Hinweis: Wenn Sie diesen Text sehen, benutzen Sie einen Browser, der nicht die gängigen Web-Standards unterstützt. Deshalb wird das Design von Medien Kunst Netz nicht korrekt dargestellt. Die Inhalte selbst sind dennoch abrufbar. Für größtmöglichen Komfort und volle Funktionalität verwenden Sie bitte die empfohlenen Browser.
 
Erik Satie »Vexations«
Erik Satie, »Vexations«, 1893
© Erik Satie
Gesamtansicht öffnen


 
Erik Satie »Vexations«Erik Satie »Vexations«Erik Satie »Vexations« | Audio abspielen

Kategorien: Audio Art

Schlagworte: Zeit | Musik

Relevante Textstellen:

icon: authorGolo Föllmer »Audio Art«


Frankreich
 

 Erik Satie
»Vexations«

Das Klavierstück »Vexations« gilt als längstes Musikstück der Geschichte. Je nach Deutung der Interpretationsanweisung dauert eine Aufführung 14 oder 28 Stunden. Dabei besteht das Stück aus nur drei Notenzeilen, die noch dazu dasselbe Thema variieren. Laut Angaben spielt der Interpret abwechselnd das Bassthema allein und daraufhin eine der beiden Variationen, die einen doppelten Kontrapunkt zum weiterhin im Bass gespielten Thema bilden. Die ungeheure Dauer kommt durch Saties Anweisung zustande, das ABAC-Muster 840 mal zu wiederholen und das Stück in sehr langsamem Tempo (»trés lent«) zu spielen. Das Stück kam 1949 durch Henri Sauguet, einen Freund Saties, aus der Vergessenheit in die Hände von John Cage, der es zuerst für ein interessantes Konzept, jedoch unaufführbar hielt. 1963 organisierte Cage aber dann in New York die erste vollständige Aufführung.

Die Deutungen des radikalen Werks gehen weit auseinander. Manche halten es für Saties größten und zugleich erfolgreichsten Bluff oder Unsinn. Andere interpretieren es als ersten Vorläufer der Zwölftonmusik Schönbergs bzw. der seriellen Musik der 1950er Jahre, die alle zwölf Töne der Skala gleichwertig behandeln und nach strikten Schemata verwenden. Wieder andere sehen »Vexations« als einen Versuch, Langeweile künstlerisch produktiv zu nutzen, als Spiel mit endlosen Wiederholungen, dessen Gleichförmigkeit schon der Stille nahekommt. Die Nähe zu Stille und Unbeweglichkeit sind in Erik Satie Spielanweisung zu finden: »Pour se jouer 840 fois de suite ce motif, il sera bon de se préparer au préalable, et dans le plus grand silence, par des immobilités sérieuses.« John Cage ging daher sogar so weit, Saties Anmerung zu »Vexations« im Geist des Zen-Buddhismus als Anleitung zu musikalischer Meditation zu verstehen.

Der Charakter des Stücks nimmt den musikalischen Gestus heutiger installativer Arbeiten vorweg. »The static, undramatic nature of Vexations, reinforced by repetition, gives it the character of a 'sound object' (objet sonore), while the 'flatness' of the music suggests a two-dimensional surface. The immobility which the performer is advised to adopt is the immobility of the music itself, which becomes an 'immobile' sound object to be 'viewed' by the listener.« (Stephen Whittington: Serious Immobilities. On the centenary of Erik Satie's Vexations, 1999) Damit ist »Vexations« auch Vorläufer von Saties eigenem, erst viel später konkretisierten Konzept der »musique d'ameublement«, die dazu dienen soll, Räumen eine unscheinbare akustische Tapete zu geben.

 

Golo Föllmer