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Cyborg Bodies. Das Ende des fortschrittlichen Körpers
Editorial
Yvonne Volkart
 

»Cyborg Bodies. Das Ende des fortschrittlichen Körpers« nimmt die künstlerischen Reflexionen und Realisationen von Cyborgs zum Ausgangspunkt, um den spezifischen Beitrag zu untersuchen, den die Kunst zu den Diskursen um zukünftige Körper und Subjekte leistet. Cyborgs sind hier nicht nur kybernetische Organismen, also Koppelungen zwischen Mensch und Maschine, wie sie allgemein definiert werden. Vielmehr bezeichnen sie generell die Fantasien von hybriden, monströsen, maschinenhaften, geklonten, digitalen, vernetzten, zellulären oder transgenen Körpern. Damit umfasst »Cyborg Bodies« im Wesentlichen alle jene Vorstellungen, in denen der Körper als etwas Zusammengesetztes, Künstliches und Neuartiges verstanden wird. »Cyborg Bodies« geht davon aus, dass neue (Medien-)Technologien unseren Körper und dessen Wahrnehmung beeinflussen (nicht nur heute, sondern auch in der Vergangenheit), dass der Körper und seine Rechte massiv zur Disposition stehen und dass die Medienkunst ein wichtiger Ort ist, an dem mit vielfältigen Medien über diese Probleme nachgedacht wird. Auch wenn heute das Ende des Körpers und des Menschen nicht mehr so lauthals postuliert oderbefürchtet wird wie im Zuge der Debatten um das sogenannte »Posthumane« zu Beginn der 90er Jahre, ist das Thema noch nicht abgeschlossen. Es haben sich lediglich die Diskussionen und Fantasien verändert. Während vor mehr als 20 Jahren die maschinenhaften und kosmetisch optimierten Technokörper vorhergesehen wurden, haben sich in den letzten Jahren vermehrt Vorstellungen von biotischen, zellurären, vernetzten, emergenten und dynamischen Körperentitäten und kommunizierenden Informationsströmen durchgesetzt. Gemeinsam ist diesen Vorstellungen, dass der Körper ein Set interagierender Codes ist, das verschaltbar geworden ist.

Der Ansatz von»Cyborg Bodies« basiert auf den Theorien der USBiologietheoretikerin Donna Haraway. Ihre Cyborgfigur ist nicht nur eine technoide Mensch-Maschinenmischung, sondern bezeichnet vielmehr alle jene Wesen, bei denen die konventionellen Grenzen von Natürlich und Künstlich, Belebt und Unbelebt nicht mehr stimmen. Cyborgs sind bei ihr sowohl Menschen mit Prothesen als auch organische Datenträger (Menschen oder Tiere), die mit

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mehr oder weniger intelligenten Umgebungen kommunizieren, es sind Einzeller, biotechnologisch mutierte Mäuse oder von der globalisierten Technoindustrie ausgebeutete Menschen. Diese aktuelle Vielfalt zusammengesetzter und zusammensetzbarer Körper und Subjektivitäten hat Haraway zudem zu einer Denkfigur für Subjektvorstellungen jenseits konventionell geschlechts- und ethnospezifischer Machtverhältnisse umgebogen. Damit hat sie eine alternative, von der Queer Theory getragene Subjektvorstellung entwickelt, die viele MedienkünstlerInnen beeinflusste und beflügelte.

»Cyborg Bodies. Das Ende des fortschrittlichen Körpers« behauptet, dass die technischen Erweiterungen und gesellschaftlichen Strukturen, die den Menschen zum Cyborg machen, nicht zur Optimierung und Selbstermächtigung führen, wie das gerne glauben gemacht wird. Sie führen vielmehr zu Kontrollverlust und Gefühlen von Entmächtigung und Angst; sie führen aber auch – im Sinne Haraways – zu neuen Formen von Verkörperung und Subjektivität jenseits des konventionellen Fortschrittsdenkens,womit der Begriff »Cyborg« ursprünglich verbunden wird.

