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Die jüngste, von Kybernetik und Informationstheorie geleitete Theoriebildung begreift Information als Schlüsselbegriff zum Verständnis ästhetischer Prozesse. Durch deren Formalisierung möchte man eine Gegenposition zur idealistischen, neukantianischen und metaphysisch orientierten Ästhetik aufbauen. Beschrieben werden daher einige auf den Grundlagen der Kybernetik entstandene Theorien wie die der Informationsästhetik, kybernetischen Ästhetik, generativen und partizipativen Ästhetiken sowie der Rezeptionsästhetik, deren Entfaltungen in enger Verbindung zur damals aufkommenden Computerkunst verlaufen. Sie alle befassen sich mit den fundamental gewandelten Funktionen des Künstlers, dem Begriff der Kunst selbst und der Rolle des Betrachters.
Die Ansätze von Kybernetik und Künstlicher Intelligenz haben zwar Gegenstandsbereiche der Wissenschaft wie auch ihr interdisziplinäres Vorgehen revolutioniert, dennoch blieb man bestimmten philosophischen Traditionen in der Logik verpflichtet. Am Verlauf der Formalisierungsforschung, die im Mittelalter ihrenUrsprung nahm, lässt sich beobachten, wie objektive Wahrheit zunehmend in den Kontext von Logik und Mathematik gestellt wird und sich die Suche nach metaphysischer Wahrheit allmählich Handlungsfeldern im Bereich sinnlicher Wahrnehmung, wie etwa der Kunst, annähert. Anhand dieser Vorgaben lässt sich eine Entwicklung verfolgen, die im Mittelalter mit dem mechanisierten Verfahren logischer Operationen einsetzt und bis ins 20. Jahrhundert führt, das heuristische Techniken in Systemen Künstlicher Intelligenz anwendet.
Die Wurzeln dieser neuen Funktion der Logik liegen in der Theorie des katalanischen Theologen und Philosophen Raimundus Lullus (1235—1315). In seinem Werk »Ars Magna et Ultima« bestimmt er die Logik zu einem Instrument universeller Wissenschaft, mit der wahre Aussagen über die Wirklichkeit formuliert werden können. In seiner Philosophie fließen zwei Ansätze zusammen, zum einen der Versuch, die in unterschiedlichsten Disziplinen verstreuten Wissenschaften zu einer ›cientia generalis‹ zu vereinen, und zum anderen mit dieser Wissenschaft jenen ›clavis universalis‹ zu finden, der den Weg zu einer infiniten Menge wahrer Aussagen freimacht. Sein Begriff von Universalsprache basiert auf der Idee, eine wissenschaftliche Symbolsprache zu kreieren, die nicht als Kommunikationsmedium, sondern als formales Instrument zur Wahrheitsfindung dienen soll.
Logik ist bei Lullus keine ›ars demonstrandi‹ mehr, sondern wird zur ›ars inveniendi‹, einem heuristischen Instrument, mit dem sich über logische Operationen theoretisch universal gültige Sätze aufstellen lassen. Damit wandelt sich der Prozess des Denkens zu einem ›Spiel von Symbolen‹, das sich objektiv auf der Grundlage abstrakter, rein formaler Prinzipien oder Regeln aufbaut. [1]
Diese Hypothese der Kalkulierbarkeit impliziert die Prämissen weiterer Entwicklungen, wie das Reduzieren allen Denkens auf Berechenbarkeit bei Thomas Hobbes, die Idee einer universalen Kalkülsprache bei Gottfried Wilhelm Leibniz und die analytische Maschine von Charles Babbage. Alle diese Konzepte zielen auf die Formalisierung menschlichen Denkens und die Konstruierbarkeit symbolischer Denkmaschinen. Sie gipfeln schließlich in der Turing-Maschine und den späteren digitalen Rechnern. Die Geschichte derPhilosophie und Wissenschaftstheorie zieht so eine Linie von Aristoteles über Lullus, Hobbes, Leibniz, Babbage bis hin zu Turing, Newell und Simon. [2] Worin aber besteht letztlich nun die Verbindung zwischen dem Transformationsprozess logischer Sprache in Richtung auf Formalisierung und dem Formalisierungsprozess in der ästhetischen Theorie? Die klassische Frage nach der Funktion von Sprache und ihrem Gebrauch bei der Erkenntnis von Wahrheit betrifft sowohl die Wissenschaften als auch die Philosophie. Lullus' Suche nach einer Universalsprache bleibt bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Ansätzen des Neopositivismus aktuell, wie etwa bei Moritz Schlick, Rudolf Carnap, Hans Hahn und Otto Neurath. Sie setzen den Versuch fort, von der Metaphysik aufgeworfene Probleme mit der Schaffung eines formalisierten Systems zu überwinden, zum Beispiel bei der Frage nach dem Wesen von Wirklichkeit oder nach der Beziehung zwischen Welt- und Wahrheitserkenntnis. Das Erschließen eines determinierten Bereiches wäre insofern an die Formulierung einer auf Gesetzen, Modellen und Normen basierenden Theorie gebunden. Formalisierung muss als ein ebenso künstliches System begriffen werden wie unser kulturelles und soziales Fundament. Die erste ›künstliche Welt‹ wird mit Techniken plastisch anschaulicher Darstellung von Umwelt (wie in der Höhlenmalerei) geschaffen. Andere Kunstwelten entstehen durch die Standardisierung von Sprache durch Alphabet und Schrift. Im Verlauf der Menschheitsgeschichte werden kontinuierlich neue Verfahren und Niveaus von Künstlichkeit geschaffen, die den Bedarf nach einem der jeweiligen Gesellschaftsform angemessenen Kommunikationssystem befriedigen. Als beispielhaft darf im Rahmen einer allgemeinen Kommunikationstheorie der Versuch von Claude E. Shannon/Warren Weaver gelten, 1948 ein logisches Kommunikationssystem zu erarbeiten. Shannon untersucht die physischen und statistischen Eigenschaften von Nachrichten, wobei sein Ansatz mit Formalisierungen in Logik und Physik vergleichbar ist. [3]
Nach Shannons »Diagramm des Kommunikationssystems« bezieht sich Information im technischen Kommunikationsprozess nicht auf Bedeutung, sondern auf die in einer Nachrichtenthaltene Menge von Signalen. Insofern liegt für Shannon und Weaver das Grundproblem von Kommunikationstechnik — zum Beispiel die Quantifizierung der Information oder die Kapazität des Kanals — im Bereich der Mathematik und Physik, unabhängig von Signalen oder Kodierungen wie auch davon, ob die Sender und Empfänger Maschinen oder Menschen sind.
