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Themenicon: navigation pathBild und Tonicon: navigation pathEmotionsmaschine
Granular Synthesis
Ulf Langheinrich
Sweetheart (Granular Synthesis), 1996

Ich werde an anhand einiger Produktionen von Granular Synthesis [1] , das sind mein Kollege Kurt Hentschläger und ich, unterschiedliche Strategien und Positionen der Arbeit mit Ton und Bild aus meiner Perspektive vorstellen.

»SWEETHEART«

Die Arbeit »SWEETHEART« (Graz, ORF, 1996) von Granular Synthesis verdeutlicht exemplarisch einige Probleme des Samplings von Ton und Bild. Nachdem mit gescanntem und gesampletem Material gearbeitet wird, ist ein Zusammenhang von Ton und Bild innerhalb einer Aufnahme von vorneherein gegeben. Kohärenz und Kausalität, die innerhalb des ursprünglichen Zusammenhangs des gescannten Kontinuums abgebildet sind, werden durch Schnitte durchbrochen. Diese Schnitte sind die einzige Intervention. Hier ist vor allem der Gegensatz zwischen der durch die Schnitte aufgehobenen Kausalität und dem in jeder Zeiteinheit (in jedem ›Grain‹) gänzlich kohärenten Bild- und Tonmaterial interessant, weil durch die Mikroschnitte eine eigenartige Mischform im Grenzbereich zwischen Morphing und Schnitt entsteht: eine den Schnittschon wieder maskierende Re-Synthese. Diese pseudo-organische Situation behauptet Kohärenz. Über das abgebildete Gesicht, den Spiegel des Betrachters, sozusagen sein alter ego, werden die Interventionen, die wir vorgenommen haben, tatsächlich erlebbar. Indem der Betrachter unser neugieriges Hinein-Zoomen in wenige Frames bezeugt, wird auch sein Blick ein voyeuristischer. Er nimmt Teil an den Vorführungen jener vehement behaupteten, aber grundlos und sinnlos leidvollen Zustände. Diese werden als angemessene emotionale und physische Reaktion der abgebildeten „Person“ auf die Manipulation gelesen. So scheint die granulare Resynthese die Ursache für die heftige Emotion zu sein und löst - nun durchaus sehr kausal - eine emotionale Reaktion beim Betrachter aus. »SWEETHEART« ist das Portrait einer Emotionsmaschine.

Im Soundmaterial wurden im Gegensatz zum Bildmaterial weit reichende Manipulationen vorgenommen: der Ausgangssound wurde stark komprimiert, um innerhalb eines jeden 25tel Sekunden-Frames überhaupt eine sinnvolle Soundmenge zur Verfügung zu haben. Das Klangbild zitiert einerseits Techno-Ästhetik und ist dabei

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Noisegate (Granular Synthesis), 1998

größtenteils viel räumlicher angelegt, als es das Bildtableau nahe legt. Ein wesentliches Moment der Arbeit liegt in der Verführung, der Distanzlosigkeit in der Begegnung.

Das gilt auch für jene typischen großen Installationen und Performances, die wir über die Jahre produziert haben, auch wenn diese eine deutlich aggressive Komponente haben. Dies liegt zum Teil an der ungewohnten Gewichtung von Klangebenen im Gesamtsound, der in der Regel als bedrängend laut beschrieben wird, obwohl sich das Publikum – zumindest in den späteren Produktionen - noch unterhalten kann. Dieses quasi absurde Klangbild oder beinahe Klangbad ist durch intermodulierende Sub-Bässe, ein moderates Level im hörbaren Bereich und ziselierte hohe Frequenzen geprägt und stellt einen physischen Kommentar oder eine Art akustisches Meta- Environment zum granularen audiovisuellen Strom dar, jenem flackernden und zuckenden Geschehen, das über Screens und auch Lautsprecher präsent ist.

»NOISEGATE«

»NOISEGATE« (Wien, MAK, 1998) ist die letzte Arbeit vonGranular Synthesis, die sich ausschließlich und ausgiebig dem Thema »Gesicht« und »Körper« widmet. Damit wird das Ende des absoluten Bestehens auf dem Portrait als Ort der Verhandlung markiert. Gleichzeitig wurde hier jene gerade besprochene Klangästhetik erarbeitet. Bei der Premiere von »NOISEGATE« im MAK Wien konnte man in der Mitte des zentralen Raumes ein völlig gleichmäßiges Klangbild erleben. Durch den Verzicht auf jede gerichtete Bewegung wird eine Aufmerksamkeitssituation provoziert, die keine Beobachtung mehr ermöglicht und erfordert, sondern die den Betrachter in eine klangbildliche Gesamtsituation stellt. Ereignisse tauchen immer im gesamten Feld auf, sind also Mutationen des Feldes und nicht Objekte im Raum. Man schaut als Hörer ins Dunkel. Der Klangraum ist in seiner Ausdehnung, die Klangmasse in ihrer Konsistenz erlebbar. Das Signal wird einmal als stärker in die Tiefe des virtuell Unendlichen diffundierend und einmal als sehr kompakt in der Mitte oder im eigenen Kopf stattfindend erlebt.