Die hier vorgestellten künstlerischen Projekte und theoretischen Ansätze verfolgen im Wesentlichen diesen anderen Strang bzw. die verdrängte Kehrseite der Cyborgs. Sie stellen das zur Diskussion, was gemeinhin nicht angesprochen wird, wenn sich die Fantasien neuer technologischer Möglichkeiten ins Fantastische steigern. Mit dieser Ambivalenz des Technologischen gehen jedoch nicht alle KünstlerInnengehen gleich kritisch um oder würden gar von sich aus behaupten, dass bei ihnen »das Ende des fortschrittlichen Körpers« zelebriert würde. Doch dies ist gerade die These dieses Projekts: Die Nichthaltbarkeit des Fortschrittsoptimismus ist bei allen Entwürfen immer schon im Gepäck, wobei es bei einigen einer kritischen Analyse bedarf, um sie aufzuspüren. »Cyborg Bodies« ist weniger dem vielbeschworenen >Verschwinden des Körpers< auf der Spur, als vielmehr den neuen, multiplen und ›cyborgisierten‹ Formen von Verkörperlichung und den damit verbundenen Möglichkeiten anderer Subjektpositionen.

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»Cyborg Bodies« entwickelte sich aus der Beschäftigung mit dem Thema »Weiblichkeit als Subjektentwurf des Informationszeitalters. Lektüren zeitgenössischer Medienkunst« sowie aus verschiedenen kuratorischen Projekten, [1] Alle an diesen Projekten beteiligten KünstlerInnen haben einerseits einen avancierten Technologie- und Körperbegriff, andererseits plädieren sie alle für die Notwendigkeit einer konstruktiven Kritik und Neuerfindung von eindimensionalen Vorstellungen.

Durch die Texte der beteiligten Autorinnen ist eine Vielfalt weiterer Aspekte und Perspektiven hinzugekommen. Das Verbindende bei allen ist die Virulenz des Harawayschen Ansatzes, die Infragestellung des Fortschrittsdenkens und die Entwicklung progressiver Theorien zu neuen Körpern jenseits simpler Körpererweiterungsfantasien. Im Mittelpunkt stehen folgende Fragen: Welche Körperbilder und -fantasien existieren in den Medienkunst? Welchen Einfluss haben neue Technologien auf den Körper und dessen Wahrnehmung? Was für Ästhetiken erarbeiten die KünstlerInnen?

Da »Cyborg Bodies« in Zürich konzipiert und realisiert wurde, war es mir zudem wichtig, lokale Auseinandersetzungen mit dem Thema einzubeziehen. Während der künstlerische Diskurs über neue Medien-Technologien hier noch in den Anfängen steckt, gibt es einige Projekte, die sich mit der Bedeutung beziehungsweise der Gefährdung von Körper und Subjektivität heute auseinandersetzen.

Struktur und Beiträge

»Cyborg Bodies« hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr wirft es eine These auf und bietet einen schlaglichtartigen, einbettenden Diskurs über die Inszenierungen künstlicher Körper der letzten Jahre. Die Texte behandeln aktuelle, zentrale Themenschwerpunkte, die als Stichworte und nicht linear angeordnet sind. Während in einer ersten Gruppe eher historischphilosophische Aspekte im Vordergrund stehen, werden in einer zweiten aktuelle Arbeiten unter unterschiedlichen theoretischen Fragestellungen diskutiert.

Eine breit gefasste, historisch akzentuierte Vorgeschichte der Faszination am Cyborg stellt Verena

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Kuni's Essay » Cyborg_Configurationen als Formationen der (Selbst-)Schöpfung im Imaginationsraum technologischer Kreation (I): Alte und neue Mythologien von ›Künstlichen Menschen‹« dar. Diese grundlegende Einführung in die Kulturgeschichte des künstlichen Menschen ist unter dem Stichwort »Mythische Körper I« gefasst. Ebenfalls historische Grundlagen, aber bezogen auf die Fantasie der Puppe und deren Adaption in der Medienkunst finden wir unter dem Stichwort »Puppen-Körper«. Hier diskutiert Sigrid Schade in »Die Medien/Spiele der Puppe – vom Mannequin zum Cyborg. Das Interesse aktueller Künstlerinnen und Künstler am Surrealismus« die Bedeutung, die das Unheimliche für die Mediengestaltung in der Kunst hat. In »The Making of … Begehren, digitales« setzt sich Marie-Luise Angerer mit den von ihr diagnostizierten »Postsexuellen Körpern« heute auseinander und erklärt sie mit Bezug auf Psychoanalyse und aktuelle Subjektivitätsdebatten.