Den gleichen Ausgangspunkt bezieht eine neue, direkt von der Kybernetik inspirierte ästhetische Richtung, die in der Information den Schlüsselbegriff zum Verständnis ästhetischer Prozesse sieht. Über Formalisierung versucht man, eine Gegenposition zu Tendenzen ästhetischer Theorie kantianisch-hegelianischer Prägung aufzubauen. Die Zielsetzung eines formalen ästhetischen Systems gilt nicht der Vertiefung von Interpretationen oder Werturteilen, sondern dem System des Werkes selbst, der Organisation von Elementen und Zeichen. Jedes Kunstwerk, überhaupt jeder künstlerische Ausdruck wird nun als Nachricht betrachtet, die von einem kreativen Individuum (einem Künstler oder einer Künstlergruppe), Sender genannt, einem anderen Individuum (oder einer Gruppe), dem Empfänger, über einen Kanal (Systeme visueller, auditiver und anderer Wahrnehmung) übermittelt wird. [4]
Dieser Ansatz, Kunst von der Informationstheorie her in den Blick zu nehmen, weist Parallelen zur Semiotik und ihrer Definition von Nachrichtenstrukturen auf. Für Charles Morris, einen der Gründerväter der Semiotik, ist Kunst eine Sprache zur Kommunikation von Werten. Die Wertfunktion ergibt sich daraus, dass ihre Zeichen finale Objekte repräsentieren. Aus dieser Perspektive reduziert sich die Grundlage von Sprache auf vorhersehbare, zweckgerichtete, syntaktische Qualitäten. Theorie im Umfeld rationaler Ästhetik wertet von daher das Kunstobjekt als ein Zeichensystem, das formalisierbare ästhetische Information transportiert.
Um zu Formeln sowie Bewertungs- und Verfahrensnormen für eine auf den Nachrichtenbegriff zentrierte Ästhetik zu gelangen, wird zunächst die Informationstheorie an die Ästhetik angepasst und folglich eine Formalisierung der Sprache sowieästhetischer Parameter vorgenommen. Ein erster Ansatz in diese Richtung stammt vom amerikanischen Mathematiker George David Birkhoff. Sein Forschen nach zuverlässigen und objektiven Regeln zur ästhetischen Beurteilung von Kunstwerken brachte ihn in seiner Untersuchung »Aesthetic Measure« (1933) zu einer Formel für das ästhetische Maß, nach der ›O‹ Ordnung misst und ›C‹ den Verbrauch an Material ›M‹. Das ästhetische Maß ließe sich dann in folgender Weise darstellen: M = O/C.
Im Grunde ist Birkhoffs Vorgehen dem Norbert Wieners vergleichbar, der ebenfalls statistische, in den Wissenschaften angewandte Verfahren einsetzt. Birkhoff führt in seine ästhetische Theorie rein statistische Methoden ein, um zu einer Quantifizierung der Werkanalyse zu gelangen. Rationale Ästhetik konstituiert sich auf diese Weise als unverkennbarer Gegensatz zu ästhetischen Modellen aus der Tradition des Idealismus oder der Romantik.
Dies bedeutet einen Wendepunkt in der ästhetischen Theorie, die sich ab der zweiten Hälfte der 1930er Jahre in zwei Forschungsschwerpunkte aufspaltet. Obwohl beide Strömungen das gleiche Ziel verfolgen — die Legitimation ästhetisch verlässlicher Fundamente von Kunst —, schlagen sie dennoch entgegengesetzte Wege ein. In der einen Richtung sind die Fundamente in rationalen Methoden verankert, so dass von der Reflexion über Kunst gefordert wird, sich auf wissenschaftliche Verfahren zu stützen, um objektive Resultate zu erzielen. In der anderen, deren Prinzipien sich an der Wahrheit von Kunst orientieren, wird ästhetische Erfahrung nicht auf kausale und objektive Relationen reduziert. Insofern kann sie auch nicht mit exakten Wissenschaften gleichgesetzt werden, da sie auf subjektiver Erkenntnis beruht.
