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ThemenKunst und KinematografieAkerman
Hin zu einem körperlichen Kino: Theatralität in Chantal Akermans Filmen der 70er Jahre [1]
Ivone Margulies

http://www.medienkunstnetz.de/themen/kunst_und_kinematografie/akerman/

»In meinen Filmen verfolge ich genau den entgegengesetzten Weg verglichen mit den Machern von politischen Filmen. Sie haben ein Skelett, eine Idee, und dann fügen sie Fleisch hinzu: ich habe zunächst einmal das Fleisch, das Skelett kommt dann später hinzu.« (Chantal Akerman, 1975) [2]

In »Hotel Montereyy« (1972) und »News from Home« (1976), zwei Filmen von Chantal Akerman, die sie in New York unter dem Einfluss des strukturellen Filmemachens gedreht hat, zeigt eine feststehende Einstellung eines leeren Flures bzw. einer überfüllten U-Bahn (menschliche Abwesenheit, menschliche Anwesenheit) die Bandbreite der Möglichkeiten des strukturellen Filmes. Wenn sich die Aufzugtür in »Hotel Monterey« zu einem leeren Flur hin öffnet, kann man dieses Bild als eine Ansammlung von Linien, Farben und perspektivischen Illusionen betrachten. Wenn sich die Kamera zu einer Halle voller Menschen hin öffnet, deutet dieser Moment des gegenseitigen Erkennens einen Katalog von Darstellungsmöglichkeiten für einenstrukturellen Dokumentar-Film an. Die Dichotomie zwischen zwei Arten von Raum (der Aufzug und die verschiedenen Stockwerke) wird nur dann wahrgenommen, wenn der »Verschluss« – die Aufzugtür – geöffnet ist. Das ist auch genau der Punkt, an dem die Dualität von Zuschauer und Objekt aktiviert wird, mit einem widerspiegelnden Effekt. Die Kamera ist fest installiert – im Flur, oder, wie in »News from Home«, senkrecht zu den Eingangstüren einer sich bewegenden U-Bahn, so dass für ein sich ständig veränderndes Szenario gesorgt ist, wenn neue fremde Personen eintreffen. Die Kamera wendet sich hartnäckig an diesen aufdringlichen Zuschauer, und zwar entweder so kurz wie der Kontakt eines flüchtigen Blickes oder aber so lang wie ein Starren. [3] Die relative Nähe der Hotelgäste bzw. der U-Bahngäste zur Kamera wird zu einem Beispiel für die kommunikative Dimension des menschlichen Raumverhaltens. In »News from Home« funktioniert die Kamera »wie ein Aufnahmegerät, das sich in der Schwebe befindet.« [4] Die Macht der Kamera ist einige Zeit lang messbar; letztlich erweist sie sich als zu aufdringlich, wenn sie einen Fahrgast in die Tiefe eines ganzen U-Bahnwagens oder sogar in den nächsten Wagen zwingt, bis er aus der Sicht verschwindet. In jedem dieser beiden Werke erzeugt die fest installierte, vergessene Kamera sowohl den Rahmen als auch den Anstoß für das Zutagetreten einer Darbietung von Seiten des Vorbeigehenden.

Hyperrealismus

Zuallererst bezieht sich der Begriff Theatralität auf Akermans Bevorzugung des Profilmischen. Sie besteht darauf, dass sie keine Montage-Filme macht: »Meine Arbeit steht der Arbeit von [Dreyer, Bresson und bestimmten japanischen Regisseuren] nahe, was die Verwendung der Kamera angeht. Was ich bei »Jeanne Dielman« gemacht habe, sind Aktionen in Echtzeit: die fest installierte Kamera ist in meinen Augen gar nicht so verschieden von der, die Warhol benutzt.« [5] Der feste Blickpunkt und die lange zeitliche Dauer von Akermans Einstellungen erschaffen eine relativ stabile Struktur, die es einem erlaubt, die Unterteilungen in Körper und Charakter sowie in Sprache und Drehbuch wahrzunehmen. Durch die Vorhersagbarkeit ihrerMethoden in punkto Einstellungen und Schnitt wird man dazu gezwungen teilzunehmen, anstatt bloß ihrer Mise-en-scène zu folgen. Bei der Diskussion über eine Szene in seinem Film »11 X 14« (1976) bestätigt der minimalistische Filmemacher Benning diesen Effekt der zeitlichen Dauer: »Wenn man anfängt, sich die Szene mit dem Schornstein anzuschauen, dann ist es offensichtlich, dass das ein Schornstein ist – aber weil sie siebeneinhalb Minuten dauert, muss man sich mit ihm als einem herumwirbelnden Körnchen auf der Leinwand befassen. Gegen Ende der Szene indes kommt ein Flugzeug durch das Bild geflogen, so dass er, nachdem man begonnen hat, formal auf das Bild zu schauen, wieder in die Geschichte eingeführt wird. [6]

Das Schwanken zwischen (oder vielmehr die Koexistenz von) darstellerischen und sprachlichen Ausdrucksweisen kann man außerdem als genau denjenigen hyperrealistischen Faktor ansehen, der für Akermans Kino wesentlich ist. Hyperrealismus wird hier verstanden als filmische Übersetzung des Effektes der Distanz, der daraus resultiert, dass ein Bild oder eine Skulptur einen Gegenstand reproduziert, der selber schon ein Abbild von Etwas ist – wenn z.B. ein Gemälde von Richard Estes ein Foto reproduziert. Wir blicken auf ein erstarrtes Zwischenstadium der Reproduktion, das auf subtile Weise mögliche Verweise zunichte macht, indem es sie auf einer zweiten Stufe der räumlichen Beseitigung präsentiert. Bei einigen hyperrealistischen Kunstwerken deutet die Betonung auf Oberflächen-Details auf eine Entfremdung hin, auf eine Überfrachtung – man sieht mehr, als man braucht, um das Bild zu ›lesen‹.

