen Miheu wie dem des Films, weil das keine so enormen Fabriken mit 40 000 Personen sind. Das wird einem klar. Aber trotzdem ist es schwierig, weil man nichts weiß. Und da man nichts weiß, macht man Filme wie Autos. Man weiß sehr gut, daß die Autos schlecht gemacht sind. Aber für die Filme gibt es keinen Grund, daß auch sie schlecht gemacht sind.

WR: Ja, aber versuchen Sie, anders zu arbeiten, in kleinen Produktionen?

JLG: Anders, aber ohne zu wissen. Man muß sich einrichten. Man braucht einen Raum. Für den Raum muß man regelmäßig Miete zahlen. Das heißt, man muß beginnen, relmäßig Ideen zu finden, die uns gleichzeitig erlauben, ja oder nein auf das, was man mag, zu antworten, und gleichzeitig erlauben, regelmäßig die Miete zu zahlen. Es gibt Leute, die sagen, die Künstler sollen sich nicht mit den Mietproblemen beschäftigen. Die Miete ist das Problem der Produzenten oder der Besitzer. Und die Produzenten haben sich nicht mit dem »ja« oder »nein« in einem Liebesdialog zu beschäftigen. Wir denken, beides gehört zusammen. Aber wie die beiden miteinander verbinden, weiß man eben nicht. Also macht man von dem einen oder anderen zu viel.

WR: Haben Sie im Moment ein neues Projekt, an dem Sie arbeiten?

JLG: Wir haben zu viele, wir haben tausend. Wir haben immerzu welche. Aber alles ist interessant.

WR: Drehen Sie immer?

JLG: Ich drehe immer, aber gleichzeitig nehme ich nicht immer auf.

WR: Haben Sie ein präzises Projekt?

JLG: Es gibt kein präzises Projekt, kommerziell gesehen, das Gegenstand eines geschäftlichen Vertrages für den Moment wäre.

WR: Aber ich möchte nur wissen ...

JLG: Ich denke mir keine Ideen im Abstrakten aus und suche sie dann zu realisieren. Ich denke, was ich kann.

WR: Ich wollte wissen: Sie haben »6 x 2« gemacht und das wurde im Fernsehen gezeigt. Und dann – was machen Sie jetzt?

WR: Gut. Andere Projekte mit INA, vielleicht »24 x 2«. Oder andere Dinge, um dann »24 x 2« machen zu können. Aber das ist – sagen wir – ein weitreichendes Projekt. Und vielleicht auch zu ambitioniert. Manchmal ist es leichter, 24, oder 12, als 6 zu machen. Wenn man sich besser versteht, könnte man Sachen wie das Fernsehen machen. Nicht unbedingt, indem man einen Roman verfilmt.

WR: Sie sagen, Fernsehen machen. Aber doch auf eine andere Weise?

JLG: Das ist es. Etwas mehr Zeit zu haben.

WR: Und die Leute sprechen zu lassen?

JLG: Denken lassen. Und mehr Zeit zum Suchen und zum Erfassen zu haben. Das Fernsehen müßte es nur als Sender geben. Es dürfte nicht produzieren. Das würde erlauben, auf industrielle Weise viel Material herzustellen und viele Kameras. Dann hätte man überall Kameras, beinahe in allen Gegenden, in allen Wohnhäusern, in allen öffentlichen Einrichtungen, allen Postbüros. Man sagt sich: nehmen wir auf, was zum Beispiel vor der Post passiert. Das heißt, man hätte eine Idee von dem, was im Rest des Landes geschieht. Und das kann man dann variieren. Man könnte auch Fußballspiele zeigen. Oder Szenen, wo nichts passiert. Man sieht Leute, man hört Dialoge. Das wäre die Sendung. Es gäbe kein gutes oder schlechtes Sujet. Es ist so, wie die Leute leben oder handeln. Und man sendet das im Femsehen. Das ist besser. Und später kann man vielleicht Überlegungen anstellen, sich dazu Sujets ausdenken. In diesem Moment würde ich das eine Aufnahme oder einen Film oder eine Komposition nennen. Man könnte sich eine Geschichte oder einen ganzen Film vorstellen, der sich in einem Postbüro abspielt oder egal wo, in einer Fabrik. Es gäbe überall Kameras. Ich weiß zum Beispiel nicht, wie die Arbeiter arbeiten. Aber das ist nicht der Fehler der Arbeiter und auch nicht der der Untemehmer. Für mich ist es der Fehler des Fernsehens. Und derer, die dort arbeiten. Es gibt dort keine Kameras, die das so gut zeigen, wie zum Beispiel ein Fußballspiel gezeigt wird. Aber nicht nur das. Auch eine Ministerratssitzung oder die Konferenz von Jalta und das Zusammentreffen der Familien könnte man zeigen.


Vierte Rolle

WR: Gestern haben Sie mir erzählt, wie die Geschichte mit Bayern München vielleicht produziert werden könnte. Können Sie das ein bißchen erklären?