Die zweite Möglichkeit bleibt für die rationale Ästhetik offenkundig ausgeschlossen, da ihre Theoriebildung auf ästhetische Versachlichung gerichtet ist. Information wird bei Begriffen wie Sinn und Bedeutung von Kunstwerken als ›Maßeinheit‹ zur Bewertung angewandt. Geforscht wird nach Wahrscheinlichkeiten, nach der Bildung von Repertoires auf verschiedenen Informationsebenen und weiteren Begriffen, die zu Normen der Bewertung führen.
Für Birkhoff zeigt die Informationsmenge dieKomplexität einer Nachricht an. Als quantifizierbarer Wert konstituiere Komplexität in Relation zur Nachricht eine der objektiven Größen von Wahrnehmung. Je größer der Grad an Ordnungsbeziehungen in einem Kunstwerk, desto kleiner ist sein ästhetischer Wert; dieser wiederum sei umso größer, je komplexer die Darstellung ist. Komplexität bestimmt so den Grad an Innovation und ästhetischem Wert, der in einer künstlerischen Information enthalten ist.
Der Philosoph Max Bense erweitert Birkhoffs Modell um neuere Erkenntnisse aus Informationstheorie, Semiotik und Philosophie. [5] Schon an den von ihm verwendeten Begriffen lässt sich eine enge Verbindung zur wissenschaftlich technischen Terminologie der Kybernetik erkennen. Das Ordnungsmaß definiert er als ›Redundanz‹ und den Materialverbrauch als ›Entropie‹, beides Termini aus der Wissenschaft, die auch Norbert Wieners häufig benutzt. [6] Kunst, und in erster Linie moderne Kunst, sei, wie Bense feststellt, nicht mehr nach klassischem Vorbild mit Begriffen wie Proportion, Symmetrie oder Harmonie zu fassen, denn sie betone den Kontrast und lehne Normen ab. Ästhetischer Prozess und physische Welt tendierten dabei in gegensätzliche Richtungen und seien prinzipiell verschieden, da die Welt der Physik eine gegebene, die ästhetische Welt aber eine konstruierte sei. Es fehle, so Benses Überzeugung, eine Theorie, die dieses Feld objektiv bewerten und eine ›Programmierung des Schönen‹ bieten könne. Seine Theorie gestaltet sich als Versuch der Systematisierung ästhetischer Grundsätze. Die von ihm erstmals 1957 in seinem Vortrag über »Moderne Ästhetik« an der Technischen Hochschule Stuttgart und dann in der »Aesthetica III« vorgeschlagene Informationsästhetik gründet auf der statistischen Analyse von Kunstobjekten und verweist das Subjekt — den Rezipienten — in den Hintergrund, indem dieser in der ästhetischen Wertung durch die Nutzung adäquater Regeln ersetzt wird. Später verwendet Bense den Terminus »Generative Ästhetik«, unter dem »die Zusammenfassung aller Operationen, Regeln und Theoreme zu verstehen ist, durch deren Anwendung auf eine Menge materialer Elemente, die als Zeichen fungieren können, in diesen ästhetische Zustände (Verteilungen bzw. Gestaltungen) bewusstund methodisch erzeugbar sind« [7] .
In der ästhetischen Synthese unterscheidet Bense vier Verfahren: das semiotische, das metrische, das statistische und das topologische. Das semiotische Verfahren gründet auf der Untersuchung des Zeichens; das metrische als gestalterisches Prinzip wendet Parameter wie Breite, Länge, Anzahl oder Verhältnis an, um eine Globalstruktur — die Makroästhetik — zu definieren, die sich als Gestalt oder Form des Werkes materialisiert; das statistische Verfahren generiert lokale Strukturen oder eine Art Mikroästhetik; und das topologische, auf relationalen Prinzipien beruhende zielt auf Variationen einer bestimmten Gestalt. Mit der Einführung von Begriffen wie Mikro- und Makroästhetik verdeutlicht Bense den Abstand zwischen einer auf subjektiver Wertung des Kunstobjektes und einer neuen, auf objektiver Information und Zeichensystemen gründenden Ästhetik. Makroästhetik bedeutet eine perzeptive und repräsentative Reflexion des Werkes im direkten Bezug zum Kunstobjekt, während hingegen die Mikroästhetik die indirekte, auf Zeichen und Prozessen beruhende Beziehung zwischen Theorie und Werk behandelt. Die enge Verwandtschaft zwischen Benses ästhetischem Denken und den Theorien moderner Physik wird sowohl terminologisch (Mikro- und Makrophysik) als auch konzeptuell evident. Das Ersetzen ästhetischer Werte aus der Tradition eines subjektivmetaphysischen Kunstverständnisses durch die objektive Analyse der materialen Gegebenheiten eines Werkes bildet seinen theoretischen Ansatz. Ästhetische Objekte sind für Bense nicht allein physischer Natur. Diese Konzipierung ist grundlegend, da sie den ästhetischen Prozess als Informationsprozess interpretiert. Damit tritt an die Stelle früherer ästhetischer Interpretationsverfahren eine Beobachtungs- und Kommunikationstechnik, das heißt, Kunstwerke werden als Vermittler von Information (ästhetischer Information) verstanden: »Kunstwerke, so lässt sich auch formulieren, sind eine besondere (nämlich hergestellte, nicht gegebene) Klasse von ›Trägern‹ der ›ästhetischen Information‹.