Hyperrealität wird erreicht durch einen vorgetäuschten Eindruck von Tiefe, durch die Überfrachtung mit Details, die aus einem feststehenden Blick resultiert. Im Zentrum des verfremdenden hyperrealistischen Bildes, im Zentrum seines Scheinbild-Effektes steht die Unschlüssigkeit in Bezug auf die wörtlich und die symbolisch gemeinten Kategorien, wofür die Werke von Benning und Akerman beispielhaft sind, genauso wie die Filme von Andy Warhol und Michael Snow.

Warhols minimalistisch-hyperrealistische Art des Filmemachens kann man als überlagerten, materiellen Realismus bezeichnen. Selbst wenn Warhol einen natürlichen Vorgang aufzeichnet (wie zum Beispiel in»Sleep« 1963) oder einen Gegenstand wie das Empire State Building (»Empire« 1964), der geprägt ist von früheren Darstellungen, verändert sein übertriebener Blickwinkel die Darstellung von ihren bildlichen hin zu ihren buchstäblichen Eigenschaften und umgekehrt. Körperliche Dimension

Das duale Verhältnis von bildlicher Figuration und Buchstäblichkeit, das durch die lange zeitliche Dauer im amerikanischen experimentellen Film begünstigt wird, und die Tendenz des modernen europäischen Kinos zu einem Realismus zweiten Grades beinhalten beide eine körperliche Dimension: indem sie auf den Verweisaspekt der Darstellung bestehen und diesen verstärken, erinnern sie den Zuschauer ständig an die physische, materielle Präsenz – des Kinos, des Schauspielers/Darstellers und des Zuschauers.

Während das Thema der Darstellung in Akermans frühen Filmen ein Nebenprodukt einer fest installierten, vergessenen Kamera ist, die nach dem Vorbild Warhols und des strukturellen Filmemachens konzipiert wurde, beinhalten ihre späteren, erzählenden Filme ein im Verborgenen bleibende Inszenierung und eine Art von Sprache – der monotone Dialog quasi als jeweilige Monologe in »Jeanne Dielman« und »Les Rendezvous d'Anna« –, die an die antinaturalistischen Filme von Bresson und Dreyer erinnern. Diese beiden Gesamtwerke, die in Europa verzahnt sind mit einem inhaltlichen Antinaturalismus (Bresson, Eric Rohmer und Dreyers »Gertrud« etc.), in den USA mit Experimenten mit proto- und infranarrativen Formen (Andy Warhol, Michael Snow und James Benning), geben einzigartige Herangehensweisen an Erzählweise und Darstellung wieder. Im Falle von Akerman treffen sie aufeinander, durch eine radikale nochmalige Prüfung der Vorstellung von Theatralität. [7]

Pop Art und Minimalismus

Akermans Aufenthalt in den USA in den frühen 1970er Jahren brachte sie mit dem experimentellen Film, mit der Minimal Art und mit dem neuen amerikanischen Tanz und der Performance-Kunst in Kontakt. Im Jahr 1972 besuchte sie das Anthology-Film- Archiv (Millenium) und sah sich zusammen mit der Kamerafrau und Regisseurin Babette Mangolte Performance-Aufführungen an. Auf verschiedene Artund Weise haben sich Pop und hyperrealistische Kunst mit dem Festhalten der modernistischen Kunst an der bildhaften Abstraktion beschäftigt – mit ihrer Verachtung sowohl für die Gestaltung als auch für die Konzeption. [8] Die Pop Art trägt mit ihrem ironischeren Image zur Kritik an den Abbildungen und an der konsumorientierten Gesellschaft bei, die von Jean Baudrillard, Roland Barthes und Henri Lefebvre in den 1960er Jahren in Frankreich geäußert wurde. Indem sie den Gegensatz zwischen Modernismus und Realismus einer Überprüfung unterzieht, betont die Pop Art eine öffentlich zugängliche, in Fortsetzungen veröffentlichte Version des Alltäglichen. Hyperrealistische Kunst, die auf den Minimalismus und die Pop Art folgt, zeigt ebenso ein Interesse an der Phänomenologie des Alltäglichen und bietet so eine visuelle Analogie für die Bedeutung der Beschreibung im Nouveau roman. [9] Wie Estes' zeitlich dazwischenliegende Fotos beweisen, gestattet das äußere Erscheinungsbild kein a-priori-Wissen: »Vielleicht ist es so, dass man, je mehr man zeigt, wie Dinge aussehen, umso weniger zeigt, wie sie sind oder wie wir glauben, dass sie sind.« [10] Indem sie sich anscheinend der modernistischen Vorschrift der Vereinfachung und der Entledigung von Inhalt verschrieben hat, beabsichtigt die Minimal Art in Wahrheit eine der radikalsten Alternativen zum Modernismus dadurch, dass sie die Unmittelbarkeit der Wahrnehmung, die für Clement Greenberg oder Michael Fried die Bedeutung von Kunst als einer Flucht vor der zeitlichen Dauer ausmacht, als ›puren‹ Augenschein in Frage stellt. In der Tat attackiert Fried in »Art and Objecthood« (1967) vehement die »theatralische«, auf Erfahrungen aufgebaute Dimension der Minimal Art, und lehnt einige der für diese Kunstrichtung charakteristischen Merkmale ab – wie z.B. die zeitliche Dauer, die räumlichen Verhältnisse und die Aufmerksamkeit, die der Rolle des Zuschauers geschenkt wird.

