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Karlheinz Stockhausen »Mikrophonie I« | Mikrophonie
Karlheinz Stockhausen, »Mikrophonie I«, 1966
Mikrophonie | Fotografie | © Karlheinz Stockhausen
Aufführung von Mikrophonie 1 im WDR Köln, Juni 1965; VLNR: Johannes Fritsch, Aloys Kontarsky, Bernhard Kontarsky, Alfred Alings // Quelle: Karlheinz Stockhausen: Texte zur Musik 1963-1970, Köln 1971


 Karlheinz Stockhausen
»Mikrophonie I«

Nach der Komposition KONTAKTE für Elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug, in der auf Tonband gespeicherte Elektronische Musik zum Spiel von 2 Instrumentalisten synchron über Lautsprecher wiedergegeben wird, suchte ich nach engeren Verbindungen von Elektronischer und instrumentaler Musik. 1964 schrieb ich die MIXTUR für Orchester, 4 Sinusgeneratoren und 4 Ringmodulatoren und unmittelbar danach die MIKROPHONIE I für Tamtam, 2 Mikrophone, 2 Filter und Regler. 1965 folgte die MIKROPHONIE II für Chor, Hammondorgel und Ringmodulatoren.
In der MIKROPHONIE I versetzen Spieler ein großes Tamtam mit verschiedensten Materialien in Schwingung; zwei Spieler bewegen Mikrophone mit der Hand über die Tamtamfläche; eine dritte Gruppe von Spielern transformiert mit elektrischen Filtern und Reglern die aufgenommenen Schwingungen, die gleichzeitig zum Originalklang des Tamtams über Lautsprecher wiedergegeben werden. Die Aufteilung des musikalischen Prozesses in drei selbständige Bereiche (Schallerzeugung, Schallaufnahme, Schalltransformation) macht es möglich, alle Erfahrungen der instrumentalen Praxis mit denen der elektronischen Klangtechnik kontinuierlich zu verbinden. Dadurch können beliebige Klangquellen (traditionelle Instrumente, Schallereignisse irgendwelcher Natur) in eine nach Kohärenz strebende Klangkomposition integriert werden, und der Dualismus zwischen Instrumentalmusik und Elektronischer Musik verschwindet.
Der Titel MIKROPHONIE weist ferner darauf hin, daß normalerweise unhörbare Schwingungen (eines Tamtams) durch einen aktiven Prozeß des Abhorchens hörbar gemacht werden (dem Abhorchen eines Körpers durch einen Arzt vergleichbar); das Mikrophon wird, entgegen seiner bisherigen passiven Funktion möglichst getreuer Wiedergabe, aktiv als Musikinstrument verwendet.
Die Vorgänge der Klangverarbeitung und Tonband-Montage, die sich bisher ausschließlich während langwieriger Arbeitsprozesse im Studio für Elektronische Musik ereigneten, werden in MIKROPHONIE I praktisch in der Zeit Null, also gleichzeitig mit der Klangerzeugung, durchgeführt und das Resultat sofort hörbar gemacht. Daß nun automatische und in extrem kurzer Zeit steuerbare elektronische Prozesse der Klangtransformation entwickelt werden müssen, ergibt sich von selbst. [...]

(Geschrieben 1965 für die Sendereihe im WDR »Kennen Sie Musik, die man nur am Lautsprecher hören kann?« Erstdruck im MELOS, November 1966)

Quelle: Karlheinz Stockhausen: Texte zur Musik 1963-1970, Köln 1971