« [8] Unter dem Begriff Information darf hier nicht etwa eine unquantifizierbare Botschaft oder Nachricht verstanden werden, sondern ein in der Übertragung und Speicherung von Nachrichten messbarerinformationeller Gehalt. Alle Information, auf deren Vermittlung Kommunikation beruht, wird über ›Zeichen‹ aufgebaut. Neben Max Bense ist Abraham André Moles ein weiterer Begründer der Informationsästhetik. Während sich Benses Interesse auf die bildenden Künste richtet, befasst sich Moles mit Linguistik, Musik und besonders mit der gerade aufkommenden Computerkunst. [9]
Nach Moles müssen Maschinen sich in zunehmendem Maße der Kunst annähern — und die Kunst sich den Maschinen —, da beide Systeme seien, deren kreatives Vermögen auf der Kombination unterschiedlicher Elemente beruhe. Ihr Wert gründe in der Möglichkeit, mit einfachen Komponenten hohe Komplexität zu erzeugen. Anhand der von ihm als »Residuum einer Simulation« bezeichneten Methode (die eine gewisse kybernetische Inspiration erahnen lässt) wird der Versuch unternommen, künstlich Prozesse des Denkens zu reproduzieren. Auf der Grundlage dieser Methode führt Moles den Schlüsselbegriff der ›Simulation‹ [10] ein, der erst später bei der Erfassung von Medienkunst Bedeutung erlangen wird. Der Wert der Werke besteht dabei nicht im traditionellen Begriff von ›Wahrheit‹ — dem Grundbegriff klassischer Ästhetik —, sondern in seiner Operationalisierbarkeit, oder anders formuliert, im ›Grad der Ähnlichkeit‹. Ästhetisch gesehen, impliziert das Simulakrum eine Relation zwischen der Technologie und der Suche nach operationaler Konsistenz. Moles sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der Krise von Wahrheitskriterien und dem Aufkommen neuer Technologien, die auf Merkmalen von Operationalität aufbauen. Indem Moles einen tatsächlich technischen Begriff in den künstlerisch kulturellen Bereich überträgt, ist er seiner Zeit weit voraus und unterstreicht die Originalität seiner Konzeption. Ähnliche Thesen findet man in der Theorie von Jean-François Lyotard, der behauptet, dass »das Kriterium der Operabilität [11] ein technologisches ist, es taugt nicht, um über die Wahrheit und das Rechte zu urteilen« [12] . Wenn im Sinne der Theorie von Moles Maschinen tatsächlich die intellektuelle Kreation simulieren können, dann muss die Simulation von Kunstwerken ins Zentrum des Interesses rücken. Dafür gilt es, ein Programm zu entwickeln und konsequenterweise die Frage nach der Rolle desKünstlers innerhalb dieses Prozesses zu stellen. Nach Moles kommt dem kreativen Künstler angesichts digital geschaffener Werke einerseits die Funktion des Ästhetikers und andererseits die des Programmierers zu. Ästhetisch formuliert er die künstlerischen Kriterien, die das programmierte Werk seiner Ansicht nach zu erfüllen hat. In der Praxis hingegen muss er einen Algorithmus schaffen, der diese ästhetischen Qualitäten bei der Übersetzung von kreativer in binäre Sprache beinhaltet. Dieses Konzept von ›Übersetzung‹ [13] als künstlerischer Tätigkeit ist sehr aufschlussreich und zeigt den — nicht immer anerkannten — Beitrag von Moles für eine Ästhetik des Digitalen, insbesondere was die Bewertung der Rolle des Künstlers und der Mensch-Maschine- Kommunikation bei der Schaffung elektronischer Werke angeht.
Was die Generierung von Kunstwerken betrifft, schlägt Moles fünf Modelle vor: den maschinellen Betrachter [14] , den Verstärker der Komplexität [15] , die permutationelle Kunst [16] , die Simulation künstlerischer Kreation [17] und die auf sukzessive Integration basierende Kreationsmaschine [18] .