Statt einer »abstrakten Zuschauerschaft« beabsichtigt der Minimalismus eine Erfahrung, die ein Subjekt macht, dessen »körperliche Dichte sowohl sicher gestellt ist als auch ermöglicht wurde durch das Miteinanderverbundensein all seiner Sinnesbereiche.« [11] Bei den Werken der Minimalisten Donald Judd und Robert Morris [12] bringen sowohl die »einheitliche Form« – die Form ohne innere Struktur– als auch die serielle Veröffentlichung die Zuschauer dazu, sich mit ihrem Konzept von dem, was sie glauben, wie eine Form auszusehen hat, auseinander zu setzen. [13] Morris drückt es folgendermaßen aus: »Die gleichbleibende Form des Würfels, die man immer im Kopf hat, die der Zuschauer aber niemals buchstäblich erfährt, ist eine Tatsache, mit der die eigentlich sich verändernden perspektivischen Ansichten in Verbindung stehen.« [14]

Vom Gewahrsein der Körperlichkeit des Zuschauers

Ein Teil der Bedeutung der Körper-Metapher Akermans von Fleisch und Skelett ist der Hinweis darauf, dass, so argumentiert Rosalind Krauss, der »Körper im Allgemeinen«, der von den Minimalisten in den 1960er Jahren angesprochen wurde, der gleiche Körper ist, der in den 70er und 80er Jahren in der Kunst in seine Einzelteile zerlegt wurde. Als ein eindeutiges Beispiel dafür, wie das Gewahrsein des Zuschauers, was seine bzw. ihre eigene Körperlichkeit betrifft, möglicherweise mit einer politisierten Ästhetik verknüpft sein könnte, dienen die Filme von Akerman und Yvonne Rainer als Belege. »Je tu il elle« (1974) macht Akermans Bezugnahme auf minimalistische Prinzipien der geballten zunehmenden Serialität deutlich. Sie schöpft eine Reihe von Positionen aus für sich und für ihre Requisite, eine Matratze. Sie hält sich an Yvonne Rainers Hinwendung zu einer konkreteren Alltäglichkeit in der Darstellung, zum minimalistischen Auftrag des Choreographen und des Tänzers, der besagt, dass die Darstellung ihr Hauptaugenmerk auf die Bewegung richten sollte auf Kosten der Psychologie. Akermans Herumtragen der Matratze durch den Raum in »Je tu il elle« und Rainers Gebrauch von Koffern und Taschen bei der Aufführung von »Grand Union Dreams« (1971) sind Beispiele für aufgabenorientierte Darbietungen, bei denen das Objekt weniger die Zielscheibe einer Handlung ist, die die Rolle oder die Handlung erfordert, als vielmehr eine Requisite, die dazu dient, Gestik und Bewegung zu vergegenständlichen und zu banalisieren.

Die Ähnlichkeit zwischen Minimal Art, Performance-Kunst und minimalistischem und strukturellem Film macht deutlich, wie Strategien wie Echtzeit-Darstellung, Wiederholung und serielle Fortsetzung den Körper des Zuschauers in Anspruchnehmen, ein entscheidender Schritt für ein körperliches Kino. Zwei wichtige formale Richtungen, die sich beide dazu verpflichtet haben, sich, was den Zuschauer angeht, mit seinem bzw. ihrem Gewahrsein der Körperlichkeit und der Wahrnehmung zu beschäftigen, werden in der Kunst der 1960er und 70er Jahre immer wieder verwendet: Bei der ersten sorgt eine Überfrachtung mit Informationen, die durch einen vielfachen Input an Themen, Formen, Gesten und Medien entsteht, für eine geteilte Aufmerksamkeit des Einzelnen. Die Fluxus-Gruppen und John Cages Aufführungen, Allan Kaprows Happenings und der New American Dance (Rainer, Simone Forti, Lucinda Childs, Merce Cunningham) tragen allesamt zur Erkenntnis bei, dass Gleichzeitigkeit – eine gemeinsame Anwesenheit von Geschehnissen innerhalb und außerhalb des Textes – eine so nicht gewollte Art und Weise von Zuschauerreaktionen bewirken kann, wodurch die Anerkennung der Autorenschaft und die Absicht zunichte gemacht werden können. So wird z.B. die Stille zu einer Kombination aus zufällig entstandenen Zuschauergeräuschen und, gemäß Cage, der Leere, genau wie mehrfache Abbildungen das Terrain ebnen für eine Unklarheit, was die Absicht angeht. [15] Der Blickpunkt des Zuschauers verteilt sich auf eine gebrochene Oberfläche. Bei der zweiten, der minimalistischen Strömung, scheinen vereinfachte Formen, einzelne Begebenheiten und Aneinanderreihungen von sich wiederholenden Bildern oder Figuren sowohl die Interpretation zu blockieren als auch die Unmittelbarkeit der Wahrnehmung, die in der modernistischen Kunst beabsichtigt wird, zu verspotten.

