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Editorial
Bild-Ton Relationen
Dieter Daniels, Inke Arns
 

Ahhh… / Ahhh…

Doo, doo, doo, do-doh / Doo, doo, doo, doo doo do-doh Don't you wonder sometimes / About sound and vision Blue, blue, electric blue / That's the colour of my room / Where I will live / Blue, blue Pale blinds drawn all day / Nothing to do, nothing to say / Blue, blue I will sit right down, waiting for the gift of sound and vision And I will sing, waiting for the gift of sound and vision Drifting into my solitude, over my head Don't you wonder sometimes / About sound and vision (David Bowie, Sound & Vision, 1977)

 

Was David Bowie in seinem im Berlin der 1970er Jahre entstandenen Song als bewundernswerte »Gabe« ( »gift«) bezeichnet, ist heute in der zeitgenössischen (Medien-)Kunst wie der Popkultur zu einem fast allgegenwärtigen Phänomen geworden. Aktuelle Beispiele umfassen Videoclips, Techno-Visuals, Video- /Audiokunst sowie Samplingtechniken von DJs und VJs. Angesichts dieser vielfältigen aktuellen Verschränkungen von Bild und Ton leistet dieses Modul ein Vierteljahrhundert nach den wegweisenden Ausstellungen wie Für Augen und Ohren. Von derSpieluhr zum akustischen Environment (Akademie der Künste Berlin, 1980) oder Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts (Staatsgalerie Stuttgart, 1985) eine Bestandsaufnahme neuerer künstlerischer Projekte und wissenschaftlicher Ansätze in diesem Bereich. Das Modul Bild-Ton Relationen nimmt die auffällige Präsenz audiovisueller Strategien in aktuellen (Medien-)Kunstprojekten zum Anlass, um konkrete Verbindungen zu historischen Entwicklungen zu verdeutlichen und so Ähnlichkeiten und Unterschiede zu konzeptuellen Vorläufern sichtbar zu machen. Dies betrifft insbesondere Vertreter des abstrakten Films (»visuelle Musik«) sowie frühen Formen des Radiohörspiels (»Hörfilm ohne Bilder«) der 1920er Jahre, die bereits Anfang des Jahrhunderts die weitreichenden Perspektiven einer künstlerischen Synthese vorwegnehmen. Genau diese konzeptuelle Rückbindung aktueller Positionen an historische Vorläufer und deren Sichtbarmachung im Kontext gegenwärtiger (medien-)künstlerischer Entwicklungen unterscheidet »Bild-Ton Relationen« auch von den meisten bisherigen Publikationen oder Veranstaltungen [1] zu diesem Thema. Während diese größtenteils

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entweder rein historisch ausgerichtet sind oder ausschließlich aktuelle Positionen versammeln, geht es in der vorliegenden Publikation um eine gegenseitige Befragung von Gegenwart und Geschichte. Dieses Vorgehen ermöglicht eine durch die gegenwärtige Situation geschärfte Perspektive auf historische Positionen und lässt diese in einem ihnen gebührenden aktuellen Kontext sichtbar werden.

Die Verbindung zwischen der Welt des Visuellen und der des Akustischen ist heute so eng und vielfältig, dass es uns schwer fällt, sich vorzustellen, wie voneinander getrennt diese Bereiche bis zum Beginn des Medienzeitalters waren. Diese Trennung bestand sowohl in der kulturellen Bewertung von Musik und bildender Kunst wie auch in der physisch-materiellen Darstellung von Bildern und Tönen. Musik gilt schon seit der Antike als eine intellektuelle, der Mathematik verwandte Kunst, die Malerei und Skulptur hingegen werden bis ins Mittelalter vor allem als Handwerksarbeit aufgefasst. Zwischen den flüchtigen Klängen der Musik und den dauerhaften Bildwerken ließ sich wenn überhaupt nur eine zeitweise, wie man heute sagen würde »performative« Verbindungherstellen. Erst seit dem 19. Jahrhundert haben die audiovisuellen Medien den Zeitfluss der Klänge speicherbar gemacht und die Bilder das Laufen gelehrt, so dass ihre Synthese der heutige Wahrnehmung als fast naturgegebene Selbstverständlichkeit erscheint. Deshalb stellt sich in allen medialen Kunstformen von Beginn an die Frage der Relation von Bild und Ton, und zwar ebenso in technischer wie ästhetischer Hinsicht. Im kunst- und literaturwissenschaftlichen Kontext hat diesbezüglich der Begriff der ›Intermedialität‹ seit Anfang der 1990er Jahre zunehmend Verwendung gefunden. Er verweist auf eine wachsende Aufmerksamkeit dafür, dass Medien stets in komplexen medialen Konfigurationen stehen. Dabei werden intermediale Relationen jedoch weniger als explizit intendierte Beziehungen zwischen den Künsten, als vielmehr als grundlegende Phänomene verstanden. Anfangs erzwangen die Medien noch eine technische Trennung (Stummfilm, Schallplatte) an deren Überwindung sich die Pioniere der Klangkunst, der Lichtmusik und des absoluten Films zu Beginn des 20.