Moles ist sich bewusst, dass diese »Invasion mechanischer Prozesse in unserem Denken« [19] eine regelrechte — quantitativ wie qualitativ — soziokulturelle Revolution auslösen kann, die eine Reihe von Fragen zu den möglichen Folgen dieses Wandels aufwirft. »Welche Folgen auf die Gesellschaft hat der Einsatz der maschinellen Produkte wie aleatorische Musik, künstliche Sprachen, programmierte Malerei, maschinenübersetzte Texte, eine auf den Speicher eines Computers reduzierte Nationalbibliothek […]? Wie lässt sich eine Symbiose mit den Maschinen vorstellen? Das ist der soziale Aspekt der Kybernetik. […] Wird der Künstler, wie bereits der Buchhalter oder der Arbeiter, durch Maschinen zur Herstellung von Malerei, Musik oder Literatur ersetzt?« [20] Um diese Fragen zu beantworten, lenkt Moles die Aufmerksamkeit auf drei grundlegende Veränderungen, die bis heute im Zentrum der Theorie von Medienkunst stehen: die Wandlung der Funktion des Künstlers, die des Kunstbegriffs und die der Rezeption. Selbstverständlich wird die Maschine den Künstler nicht ersetzen, wohl aber beeinflusst sie seine Funktion im Schaffensprozess. »Der Künstler wandelt sich zum Programmierer in dem Maße, in dem er dieseUmstellung akzeptiert.« [21] Es bleibt noch zu untersuchen, worin nach Moles' Theorie die ›andere Vision‹ von Kunst und Künstlern besteht und in welcher Form die ästhetischen Resultate der Medienkunst von der Informationsästhetik bewertet werden. Die Behauptung, ästhetische Werte seien berechenbar, bedeutet, die Formalisierung der Sprache der Kunst auf die Spitze zu treiben. Die von Kreationsmaschinen durchgeführten Formalisierungsprozesse folgen entweder der hierarchischen Ordnung eines Organigramms oder der Ordnung verschiedener Analyseebenen. Wenn der Künstler zum Programmierer wird, ästhetische Werte von operationalen Systemen determiniert sind und das Werk nach festgelegten kreativen Methoden entsteht, habe der Ästhetiker eine neue Funktion. »Er stellt die Elemente der Programme für das Repertoire der Maschine zusammen, er bestimmt die Hierarchie der Ebenen, die aufgenommen werden sollen. Die Organigramme darüber machen deutlich, dass jede Maschine für Analysen auch als Maschine für Synthesen eingesetzt werden kann, d. h. als Quelle von Kunstwerken. Für diese Kunstwerke ist der Ästhetiker, wenn auch nicht der Autor im eigentlichen Sinne, denn der Autor verschwindet hinter seinem Werk, so doch zumindest der Manager und der Verantwortliche.« [22] Im Rahmen der Informationsästhetik könne sich der Ästhetiker so auf gleiche Höhe mit dem Künstler stellen, über den er vorher nur geschrieben hat.
Die Theorie von Moles dürfte wohl die verständlichste, gründlichste und aufschlussreichste sein, die sich mit der Anwendung von Kybernetik und Informationstheorie in computergestützter Kunst und Ästhetik befasst. Von besonderer Bedeutung und Weitsicht sind seine Analyse der Konzepte von Simulakrum und Übersetzung, seine Modelle ›kreativer Maschinen‹ sowie seine Reflexion über die Folgen ästhetischen Wandels hinsichtlich der Begriffe Künstler, Kunstwerk und Rezipient. Wie sich später noch zeigen wird, sollten einige der von Moles in den 1950er und 1960er Jahren formulierten Theorien am Ende des 20. Jahrhunderts ihre Bestätigung finden.
Während der 1960er und 1970er Jahre entwickelneinige Anhänger von Max Bense undAbraham A. Moles sowohl die theoretische Reflexion als auch die künstlerische Praxis weiter. Herbert W. Franke sowie Benses Schüler Siegfried Maser und Helmar Frank setzen die Forschung auf dem Gebiet der Informationsästhetik fort, wobei Maser zu einer »Numerischen Ästhetik« (Stuttgart 1970) übergeht, während Frank den psychologischen Aspekt der Informationsästhetik berücksichtigt. [23]
Helmar Frank und Herbert W. Franke versuchen eine Synthese der Ansätze von Bense und Moles. Für beide ist Moles' Beitrag zur Beziehung zwischen Wahrnehmungsforschung und Informationstheorie insofern besonders relevant, als ihnen die sich darauf stützende Informationspsychologie die Grundlage ihrer ästhetischen Prinzipien bietet. Auch hier zielen die Beiträge auf eine definitive Ablösung der romantischen Idee, Kunstbetrachter seien ›passive Konsumenten‹, wo es doch nach Moles ›passive Wahrnehmung‹ nicht geben könne, da ein Kunstwerk immer ein ›Gegenstand von Kommunikation‹ sei.
Die zentrale Bedeutung von Wahrnehmungsprozessen hebt Herbert W. Franke in seinem Buch »Kunst kontra Technik« (Frankfurt/Main 1978) hervor, wobei er auf die Praxis der Informationsästhetik Bezug nimmt, um die Kapazität des von den menschlichen Sinnen assimilierbaren Informationsflusses zu erforschen. [24] Dabei konstatiert er das Paradoxon ästhetischer Information, dass einerseits Kunstwerke einen Langzeiteffekt und somit einen hohen Grad an Komplexität aufweisen sollen, andererseits jedoch das physische Aufnahmevermögen des Rezipienten bestimmten Grenzen unterworfen ist. [25] Die Theorie der Apperzeption weist darauf hin, dass ein ›Überangebot‹ von Information beim Betrachter Irritation hervorruft, während ein ›Unterangebot‹ zu ›Langeweile‹ [26] führt. Um einen gewissen Grad an Komplexität zu erreichen, ohne das Aufnahmevermögen des Rezipienten zu überschreiten, schlägt Franke ein ›Mehrebenenmodell‹ vor. »Der Künstler hat es also in der Hand, mehrere ›Schichten‹ des Kunstwerks zu besetzen, und überdies kann er Zusammenhänge zwischen diesen Schichten errichten, mit denen sich der Beschauer in späteren Phasen des Aufnahmeprozesses beschäftigen kann.« [27]