Der ausgedehnte Blick des Zuschauers auf ganzheitliche Formen verlagert die Bürde des Unterschiedlichseins gänzlich auf seine bzw. ihre wahrnehmbare und physische Beziehung zu dem Kunstobjekt. Die zeitliche Dauer ist ein wichtiger Faktor in dem ununterbrochenen Wechselspiel des Minimalismus zwischen abstrakten, begrifflichen Vorgängen und auf Sinnesempfindungen basierenden Erfahrungen. Das Beharren auf vereinfachten Formen bzw. auf serieller Herstellung lässt die erlebte Zeit und den erlebten Raum der Konfrontation des Zuschauers mit dem Werk genauso unabänderlich werden wie die präsentierten Formen. Das Werk »wirkt« nur durch dieHartnäckigkeit des Zuschauers, was die Zeit angeht. Hier bezieht sich der Begriff »Gleichzeitigkeit« nicht nur auf das Erscheinen von verschiedenen Ereignissen zur gleichen Zeit, sondern auf den Aderlass des Werkes in Hinsicht auf die Bedingungen der Wahrnehmung. Genauer gesagt bezieht er sich auf die Koexistenz von Darstellung und Zuschauer. Beim Filmemachen ist die Darstellung von Ereignissen in Echtzeit ein sehr wichtiges Mittel, diese Koexistenz zustande zu bringen.

Performance versus Film

Während der Zufall und die Vielfalt vorzüglich dazu geeignet sind, die Absicht, die hinter einem Werk steckt, »zum Schweigen zu bringen«, sind sie hingegen doch bei einer Theater- bzw. Live-Performance einfacher zu erreichen als beim Film. Beim Film kann die Forderung, dass der Blick des Zuschauers gleichzeitig auftretende Punkte der Aufmerksamkeit wahrnehmen sollte, hervorgerufen worden sein durch die Projektion auf mehreren Bildschirmen. Oder aber es wird, wie bei so diversen Gruppierungen wie den Fluxus-Künstlern oder denen, die strukturelle und materialistische Filme machen, die Aufführung eines Filmes als vom Zufall abhängend gezeigt: so wie sich die Kratzer und der Schmutz auf der leeren Leinwand in Nam June Paiks »Zen for Film« oder in George Landows »film in which there appear sprocket holes, edge lettering, dirt particles, etc« (1966) ansammeln, werden die Besonderheiten sowohl des Filmemachens als auch der Darstellung wahrgenommen – der Film mit seiner Kategorie der Wiederholung und die Darstellung mit ihrem Umstand der zufällig entstandenen Einzigartigkeit. [16]

Eine andere Lösung, die André Bazins Vorstellung von einem wandernden Blickpunkt des Zuschauers übernimmt, ist die Totale, die die vielen Ebenen einer stark fokussierten Aufnahme zeigen kann (oder gerade nicht). Die Filme Warholzeigen, dass sowohl die Gleichzeitigkeit der Ereignisse auf dem Bildschirm als auch die lange zeitliche Dauer eines einzigen Bildes oder eines Ereignisses eine einseitige Wahrnehmung verhindern können. »Empire«, mit seiner einzigen Einstellung und der langen zeitlichen Dauer, unterstreicht genauso wie »The Chelsea Girls«, mit seiner gleichzeitigen Darstellung von zwei Teilen und seinen ruhelosen, zufälligen Zooms, Warhols Vorliebefür ›Lärm‹, sowohl was die Struktur des Werkes als auch dessen dazugehörige Wahrnehmung angeht.

All diesen Vorgängen liegt ein Gefühl von Sinnentleerung zugrunde. Sowohl die reinen, ganzheitlichen Formen als auch ein endloses Austauschen und Nebeneinanderstellen von typischen Kameraeinstellungen, ein Überlagern von formalen Spielereien, sind Strategien, mit denen eine Bedeutungsfindung verhindert werden soll. Eine vereinfachte Form, der Inhalt oder ein Vorgang kann ein logisches Begreifen nicht weniger vereiteln als eine Überfrachtung mit Assoziationen (wie bei diversen Strukturen von Spielen, die Hollis Frampton, Snow und Landow vorgeschlagen haben). Richard Serras »Hands Scraping« (1968) veranschaulicht einen Vorgang der Reduzierung, der buchstäblich zu einer »leeren« Leinwand führt. Dieser Vorgang steht in gewisser Weise im Einklang mit dem Zurückdrängen von Inhalt im Modernismus und dessen Bevorzugung der stofflichen und auf Erfahrungen basierenden Dimensionen der Kunst; im Gegensatz zu Greenbergs Modernismus strebt der minimalistische Entwurf allerdings danach, einen subjektiven Einsatz durch ein Thema hervorzulocken, das der leeren Leinwand nahe kommt. [17]

Akermans Minimalismus

Die Kamera in Hotel Monterey« und »News from Home«, die in Fluren und öffentlichen Verkehrsmitteln installiert ist, repräsentiert eine Variante des strukturellen Minimalismus. Akermans Kamera bezieht Räume des Übergangs. In all ihren Filmen zieht die Echtzeit-Darstellung das Gewahrsein des Zuschauers in Hinsicht auf seine bzw. ihre eigene physische Präsenz auf sich. Außerdem verbinden sich in ihrer strukturellen Arbeit festgelegte, lange Einstellungen mit zufälligen, einmaligen Ereignissen, wodurch eine Strukturierung einer Bewegung gegenübergestellt wird und ein Aspekt der Darstellung zu Tage tritt, der fundamental für die Ästhetik der 70er Jahre war. Dieses Interesse kann man in Akermans frühen Filmen »La Chambre 1«, »La Chambre 2« [18] und »Hotel Monterey« (1972) sowie auch in »News from Home« (1977) erkennen.