JLG: Das ist ein kapitalistisches Geschäft. Es gibt Mittel, um mit Video Geld zu verdienen. Aber dafür muß man ein paar Ideen haben. Wenn man zum Beispiel den Sport nimmt. Ich mag gern Fußball und Radrennen. Ich denke, ich könnte ein Spiel von Bayern München etwas anders filmen als üblicherweise im Femsehen. Auch ich sehe mir Fußball im Fernsehen wie jeder Fußballamateur an, da es die einzige Möglichkeit ist Fußball zu sehen. Da ich gleichzeitig auch Cinéast bin, könnte ich beides, mein sportliches Interesse und mein cinéastisches Wissen verbinden. Und ich denke, daß man eine Kassette an Hunderte oder Tausende von Fußballclubs verkaufen könnte, die daran interessiert sind, Fußball anders als im Femsehen zu sehen, weil sie Fußball mögen, weil sie dann Dinge sehen, die sie sonst nicht zu sehen bekommen, und die sie eben Lust haben, zu sehen, und die sie kennen, da sie Fußballer sind. Das war eine Idee. Trotz alledem, vielleicht haben die Leute schließlich keine besondere Lust dazu. Oder die Leute, die Lust dazu haben, wissen es nicht. Also geben sie sich mit dem Femsehen zufrieden. Sie wissen nicht, daß sie ein wenig andere Dinge sehen könnten, selbst über Spiele und Diskussionen. Zum Beispiel könnte man auch andere Spiele machen. Ob man nun Kindem zuguckt, die auf der Straße spielen, oder den Alten, die Karten spielen. Und ich denke, die Leute wären zufrieden, dies zu sehen. Doch augenblicklich wissen sie's nicht, weil ihnen das niemand nahe bringt. Und tatsächlich will man das auch nicht ...



Fußnote:
(1) In Video:» Numéro deux« und »Six fois deux«: 1975 produzierte Godard mit Anne-Marie Miéville in Grenoble den Video-Film»Numéro deux«. Es sprechen Mann diesem Film Kinder und Eltem, ein Ehepaar, ein alter Niann, eine alte Frau. Sie sprechen über das Leben in Wohnsilos, über Kommiunikation, die es nicht gibt, über Arbeit, die sie nicht befriedigt, und das Sexualleben, das sie nicht befriedigt. 1976 produzieren Godard/Miéville für das »Institut Nationale de l´Audiovisuel« (INA) sechs Sendungen à ca. 100 Minuten: »Sixfois deux«. Die Sendungen werden in FR 3 ausgestrahlt, weil die INA ein Sendekontingent beim französischen Femsehen hat. Jede Sendung besteht aus zwei Teilen (daher der Titel »Six foix deux«): Erste Sendung: »Ya personne« und »Louison«. Zweite Sendung: »Leçon des choses« und »Jean-Luc». Dritte Sendung: »Photo et Cie« und »Marcel«. Vierte Sendung: »Pas d'histoire« und »Nanas«. Fünfte Sendung: »Nous trois« und »René«. Sechste Sendung: »Avant et après» und »Jacqueline et Ludovic«. Godard/Miéville bringen in diesen Produktionen Leute zum Sprechen, arbeitslose Sekretärinnen, einen professionellen Fotografen, einen Filmamateur, einen Mathematiker. Godard stellt im Hintergrund Fragen, deckt Widersprüche auf, kommentiert und illustriert die Bilder mit dem Telestrator (einem elektronischen Schreibgerät, wie es zum Beispiel auch bei den »Montagsmalern« verwendet wird).




[Anhang unter dem Text]

Von der »Groupe Dziga Wertow« zu Sonimage

»One plus One« (1968, mit den Rolling Stones) war die letzte große Kinoproduktion Godards.
Im selben Jahr der Diskussionsfilm »Un fulm comme les autres» [Godard: der einzig existierende Film über die Mai-Ereignisse von 68. Vgl., auch im folgenden, Filmkritik Nr. 189, September 1972, S. 450 und 451. Amn. d. Red.], der in keinem Kino zu sehen ist, dann »One american movie«, den schließlich die Produzenten Leacock und Pennebaker fertigstellen. 1968 tut Godard sich nüt Jean-Pierre Gorin (der politisch in der »Union de jeunesse communistes marxistes-feministes« orgarnsiert war) zusammen. Sie drehen:

»1969 British sounds« für London Weekend Television, doch das Femsehen strahlt den Film nicht aus; »Vent d´Est«, der Film kommt nicht in die Kinos; »Prawda«, der Film kommt nicht in die Kinos; »Lotte in Italia« für das italienische Femsehen RAI, doch das Femsehen strahlt den Film nicht aus;
1970 »Jusqu' à la victoire«, das Material bleibt liegen und wird fünf Jahre später in Grenoble zu »Ici et ailleurs« montiert;
1971 »Vladimir et Rosa« für die deutsche TV-Produktionsgesellschaft Telepoot, doch das Femsehen strahlt den Film nicht aus.
Am 11. Juni 1971 hat Godard einen schweren Motorradunfall, kurz nachdem er einen Produktionsvertrag für »Tout va bien« unterzeichnet hatte. Erst im Dezember 1971 können er und Gorin mit den Arbeiten beginnen. Der Film mit Jane Fonda und Yves Montand in den Hauptrollen kommt in die Kinos.
1973 trennt sich Godard von Gorin, weil »der nur Regisseur sein und große Filme drehen wollte«. Godard verläßt Paris und gründet in Grenoble die Video-Gesellschaft Sonimage. Geldgeber ist sein früherer Produzent Rassam.

Redaktion des Textes: Wilfried Reichert


Quelle: Filmkritik, Nr. 242, Febr. 1977.
Zur Quelle heißt es dort: »Der Wiederabdruck dieses Textes ist konzentriert auf den thematischen Kontext des Readers. Wir brechen das Interview dort ab, wo es Godards Videoarbeit im engeren Sinne verläßt (d. Herausg.).«