Für Franke führt der Einsatz neuer Technologien in der Kunst, wie etwa bei der Computerkunst, eine Symbiose von rationalem Denken und ästhetischer Kreation herbei, da sie sich als mit der technisch wissenschaftlichen Welt verbundene Kunstform ästhetischer Elemente mathematischer, logischer oder technischer Herkunft bedient. Kybernetische Ästhetik und Computerkunst erweisen sich von daher als weitreichende Brückenmodelle, die Kunst, Wissenschaft und digitale Informationsverarbeitung miteinander verbinden. Frankes Buch zur Informationsästhetik aus dem Jahre 1967 [28] ist ein entscheidender Beitrag zur Etablierung dieser Disziplin und bringt neue Konzepte kybernetischer Ästhetik auf den Weg. Mit dem Gedanken ›interaktiver Systeme‹ und der aktiven Einbeziehung des Publikums in das Werk eröffnet Franke eine in der Informationsästhetik Benses unbekannte Dimension: das nicht messbare Erlebnis des Rezipienten im Wahrnehmungsprozess des Kunstwerkes. Langfristig führt dieses Konzept nicht nur zur Konstatierung gewisser Schwachpunkte in der Informationsästhetik, sondern auch zur Einsicht, dass die Anwendung einer Theorie, die ästhetische und künstlerische Werte allein auf der Grundlage quantifizierbarer und rationaler Kriterien erklärt, an ihre methodologischen Grenzen stößt. »Inzwischen wurde immer deutlicher, dass Kunst kein materieller (und damit materiell erklärbarer), sondern ein geistiger Prozess ist; worauf es ankommt, ist das, was sich im Gehirn des Künstlers und des Betrachters abspielt, wobei es vorwiegend um Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensprozesse geht.« [29] Obwohl Frankes Forschung selbst aus der Informationsästhetik hervorgeht, lässt seine Skepsis doch erahnen, was sich heute deutlicher darstellt: die wissenschaftlichen Ziele der Informationsästhetik haben sich als utopisches Programm oder Modell erwiesen.
Wie Herbert W. Franke sucht auch Helmar Frank nach einem gangbaren Weg für eine Theorie kybernetischer Ästhetik. Frank sieht die Notwendigkeit ihrer Erneuerung durch Elemente aus der Informationspsychologie, die nicht nur den pädagogischen Aspekt der Theorie, sondern auch ihre Inhalte betreffen. Mit diesem Ansatz nähert er sichdem Bereich der Anthropokybernetik.
Frank propagiert eine eng mit dem Wahrnehmungsprozess von Kunst verbundene Ästhetik. Ästhetische Prozesse, so Frank, seien auf verschiedene Weise an alltägliche Abläufe gebunden und nur schwer von diesen zu trennen. [30] Wie Franke mit seinem Mehrebenenmodell entwickelt auch Frank ein Modell sukzessiver Bewertung des Werkes, das eine progressive Erkenntnis seiner komplexen Struktur erlaubt. Über die erwähnte Wahrnehmungstheorie hinaus verarbeitet es Einsichten aus der Erkenntnistheorie wie auch der Verhaltensforschung, mit deren Hilfe sich die Rolle von Emotionen im ästhetischen Prozess beurteilen lässt.
Eine der Grundlagen einer wahrnehmungstheoretisch fundierten Ästhetik bildet die Analyse der Informationsverläufe. Dieser von Frank/Franke [31] beschriebene physiologische und kognitive Prozess beginnt mit der Informationsverarbeitung in den Sinnesorganen. Es besteht jedoch eine erhebliche Differenz zwischen der ersten Informationsaufnahme und ihrer späteren Verarbeitung im Bewusstsein, da dort nur selektierte und vielfältig kodifizierte Daten ankommen. Von der im Kurzzeitgedächtnis empfangenen Information mit einer Verweildauer von höchstens zwei Stunden erreicht nur ein kleiner Teil (etwa 0,05 Bit/Sek.) das Langzeitgedächtnis, dem eine Kapazität zwischen 105 und 108 Bit zugeschrieben wird. Das Bewusstsein kann Daten aus dem Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis über Assoziationen wieder abrufen.
So gesehen, unterliegt jede Art von Information, auch ästhetische oder emotionale, bestimmten physiologischen Prozessen, die ihre Aufnahme determinieren. Ein Informationsüberfluss kann Irritation provozieren, ein Unterangebot den Eindruck von Monotonie zur Folge haben. Insofern muss die von einem Kunstwerk übermittelte Information ein quantitatives Informationsgleichgewicht halten und zugleich nicht gänzlich redundante Informationstypen anbieten (Prinzip der Ausnahme und Innovation). Wird dieses Niveau erreicht, stellt sich beim Rezipienten das angenehme Gefühl ein, Neues, Kreatives wahrgenommen zu haben.
Von der Informationstheorie ausgehend, schlägt Frank vor, den Kommunikationsprozess zu erweitern, daästhetische Information nicht ausschließlich von einseitig ausgerichteter Kommunikation abhänge — Sender — Nachricht — Empfänger —, sondern dem Subjekt über sein Empfängerdasein hinaus erlauben müsse, sich im Kontext des Kunstwerkes auch als Sender zu verhalten. Insofern handle es sich keineswegs um eine ›automatische‹ Kommunikation im Sinne eines unbewussten Reflexes. Für Frank besteht Kreativität in der bewussten Konzipierung kommunikativer Zeichen und gerade nicht im Gebrauch realer Zeichen. Ästhetische Kreation und Rezeption werden insofern an ihrem Grad von Automatisierung gemessen: je höher die Automatisierung, desto geringer ihr ästhetischer Wert. In diesem Sinne differieren Franks Vorstellungen zu Redundanz und Komplexität kaum von denen der Kybernetik. Zugleich wird damit aber auch offensichtlich, dass seine Position gegen jene kybernetische Sicht künstlerischer Prozesse steht, die Indetermination, Aleatorik oder Randomisierung, im Grunde also automatisierte Prozesse erforscht. Kunst als Prozess sowie die doppelte Funktion des Rezipienten als Empfänger und Sender werden von anderen Theoretikern und kybernetischen Künstlern weiterentwickelt.