Die strengen formalen Parameter, die für jeden Film aufgestellt wurden – der sich vor und zurück bewegende 360-Grad-Schwenk in »La Chambre 2«, dasAbtasten des kompletten Gebäudes vom Boden bis zum Dach, vom Abend bis zur Dämmerung, die entlang der Achse ausgerichteten Kamerabewegungen in »Hotel Monterey«, die festgelegten symmetrischen Einstellungen in »News from Home« – lassen zufällige Ereignisse zu, die sich so als herausragende Anziehungspunkte der Aufmerksamkeit definieren können: ein Fahrgast weigert sich, sich der Kamera gegenüberzustellen in dem beengten Raum eines Aufzuges, ein Fußgänger verspürt den Wunsch, sich alle paar Schritte umzudrehen und in die Kamera zu schauen, die in einem U-Bahn-Gang befestigt ist – das sind Beispiele von einmaligen Ereignissen, die, wie es scheint, von dem sie beobachtenden Sucher der Kamera erst ausgelöst werden. Mit einer Art Zug- und Gegendruck-Dynamik verbindet ihre Anwesenheit in den Filmen die Räume hinter und vor der Kamera miteinander. Von aufgesetzter Gleichgültigkeit bis hin zu resolutem Gegenübertreten – Akerman erzeugt in »La Chambre« und in »Je, tu, il, elle«, egal ob sie die anscheinend automatische Perspektive der Kamera verleugnet oder sie betont, ein kurzzeitiges Ineinandergreifen zwischen ihrer Sichtweise und der Kamera. So wie ein Spiegel erzeugt die Kamera eine äußere Erscheinung, die immer zweigeteilt ist. [19] Dieser Blick kann teilnahmslos erscheinen, aber seine Beziehung zu dem Ereignis, das gefilmt werden soll, ist sehr provokativ. Die Art der Ansprache, die dieses Setup erfordert, skizziert einen Dialog zwischen Godard und Warhol: die scheinbare Vergesslichkeit des Kinematografischen (Kamerabewegung, Einzelbild und Schnitt) im Hinblick auf das aufzunehmende Geschehen setzt eine bestimmte Art von Zuschauerbeteiligung in Gang, die eine post-Godardsche Betrachtungweise ins Leben ruft. Für Akerman bedeutet dies eine Kameraausrichtung, die weniger eine Aussage der Wahrheit offenbaren oder vermitteln will, eine Kameraausrichtung, die den Zuschauer gefangen hält innerhalb einer mechanischen, anscheinend unmotivierten Inszenierung. Die unmotivierte Kamera (in der Tradition von Warhol) stellt zwei pulsierende körperliche Materialisierungen einander gegenüber: Die eine ist der im Kino erscheinende Körper des Darstellers, die andere der Körper des Zuschauers. Zwischen diesen verschiedenen Rhythmen – dem derKamera, dem des Darstellers und dem des Zuschauers – erzeugt dieses Spannungsverhältnis die spezifische Theatralität des strukturellen minimalistischen Films. Bennings Inszenierung von unspektakulären Ereignissen, die seine statischen Landschaftsaufnahmen in »11 X 14« auffrischen, und Snows quasi-narrative Erinnerungen in »Wavelength« (1967) und »Back and Forth« (1969) sind zusätzliche Beispiele für diese Vorgehensweise.

Narrationen

Akermans narrative Filmkunst inszeniert immer wieder ein Kino der Gleichgültigkeit. Das Verhältnis zwischen der geistigen Versunkenheit und der Theatralität, das in »Jeanne Dielman«, »Je tu il elle«, und »Les Rendez-vous d'Anna« aufrecht erhalten wird, deutet auf ein Verlangen hin, erneut mittels der Darstellung die Wahl zwischen dem Hinwenden des Gesichts zur Szene oder dem Hinwenden zum Publikum zu erleben. Die Beziehungen der Figuren untereinander und ihr Verhältnis zum Publikum schließen sich in diesem Fall nicht gegenseitig aus, sondern beleben sich gegenseitig mit Hilfe einer gewissen Unbeständigkeit.

Es ist diese übertriebene Konzentration auf den Text, die mit dazu beiträgt, dieses Schwanken zwischen Bühne und Publikum zu erzeugen. [20] Wenn Akermans Filme theatralisch erscheinen, dann deswegen, weil sie oftmals Informationen beinhalten, die vielleicht notwendig sind für die Bühne oder für ein Buch, die aber überflüssig sind in einem Film. [21] Akerman stellt den didaktischen Drang nach Zitaten in Frage, indem sie ihren Text stattdessen mit einander im Widerspruch stehenden Funktionen belädt. Manchmal transportiert ihr Text Informationen mittels eines Übergewichtes an Wortschwall, manchmal wird die Preisgabe von unverbürgten Informationen auf anderen, nicht sofort funktionalen Ebenen gut geheißen. Akerman kann den rhythmischen Wert eines bestimmten Satzes verändern, wodurch sie absichtlich für eine Verwirrung im Hinblick auf die Begriffe von Bedeutung und reiner Information sowie im Hinblick auf die Vorstellung von Ausdruckskraft und Erregung (Rhythmus, Tonfall etc.) sorgt. Akermans litaneigleiche Dialoge scheinen Brechts Ausspruch über die Ausdruckskraft in Frage zu stellen: »Die drei Ebenen – das normale Sprechen, das betonte Sprechen und das Singen – müssen immer voneinander getrennt bleiben, auf keinen Fall sollte das betonteSprechen eine Steigerung des normalen Sprechens bzw. das Singen eine Verstärkung des betonten Sprechens darstellen.« [22] Man könnte an ein alternierendes Muster für Akermans Umgang mit Text denken: an Samuel Becketts alogische Permutationen und minimalistische Wiederholungen und, was den Film betrifft, Bressons Dämpfen der Vortragsweise seiner Darsteller in Hinsicht auf Wiederholung und gleichbleibende Intonation.