Jahrhunderts abarbeiteten. Hingegen sind mit den digitalen audiovisuellen Medienformaten jegliche

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Grenzen der Synthese und Umwandlung von Bildern und Tönen weggefallen. Dass wir immer weniger dazu bereit sind, nur noch durch einen unserer Sinne angesprochen zu werden, belegt symptomatisch ein Produkt wie der aktuelle Windows Media Player, der zu beliebigen Audiodaten aus dem Internet automatisch und ungefragt Bilder erzeugt. Die Euphorie für die Bild-Ton-Synthese aus der Frühzeit der Medien und der Moderne seit Wagners ›Gesamtkunstwerk‹ mag deshalb heute manchmal antiquiert wirken. Der Erfolg von Kulturprodukten, die wieder eine bewusste Trennung vornehmen (Hörbücher, der Film »Blue« von Derek Jarman), zeigt einen Gegentrend zur audiovisuellen Zwangsverschmelzung. Doch die ungebrochene Popularität von Videoclips, VJs und jeglichen Musik-Visuals verweist auf einen noch immer ungestillten audiovisuellen Hunger.

Die von der Medientechnik ermöglichte Bild-Ton-Koppelung entspricht nicht nur einer Logik der Apparate, sondern einem in der menschlichen Kultur verankerten Urbedürfnis nach Synästhesie. Dessen Ausdruck reicht vom Fackeltanz zum Trommelklang in der prähistorischen Höhle über dieOrgelmusik zum Licht gothischer Kirchenfenster bis zu einem Techno-Klub. Oft spielen dabei ekstatische und spirituelle Erfahrungen eine Rolle.

Das Spektrum [2] der in diesem Modul »Bild-Ton-Relationen« von »Medien Kunst Netz« versammelten Beiträge geht deshalb über das engere Themenfeld der Medienkunst hinaus. Inhaltlich reichen sie von der Kunst- und Musik- Geschichte über Fragen der Medientechnik und Wahrnehmung bis zur Poptheorie, historisch reichen sie von der aktuellen Medienkunst bis weit in die Vorgeschichte. Der Beitrag »Das klingende Bild« von Barbara John untersucht die Geschichte der Beziehung von Kunst und Musik seit der Antike und dem Mittelalter über den ›Paragone‹ der Renaissance bis zur Moderne und den ersten Versuchen einer neuen ›visuellen Musik‹ oder ›Malerei mit Zeit‹ am Beginn des 20. Jahrhunderts. Als theoretische Leitlinie dienen dabei Aussagen von Künstlern zur Konkurrenz und/oder Synthese der Künste. Daran anschließend thematisiert Dieter Daniels’ auch Beitrag »Sound & Vision in Avantgarde & Mainstream« (abgedruckt auch im vorliegenden Buch) die dreifache Wechselwirkung zwischen Künsten

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und Medientechniken, zwischen Musik und Bildkunst sowie zwischen E- und U-Kultur seit der Zeit Wagners bis heute. Diedrich Diederichsen macht in seinem Text »Montage / Sampling / Morphing. Zur Trias von Ästhetik / Technik / Politik« das utopische, gesellschaftliche Potential dieser Medientechniken zum Thema. Ebenso zeigt er den Prozess ihrer kulturindustriellen Normalisierung und Normierung und des damit einhergehenden Utopieverlusts. Der Beitrag » Audiovisionen - Musik als intermediale Kunstform« von Golo Föllmer und Julia Gerlach geht aus von der sozusagen ›naturgegebenen‹ Intermedialiät aller aufgeführten und erlebten Musik und verfolgt diese weiter bis zu den avancierten medialen Möglichkeiten der Vernetzung und Interaktivität.

Vier Beiträge von Künstlern lassen neben der Theorie auch die Praxis der Bild-Ton-Relation zu Wort kommen. Markus Popp (Oval), Ulf Langheinrich (Granular Synthesis), Robert Lippok (To Rococo Rot) und Stephen Vitiello sprechen über ihre eigene Arbeit, über die kulturellen und technischen Rahmenbedingungen sowie die Kooperation mit anderen Künstlern und Kunstformen. Sie verkörperndabei verschiedene Modelle der Bild-Ton-Relation: Für Popp führt der Weg von der elektronischen Musik über seine digitalen Tools zum Visuellen und die verbindenden Fragen der Userergonomie und des Einflusses von Software auf kreative Prozesse. Lippock ist von Hause aus ebenfalls Musiker, stellt aber auch visuelle Kunstwerke und Installationen her, deren Minimalismus gerade die allzu einfache Verbindung von Klang und Bild hinterfragt. Langheinrich arbeitet an komplexen, sensorisch-technischen Wechselbeziehungen von Optik und Akustik in oftmals fast überwältigend intensiven audiovisuellen Installationen. Vitiello hat zunächst als Musiker mit zahlreichen Videokünstlern zusammengearbeitet und so den Weg zur eigenen Audioart gefunden, die zwar rein akustisch bleibt, doch sich immer auf innere Bilder bezieht. Diese Künstlerbeiträge gingen aus der Veranstaltungsreihe an der HGB Leipzig [3] bzw. der Konferenz »Son-Image« in Mexico City hervor, und sind insofern auch Teil der Gesamtstrategie von »Medien Kunst Netz«, ein Crossover von realem und virtuellem Raum zu erzielen. Der bisher avancierteste Ansatz dazu ist in Zusammenarbeit mit der Plattform netzspannung

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im ›virtuellen Studio‹ entstanden: zu dem Text »Sound & Vision in Avantgarde & Mainstream« von Dieter Daniels gibt es eine Online-Videolecture und eine Hypermedia Tele- Lecture als Modelle für einen möglichen weiteren multimedialen Ausbau von Medien Kunst Netz.

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