Die Produktionen der Computerkunst beziehen sich in ihrer Anfangsphase auf Ordnungsverfahren und syntaktische Analysen von Parametern wie Wiederholung, Kombination und Variation. Als einen Vorläufer dieser Verfahrensweisen, die in computergestützten Werken wie bei Manfred Mohr, A. Michael Noll, Frieder Nake und Georg Nees wieder auftauchen, kann man den Neokonstruktivismus in der bildenden Kunst betrachten. Während der Konstruktivismus sich auf mathematische und geometrische Modelle konzentriert, arbeiten der Neokonstruktivismus sowie die Generative Kunst und die Prozessästhetik mit der Visualisierung von Algorithmen und statistischen Verfahren, die es ihnen erlauben, ihre formale Ästhetik zu erweitern. Im Unterschied zu den meisten Neokonstruktivisten, die ihre Werke aus arbeitstechnischen Gründen auf relativ simple Strukturen beschränken, erreichen computergenerierte Arbeiten weitaus komplexere Formen.
Frieder Nake nimmt dabei einen programmatischen Standpunkt ein, der sich auf eine durch prozessuale ästhetische Programme generierte Kunst stützt. Ein gutes Beispiel ist »Polygonzüge«. In diesem und anderen Werken bekommt für Nake der Begriff des Algorithmus [32] einen besonderen Stellenwert. Kunstwerke auf der Grundlage generativer Ästhetik ermöglichen die Kreation ästhetischer Situationen, die in verschiedenen, wenn auch begrenzten Schritten spezifiziert werden.
Für Georg Nees stellt der Computer einen ›Generator‹ des künstlerischen Schöpfungsprozesses dar, dessen Resultat das Modell eines Kunstwerkes ist. Laut Nees besteht der Kern computergestützten Arbeitens in der Auswahl und Verteilung von Zeichen auf eine vorgegebene Fläche oder Komposition. Die Komposition kann in der statistischen Verteilung ausgewählter Elemente eines Repertoires auf der Gesamtfläche des Werkes bestehen. Seine Computergrafik »23-Ecke« von 1964 ist ein repräsentatives Beispiel einer generativen Ästhetik, die auf dem Prinzip stochastischer Computergrafik und auf ästhetischer Redundanz aufbaut. In der Kybernetik sind die Begriffe Redundanz und Komplexität eng miteinander verknüpft und müssen in Bezug auf ein Referenzsubjekt (den Beobachter) gewertet werden. Auch in Nees' Ästhetik wird dies potenziert. Je bekannter die Modelle oder Formen eines Repertoires sind, desto redundanter und weniger komplex sind sie, wodurch der Innovationsgrad des Kunstwerkes sich verringert. Ästhetische Information gründet sich insofern nicht allein auf die Übermittlung von Inhalten, sondern vor allem auf den Rezipienten der Nachricht: das Publikum. Wie in sein Werk »White Noise«, setzt der Künstler Manfred Mohr bewusst Elemente ein, die Symmetrie und Gleichgewicht stören, um dadurch visuelle Spannung zu erzeugen und ästhetisches Interesse zu wecken. [33] Während die generativen Beiträge sich vor allem auf prozessuale Verfahren konzentrieren, zeichnen sich andere kybernetische Ansätze durch ihre Untersuchung der Rolle des Rezipienten aus. In den 1960er Jahren erkundet der Künstler Kurd Alsleben in seinen Werken und Schriften die Möglichkeit des ›dialogischen‹ Kunstwerkes, dessen Bezugspunkt in der ästhetischen Kommunikation liegt. In seinem Buch »ÄsthetischeRedundanz« von 1962 stützt er sich auf die Entwicklung intentionaler Werke und die Theorien von Helmar Frank, besonders auf dessen Untersuchungen zur Wahrnehmung im Zusammenhang mit Informationsästhetik. Seine spätere Arbeit mit Telekommunikations- und Netzkunst [34] setzt diese Ideen fort. Kunst, die sich im Kommunikationsnetz bewegt, baut auf offener, interpersonaler Kommunikation auf und ist insofern eine Kunst ohne bestimmbares Publikum. Das Grundelement ist die Kommunikation: Kunst als ›Verkehr‹. Mit dem Kommunikationsprozess ist die Idee der Partizipation verbunden, wobei nicht vollendete und offene Werke Handlungsräume für das Publikum anbieten. Der Rückgriff verschiedener rationalistischer ästhetischer Strömungen auf die Formalisierung und die systematische, auf Messbarkeit gestützte Methodik deuten auf den Versuch hin, universell gültige Aussagen für alle Bereiche der Kunst aufzustellen. Herbert Franke beispielsweise ist der Ansicht, dass, wenn unter dem einzigen Begriff ›Kunst‹ eine ganze Reihe höchst unterschiedlicher Aktivitäten, von der Malerei bis zum Video, subsumiert werden, man dann für alle diese Bereiche eine gültige Aussage finden muss, »und somit auch eine umfassende Kunsttheorie. Speziell darum geht es bei dem gesuchten Modell, also um Erkenntnisse, die übergreifend für alle Bereiche gelten« [35] . Den kybernetischen Ästhetikern ist bewusst, dass dieses Ziel nur erreichbar ist, wenn man mit extrem hohen Abstraktionsgraden operiert.