Bezugspunkt Bresson

Mit Hilfe der Wiederholung – zunächst bei den Proben, dann bei den zahlreichen Aufnahmen – flicht Bresson ein kinematografisches Gewebe, das Ton, Bewegung und Einzelbild wieder zusammen führt und intensiviert. Im Gegensatz zu Brechts eklektischen Collagen (eine Technik, die in Bezug auf den Film am besten durch Godards Montage von Materialien und Stimmen repräsentiert wird, die verschiedene Wege der Rhetorik nutzbar macht – Interview, Dokumentation, sichtbarer Text etc.), schätzt Bresson die Verstärkung von Elementen, die von einer homogenen Struktur bewirkt wurde: seine subversive Linearität und die Steigerung des mit zum Erzählen gehörenden Tones bevorzugen eher eine metonymische Verschiebung als eine metaphorische Assoziation. [23]

Laut P. Adams Sitneys einleuchtender Unterscheidung zwischen einem geometrischen Stil (Kubelka, Eisenstein etc.) und einem linearen »konzentriert sich Bresson auf jene Figuren der Kinematografie, die einen Eindruck von Flüssigkeit und Verdichtung vermitteln und starke Brüche und Einschübe vermeiden.« [24] Er vertritt eine Ästhetik der Homogenität. Bresson bringt den Begriff des Automatismus – als ein natürlicher, unbedachter Prozess – in Verbindung mit den Vorgängen der Wiederholung, die zum Kino und der kinematografischen Wiedergabe gehören. Sein Ziel ist es, sowohl den Körper als auch die Darstellung mit der mechanischen Reihenfolge des Kinos in Einklang zu bringen, mit ihrer Fähigkeit, etwas in seine Einzelsteile zu zerschlagen und wieder zusammen zu fügen. Indem er die immer wiederkehrenden Abläufe innerhalb des Filmemachens (die Proben, die aufeinander folgenden Aufnahmen, die eigentliche Aufführung des Films im Kino) sich gegenüber der Darstellung der Vorlagedurchsetzen lässt, schlägt Bresson eine antimetaphysische Ästhetik vor.

Brecht versus Bresson

Die Unterscheidung zwischen Brecht und Bresson beinhaltet eine Kontroverse, die letztlich Auskunft gibt über die Diskrepanz zwischen Heterogenität und Homogenität als unterschiedliche Methoden: sowohl die Fähigkeit des Kinos, sich andere Formen der Kunst und andere inhaltliche Themen anzueignen, als auch die verschiedenen Arten, die Zuschauer anzusprechen, sind zwei wichtige Faktoren im Hinblick auf die Etablierung eines ausgeprägt antinaturalistischen Filmes. In der Tat ist der antinaturalistische Film, der sehr eng verbunden ist mit der vordersten Reihe des kinematografischen Modernismus, eine Art des Filmemachens, das geprägt ist von Ironie und Kommentar, eine Form von Film, die gekennzeichnet ist durch eine Ästhetik der Heterogenität. [25] Diese Filme können auf einen großen Vorrat an reflexiven Strategien als ihr Hauptinteresse zurückgreifen, die von Brecht für didaktische Zwecke hervorgehoben wurden: Zitate statt Darstellung, das Nebeneinanderstellen von heterogenen Materialien sowie der eklektische Gebrauch von Medien und Methoden der Darstellung.

Godards Ästhetik macht Fortschritte durch nebeneinander gestellte und gegengestellte Entwicklungssprünge, durch ein Jonglieren mit Elementen innerhalb der filmischen Stofflichkeit. Innerhalb dieses modernistischen Ethos bezeichnen diese (visuellen, hörbaren) Brüche zugleich eine andere, mehr als nur formale Art eines Einschnittes: den einer politisierten Geste – gegen das Kapital, gegen das Establishment etc.

Obwohl die Unterbrechung ein Hauptthema des antinaturalistischen Kinos ist (von der sowjetischen Film-Montage über Peter Kubelkas rhythmische Montage bis zu Bruce Conners »Collagen« aus zufällig gefundenen Filmaufnahmen), obwohl sich dieser qualvolle modernistische Diskurs unvermeidlich auf den klassischen oder konventionellen Text bezieht, erwartet man, dass er zerbricht. In dieser Art von Film, [26] dessen Inbegriff die Filme von Godard sind, »hat die bedenkliche Ergebenheit in Bezug auf das, was die Konventionen des kommerziellen Filmemachens in Hollywood angeht, als Kontext und Vorbedingung fürden formellen Radikalismus fungiert.« [27] Akermans filmisches Schaffen gibt auf der anderen Seite keinen Kommentar ab über die anderen kinematografischen Methoden. Ihre Energie wirkt nicht zentrifugal wie Godards, die sich anderen Diskursen und Tatsachen öffnet; ihren konzentrierten Blickpunkt kann man besser begreifen mit Hilfe der Terminologie der Ästhetik der Homogenität, wie sie Bresson, Dreyer und auch Rohmer vertreten. [28]