Von diesem zentralen Raum ging man zu den Screens in den äußeren Räumen, wo das projizierte Bildmaterial, Michael Krammers Kopf, interaktiv

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Sinken (Granular Synthesis), 1999

gesteuert war. Die Interaktivität wurde jedoch bald wieder aufgegeben, weil die Animation der Krammer-Köpfe auf den Screens durch die Bewegung des Publikums auf eine Animation des Publikums hinauslief, was unseren Intentionen zuwiderlief. Anlässlich der Idee einer interaktiven Steuerung in Echtzeit wurde eine Software entwickelt, bei der einzelne Computer angesteuert werden, in denen Ton-Bild-Granes in Realtime ansprechbar im RAM vorliegen. Und tatsächlich funktionierte unsere neue Software bestens. Im Rahmen der Vorgaben von NOISEGATE ließ sich das Potential dieses neuen Tools erst erahnen. Diese Software war die Plattform für eine neue Ästhetik. Und auch NOISEGATE selbst hat sich noch deutlich gewandelt, in einen nicht interaktiven, von dunklen Negativbildern dominierten Raum mit einzelnen grellen Positiv-Bildblitzen. Eine Art unterirdisches Feld.

»SINKEN«

Die Arbeit »SINKEN« (Lille, 1999) ist für Streichorchester und audiovisuellen Bildstrom komponiert. Für die Komposition des Streicherpartswurden zunächst die Frequenzumfänge der einzelnen Streichinstrumente definiert und über individuell ansteuerbare AKAI-Sampler mit der entsprechenden Bibliothek realisiert. Zu hören sind sehr langsame Glissandi im Umfang von einem oder zwei Tönen, die später von einem realen Orchester live gespielt wurden. Sämtliche Streicher müssen individuell spielen, es gibt keine Gruppen, in denen sich die Musiker untereinander orientieren können. Das einsame Spiel in einer schneckenhaft langsam hinab kriechenden, amorphen Klangkonsistenz ist ein schönes Bild. Das vierfach geklonte Videobild und dessen elektronischer Tonanteil bewegen sich zunächst noch langsamer, beides steht zunächst überhaupt still und stumm, wodurch anfänglich eine gewisse Frustration beim Publikum aufflackert, bis es im langsamen Atem der Arbeit ankommt. Wir belohnen es, wie man sieht, am Schluss mit einer schönen Flimmersequenz, während die Streicher unterdessen in den untersten Lagen gründeln.

»RESET«

Mit dem Übergang zum quasi-abstrakten

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Reset (Granular Synthesis), 2001

und abstrakten, leeren Bild eröffnet sich ein neues Thema: Während bei »SINKEN« immer noch ein reales, zwar kaum noch decodierbares Ausgangssample vorhanden war, musste in den darauf folgenden Arbeiten wie »FELD« oder »RESET« zunächst überhaupt erst eine synästhetische Behauptung zwischen Ton und Bild aufgestellt werden. In den in mehreren Syntheseschritten generierten Samples dieser Arbeiten werden daher eine visuelle und eine klangliche Bewegung zusammengeführt. Diese sind gemeinsam als ein Objekt zu denken: Jeder Aspekt am Bild und in der Bildbewegung hat eine klangliche Entsprechung und umgekehrt. Und auch jene stroboskopischen Zeit-Licht-Events, die seit den neuen Möglichkeiten unserer eigenen Software schon in »NOISEGATE« als harsches Blitzen auftauchten und zunehmend das Bildfeld erobern, emanzipieren sich nun von den Konnotationen elektrischer Folter am alter ego und werden als komplexe Bildverschachtelungen zu einer beständigen Kompositionsebene. Nun berührt der Sub-Bass gemeinsam mit flimmernden Lichtamplituden das Publikum. Es steht in vibrierendem Ton und Licht und sieht auf geleerte Farbflächen.