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass ›Information‹ der Schlüsselparameter zum Verständnis ästhetischer Prozesse und zur Strukturierung von ästhetischer Theorie wird. Was die verschiedenen, von der Kybernetik beeinflussten oder auf ihr basierenden ästhetischen Strömungen voneinander unterscheidet, ist die Art, wie sie den Parameter ›Information‹ bewerten. Das Kunstwerk als Information zu begreifen, bedeutet daher, einer entsprechenden Konzeption von Ästhetik den Weg zu bereiten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Überwindung des subjektivistischen Diskurses und die Hinwendung zu einer kommunikativen Bewertung von Kunst unter dem Einfluss von Theorien wie der Phänomenologie, der Hermeneutik und Semiotik steht. Mit der Informationsästhetik und der kybernetischen Ästhetiktritt die Kluft zwischen ontologischmetaphysischen Ästhetiken auf der einen und rationalistischen Ästhetiken auf der anderen Seite um so deutlicher hervor.
Es ist das große Verdienst der rationalistischen Ästhetiken, ein ästhetisches Modell erarbeitet zu haben, das auf einem neuen Forschungsparameter basiert: der Information. Allerdings ist auch festzustellen, dass einige orthodoxe Positionen rationaler, informationeller und kybernetischer Ästhetik diese an ihre dogmatischen Grenzen stoßen lassen. Tatsächlich verweist die Logik der Informationsästhetik selbst auf ein Paradox: Eng verbunden mit dem Parameter ›Information‹ ist die Idee von Kommunikation. Die ästhetische Information wird auf andere Art als die semantische behandelt, da ihr Hauptanliegen nicht die Vermittlung von Bedeutung ist, sondern das, was Max Bense als »Realisierung« bezeichnet. Er schlägt ein System vor, das auf der unidirektionalen Übertragung von Information basiert. Dieses Übertragungsmodell reduziert die Kommunikation auf das einseitige Problem des ›Outputs‹ im Diskurs des ästhetischen Objekts. Gerade diese Tatsache erlaubt es der Informationstheorie, ästhetische Wertungen, wie die der Schönheit, in quantifizierbare Konzepte zu transformieren. Wenn man ästhetische Fragestellungen auf eine rein rationale und numerische Bewertung des Werks (Information als quantifizierbarer Wert) reduziert, so gesteht man weder dem Werk selbst noch der ästhetischen Erfahrung — und hierin besteht das Paradox — einen erkenntnistheoretischen Wert zu und erschwert somit den Prozess einer wirklich offenen Kommunikation beziehungsweise eines Informationsaustausches.
Ihrem Charakter nach ist die Art der von der Informationsästhetik vorgeschlagenen Kommunikationsstruktur sequenziell und reduktionistisch. Unter Kommunikation versteht sie de facto den Prozess der Informationsübertragung im Sinne des ›klassischen‹ Modells von Shannon und Weaver als einseitige ›Informationsübertragung‹ vom Sender zum Empfänger. Weder den Subjekten, die an diesem Kommunikationsprozess beteiligt sind, noch demKontext, in dem dieser stattfindet, oder dem semantischen Gehalt wird hier Beachtung geschenkt. Indem die Informationsästhetik lediglich jenen Eigenschaften Bedeutung zukommen lässt, die erschließbar und quantifizierbar sind, beschränkt sie sich auf syntaktische Strukturen, woraus folgt, dass die Information auf einen sehr reduzierten Bereich begrenzt bleibt. Ein ästhetisches ›Maß‹ für Wertungen zu finden, die Kunstwerken immanent und von Rezeption und Kontext unabhängig sind und somit allein auf dem Informationsgehalt der ästhetischen Kommunikation beruhen, kann als gescheitert betrachtet werden. Von daher ist ein anderes Verständnis von Kommunikation erforderlich, das auf den ästhetischen Bereich anzuwenden ist.
Steht das Ästhetische mit dem Bereich der Kommunikation in Verbindung, so bedeutet dies mit anderen Worten, dass Ästhetik als prozesshafte Kategorie des sozialen Systems verstanden wird. Eine solche ›Ästhetik als kommunikativer Prozess‹ wäre demnach nicht in der Theorie Shannons oder der Kybernetik beheimatet, sondern vielmehr in der Systemtheorie und dem Konstruktivismus. Man kommt dem Thema Ästhetik allerdings erst dann näher, wenn die Beziehung zwischen ›Kommunikation‹ und ›Kunst‹ konzeptuell in Einklang gebracht wird. Dies umso mehr, als die Vielzahl unterschiedlicher Bedeutungen beider Begriffe offensichtlich ist.
© Medien Kunst Netz 2004