Übersättigung und Überfrachtung

Chantal Akermans Werk ist syntagmatisch und funktioniert durch eine lineare Ansammlung von Wiederholungen. Sie besteht auf vereinfachten Formen sowie auf einzelnen Charakteren und Schauspielern, genauso wie auf minimalen Abweichungen in Bezug auf Ausstattung und Drehort. Die Werkzeuge, mit denen sie eine Alternative zum Brechtschen/Godardschen Modell konstruiert, sind zeitliche Dauer, Ansammlung, Schlichtheit und Gleichheit.

Akermans Verständnis vom kinematografischen Realismus ist eigenwillig: Sie unterwirft sich übertrieben – und dies ist ihr Verstoß – der Forderung des klassischen Kinos nach Linearität und Einheitlichkeit der Struktur. Ihre Totalen und die langen inneren Monologe der Figuren führen zu einer Übersättigung der textlichen und erzählerischen Homogenität, wodurch ein rhythmisches Ungleichgewicht erzeugt wird, ein Makel im kostbaren Kräftegleichgewicht des klassischen Kinos. Akermans formale Treue zu Bresson, Dreyer, Yasujiro Ozu und Warhol erfordert ein Verständnis dafür, wie ihr non-didaktischer Antinaturalismus Anteil nimmt an der Verlagerung der Empfindlichkeit, die eindeutig in einer post-Godardschen Tradition steht. Akermans Weigerung, zwischen sich und anderen aus einer Position innerhalb des Kinos heraus die Vermittlerin zu spielen, liegt in ihrem Diskurs der Überfrachtung begründet, der die Isoliertheit und die Unabhängigkeit des Publikums herstellt: »Ich muss einen Ort für den Zuschauer/die Zuschauerin übrig lassen in all seiner/ihrer Verschiedenheit«, [29] sagt Akerman.

Eine problematisierte Linearität der Episoden oder Ellipsen und eine Bevorzugung der Unregelmäßigkeit gegenüber der Direktheit bei der Inszenierung ersetzen das direkte Hinterfragen der kinematografischenSprache und die direkte Ansprache des Publikums. Zentrales Thema bei dem Begriff »theatralisch« ist die Aufspaltung in zwei verschiedene Faktoren, die zur gleichen Zeit die Anerkennung beanspruchen: das Erscheinen des Zuschauers und das der dargestellten Szene. Beide stehen in Beziehung zueinander durch das Verhältnis des Getrenntseins oder der Vertrautheit, das zu jeder Zeit uneingeschränkt besteht. Und diese beiden Pole definieren ein Gravitationsfeld, in dem sich die Beschäftigung mit der dargestellten Szene vergleichen lässt mit dem eigenen Eingeständnis des Getrenntseins von der Szene, dies aber niemals auslöscht.

Die Darstellung aus dem Gleichgewicht zu bringen, indem man die alten Antithesen des Dramas von naturalistischer Versunkenheit und Künstlichkeit noch einmal nennt, heißt, die direkte Ansprache im Sinne von Godard misstrauisch zu betrachten. In den Filmen von Bresson, Dreyer, Rohmer, Handke, Straub und Huillet sowie Akerman wird die Selbstversunkenheit der Charaktere, während sie sprechen und dem anderen zuhören, bis zu dem Punkt übertrieben, an dem ihre Vortragsweise zu einer fast automatisierten Umsetzung des Textes umgeformt wird. In Dreyers »Gertrud« geht die Rede einer Figur ständig über den Adressaten hinaus – »sie reden aneinander vorbei.« [30] Der verbale Diskurs wird verstärkt, und der Text befindet sich schwebend über den Körpern, wie es die Film-Musik zu tun pflegt. [31] »Es ist das erste Mal, dass ich dem Wort soviel Bedeutung habe zukommen lassen, und dies half mir, eine neue Gestaltungsform zu finden, die zwischen Theater und Film liegt.« [32]

Die Rolle des Textes

Genau wie Rohmer und wie Dreyer in »Gertrud« gesteht Akerman dem Text eine Bedeutung zu, wie es das konventionelle naturalistische Kino nicht tut. Es ist genau jene zentrale Rolle der verbalen Ansprache, ihr Übergewicht und ihre mangelhafte Einteilung, die den Eindruck von Theatralität in ihren Filmen hervorruft, das Aneinandervorbeireden genauso wie die Wiederverwendung von überflüssigem Dialog oder die versehentliche Ansprache der Figuren an das Publikum. Akermans Übertreibungen – die enorme Länge ihrer Einstellungen, ihr aufgeblähter oder komprimierter Dialog – beschwören eine zusätzliche materielleDimension der Darstellung, die in wesentlicher Hinsicht eng verwandt ist mit dem modernistischen, sich auf der zweiten Stufe befindenden Realismus von Bresson, Rosselini, Dreyer sowie Straub und Huillet. Dieses europäische Kino geht nach dem Grundsatz der Intensivierung des Diskurses vor. Es kann indirekte Erzählungen (oder zumindest literarische Eigenschaften) mit gesprochener Rede (»Pickpocket« 1959) verbinden; es dehnt den Dialog aus bis hin zu einem Austausch von Monologen (Straub und Huillets »Othon« 1969, Rohmers »Ma nuit chez Maude« 1969, »Les Rendez-vous d'Anna«); es verdoppelt Gestik und Vortrag (»Gertrud«) und spielt das gesprochene Wort gegen das geschriebene aus (»Diary of a Country Priest«). Mit der wichtigen Ausnahme des Werkes von Straub und Huillet funktioniert dieses vielschichtige Filmemachen dank der übergreifenden Struktur der Homogenität. Es sind jedoch die Filme von Bresson, die die Bedeutung dieser Intensivierungen für eine unterschiedliche Darstellung am besten verdeutlichen. Sein filmisches Werk erzeugt eine Überfrachtung, ein Verhindern einer psychologischen Interpretation, die der Wirkung von Akermans Filmen ähnelt. Sein Widerstand gegenüber der für den Naturalismus typischen zeitlichen Gleichschaltung bringt ihn dazu, Kommentare über die Bilder zu legen, gesprochenes Wort über handgeschriebenes, Gestik über Rede, immer mit kurzer zeitlicher Vorwegnahme oder Verzögerung.