Das beschreibt schon gut die Situation in »RESET« (Venedig Biennale, 2001), der minimalistischsten Arbeit von Granular Synthesis, welche für die Biennale in Venedig vor drei Jahren produziert wurde. Klanglich ziehen Spuren, die für eine Qualität von Wärme stehen, im Hintergrund vorbei und finden in der dominierenden Farbe Rot eine Entsprechung. Generell ist die Bildwelt aber kühl, vielleicht sogar aseptisch, das Bildfeld ist, bis auf eine sinnfällige Neuauslegung des granularen Prinzips, entleert. Der Raum ist ruhig gespannt. Das Erlebnis ist ambivalent und immersiv. Ich halte »RESET« für sehr auf den Punkt gebracht. Die hier vorgestellten Beispiele unserer Arbeit mögen als Beispiele genügen, um einen Weg zu beschreiben, den ich so zusammenfassen würde: Das Thema der ersten Arbeiten war die Erkundung des Materials, nämlich Ton und Bild, und die Faszination an den Manipulationsmöglichkeiten des Gesichtes. Der Ton war zunächst ein aggressiv avantgardistischer Sound, der durchaus einer attackierenden Grundhaltung entsprang. Das Thema der späteren Arbeiten ist die Definition des Raumes und des Bildes als Lichtbild, letztlich als Strahlen und Modulationen im Raum; der Ton ist haptische Materie, Ladung, Spannung.

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Diskussion

Frage: Wie werden die Samples erzeugt, wie werden die Performer aufgenommen?

Antwort: Es gibt keine Bewegung der Kamera, das Ganze ist eine strikte Installation. Der Performer oder die Performerin spielt nach definierten Vorgaben ad libidum Emotionen und erzeugt dabei Vokale und Konsonanten. Die Kamera ist fest montiert, das Licht ist weiß, der Hintergrund ist weiß, das Gesicht oder der Körper sind optimal im Bildraum positioniert. Das Bild ist also steril und stilisiert; die abstrakten Samples sind erst mit verschiedener Bildsoftware generiert und animiert worden und dazu wurde dann in einem zweiten Schritt ein Sound assoziiert.

Frage: Wieso sind die Arbeiten so groß?

Antwort: Das sind sie gar nicht immer, aber es ist schon so, dass wir ein starkes Interesse an massiven Installationen und Performances hatten, am Anfang auch um der, wie es sich uns darstellte, Beliebigkeit und Objekthaftigkeit des Monitors zu entkommen. Wir wollten unser Anliegen nicht vorführen als: So ist esgemeint, sondern es als wirklich eindrückliche Erlebnissituation inszenieren. So gesehen war das Erlebnis unser Anliegen. Nachdem Video ein dürftiges Bildformat ist, gab es die Idee, einfach auf die große Fläche zu gehen und durch multiple Projektionen eine fast schon cinematische Bildauflösung zu generieren, dazu dreidimensionalen Sound. Trotzdem ging es uns nicht, oder nicht sehr lange, darum, die Leute zu erschlagen. Es gab natürlich Proteste, aber das war am Anfang im Rahmen rebellischen Jungkünstlertums durchaus okay. Heute sehen wir uns gelegentlich mit einer romantischen Verklärung der frühen Schockshows konfrontiert. Wir arbeiten nun anders und sicher auch genauer im Einsatz der Mittel, fokussiert in der Aggression.

Frage. Euer Sound, ist das also alles granulare Synthese?

Antwort: Nein, das ist eigentlich ganz verschieden. Es gibt einerseits audiovisuelles Material, das unbedingt in sich zusammenhängt. Das ist dann im Rahmen dessen, was im Raster von Video granular überhaupt geht, eine tatsächlich granulare Ton-Bild-Synthese. Und dazu gibt es mehrere akustische Kommentarspuren, die teilweise

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vorher entstanden sind oder gegebenenfalls dazu life vorgetragen werden. Das wird zumindest in Live-Situationen überwiegend intuitiv gehandhabt und hat in der Regel nichts mit granularer Synthese zu tun. Es gibt außerdem die Möglichkeit, den Sound komplett vom Bild zu dissoziieren und damit das Bild allein zu lassen, was zunächst nicht sonderlich aufregend scheint, es aber nach einer Stunde Synchronisation sehr wohl ist. Man hört die ganze Zeit den Ton weiter oder umgedreht sieht immer noch das Bild, wenn der Ton den dunklen Raum flutet. Wir spielen sozusagen mit unserer Kernkompetenz.

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