Was sich unbemerkt ereignet haben könnte, als ›normal‹ angesehen, erzeugt statt dessen ein Gefühl der Wiederholung – man fühlt, dass man bestimmte Bilder schon einmal gesehen hat. In »Pickpocket« hebt Michel seinen Finger, als er ob nach einer Richtung suchen würde. Diese Geste kann man erst in der nächsten Einstellung als das Herbeirufen eines Taxis erkennen; und doch bekräftigt sie, wenn auch vielleicht unbewusst, den darüber gelegten Kommentar: »Ich wusste nicht, wohin ich ging.« Die Geste ist in verschiedene Bedeutungen aufgeteilt. Der die Vertrautheit aufhebende Effekt dieser Strategien der Überfrachtung steht in Beziehung zu Akermans Verwendung der Überfrachtung und der Buchstäblichkeit, mit der sie eine Interpretation vorweg nehmen will.

Zwischen Theater und Film

Das Projizieren einer verdoppelten Deutungsweise auf eine einzige Figur schafft eine Körperlichkeit, die beim Film von besonderem Interesse ist. Bressons Vorstellung von der Wiederholung, die zum Automatismus wird, zu fast so etwas wie einer zweiten Natur, bringt durch ihr Streben nach einem reinen Kino eine neue Form hervor, die sich »zwischen Theater und Film« befindet. Diese Behauptung ist nicht als Kommentar zu Bressons Geringschätzung von Theater und Film gemeint. [33] Seine Vorstellung von einer rekonstruierten Realität, die allein auf der Leinwand existiert, deutet auf eine heftige Abneigung gegen den Begriff einer Realität, die inszeniert werden muss, und gegen ein Drehbuch, das umgesetzt werden muss – gegenüber der Vorstellung von der Darstellung an sich. Bresson scheint eine Darstellungsmethode vorzuschlagen, von der er weiß, dass sie nicht umgangen werden kann: die Wiederholung. Direkt, ökonomisch und genau, so untergräbt die Darstellungsweise von Bressons Figuren – seinen nichtprofessionellen Schauspielern – den Naturalismus durch die Automatismen, die für das Kino passend sind (das die mechanische Reproduktion auf Körper und Gesten überträgt). [34] In dieser neuen Form sind das filmische Werk und die Darstellungen durchflutet von einem Gefühl des Mechanischen, von der Eigenschaft eines Automatismus, die aus einer erheblichen Stilisierung und aus der Entwicklung der textlichen Formulierungen resultieren. Bei dem Filmschaffen, das uns hier interessiert, wird diese Eigenschaft auf die Figuren und die Schauspieler übertragen und ist verantwortlich für eine Unbeholfenheit im Hinblick auf den Rhythmus (im Hinblick auf Bewegung und Rede), der auf jeden Fall anders ist.

Das körperliche Kino, das ich hier beschrieben habe, funktioniert durch die Überfrachtung; durch das Übereinanderlegen von wörtlichen und metaphorisch gemeinten Berichten; durch den Überfluss an Grundlagen der Information (die man sowohl verbal als auch visuell erhält); durch das Projizieren von vielfältigen Funktionen auf eine einzige Figur (des Autors und Darstellers, des Schauspielers und der Person) – sie alle erzeugen eine Verwirrung in Bezug auf den Standpunkt.

Die Qual der Wahl, entweder Chantal Akerman oderdie Darstellerin in »Je tu il elle« bzw. Delphine Seyrig oder Jeanne in »Jeanne Dielman« zu sehen, oder die Mutter oder die Tochter in »News from Home« zu hören, kann nicht so leicht gelöst werden. Die Alternativen werden nicht nebeneinander vorgestellt, auch nicht eine nach der anderen, und pädagogisch aufbereitet – mit der didaktischen Wirkung von Zitat und Unterbrechung, die geeignet ist für eine Ästhetik des Nebeneinanderstellens. Akermans minimalistischer Hyperrealismus wirft nicht nur eine essentialistische Lesart des Bildes mittels seines ständigen Schwankens zwischen wörtlichen und symbolisch gemeinten Kategorien über den Haufen, sondern untergräbt auch die Begriffe von Typus, Figur und Autor und erzeugt so ein doppeltes Verständnis von bzw. eine innere Zerrissenheit im Hinblick auf die Darstellung des Subjektes.

© Medien Kunst Netz 2004