Spezifische Blicke auf die heutige Medienkunst werfen die Texte der zweiten Gruppe: So zeigt »Mythische Körper II« von Verena Kunis Essay zu den Cyborg_Configurationen: ›Monströse Versprechen‹und ›posthumane‹ Anthropormorphismen«, wie die digitalen Bilder der Medienkunst und Gamekultur die Faszinationsgeschichte des künstlichen Menschen adaptieren und weiter entwickeln. Yvonne Volkart's Essay » Monströse Körper. Der verrückte Geschlechtskörper als Schauplatz monströser Subjektverhältnisse« geht von der These aus, dass die Cyborgs an und mit ihren monströsen Körpern und Geschlechtern die monströsen Verhältnisse >demonstrieren<, denen sich Subjekte im neoliberalen Informations- und Biotechzeitalter gegenübersehen. In »Widerspenstige Körper. Der Effektkörper als Ort des Widerstands« zeigt sie auf, dass die Figurationen von Cyborgs widerständig konzipierte AgententInnen sind, die die Symptome und Effekte der Informationsgesellschaft verkörpern und aus dem Inneren heraus verkehren. Ingeborg Reichle behandelt in »Transgene Körper. Kunst im Zeitalter von Technoscience« jene Kunst, die selbst Leben kreieren will: Sei es, dass die KünstlerInnen, wie im Fall der »Transgenen Kunst«, entweder direkt in die Gene eingreifen, oder der »Artificial-Life-Kunst«, anhand genetischer Algorithmen Leben zu generieren

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versuchen. Zusätzlich findet sich auf der englischen Website unter dem Stichwort »Collective Bodies« der Essay »Sunshine and Shroud: Cyborg Bodies and the Collective and Personal Self« von Margaret Morse. In einer eigenwilligen Interpretation von Donna Haraways Cyborg als einer narrativen Figur kollektiver Verkörperungen stellt Morse aktuelle US-amerikanische Medienkunst-Arbeiten vor und liest sie als Metaphern kollektiver (Selbst-)Entwürfe und Praktiken.

Im Interview »Erweiterte Körper« mit der in Zürich lebenden australischen Medienkünstlerin und -theoretikerin Jill Scott wird der Bogen zur Ausgangssituation geschlagen: Anhand verschiedener Arbeiten werden die Veränderungen bezüglich der Vorstellungen vom erweiterten zum morphologischen und relationalen Körper diskutiert. Neben diesen textbasierten Beiträgen entwickelte die kroatische Künstlerin Andreja Kuluncic eine Netzkunstarbeit für »Cyborg Bodies« mit dem Titel »Cyborg Shop«. In dieser interdisziplinär und partizipativ angelegten Arbeit werden die ambivalenten Versprechen und Ideologien von neuen Technologien und Körpern hautnah erfahrbar: Die User werden zu shoppendenMitspielerInnen, die sich ihre Prothesenteile kaufen, um damit im Konkurrenzkampf der Körper mithalten zu können.

»Cyborg Bodies« enthält darüberhinaus eine Reihe von Quellentexten, die die zentrale Thesen und Hintergründe zum Thema bereitstellen. Dabei handelt es sich um folgende Texte, auf Deutsch: Barbara Becker, »Cyborgs, Robots und Transhumanisten: Anmerkungen über die Widerständigkeit eigener und fremder Materialität«, Astrid Deuber- Mankowsky, »Das virtuelle Geschlecht und seine metaphysischen Tücken. Das Fänomen Lara Croft«, N. Katherine Hayles, »Fleisch und Metall: Rekonfiguration des Geistkörpers in virtuellen Umwelten« und Yvonne Volkart, »Das Fliessen der Körper. Weiblichkeit als Metapher des Zukünftigen«. Auf Englisch: Rosi Braidotti, »Teratologies«, Marina Grzinic, »Dragan Zivadinov’s ‹Biomechanics Noordung›: The Body as Vector«, und N. Katherine Hayles, »Flesh and Metal: Reconfiguring the Mindbody in Virtual Environments«.

Trotz der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der hier versammelten Texte, Theorien und künstlerischen Projekte wird der Cyborgkörper in der Medienkunst

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bei allen als Schauplatz verstanden, an und mit dem Auseinandersetzungen mit den subjektverändernden Effekten der neuen Medien und neuen Technologien geführt werden.

Zum Schluss möchte ich allen herzlich danken, die das Zustandekommen dieses Projekts ermöglicht haben, insbesondere Rudolf Frieling und Dieter Daniels, Sigrid Schade als Leiterin des Instituts Cultural Studies in Art, Media and Design (ICS) an der Hochschule für Gestaltung und Kunst, Zürich (HGKZ), Jennifer John für die wissenschaftliche Mitarbeit und Verena Kuni, die in einer ersten Konzeptphase wesentlich ins Projekt involviert war. Mein Dank gilt den beteiligten AutorInnen für ihre Texte und den KünstlerInnen und Galerien, die Abbildungen der benötigten Werke großzügig zur Verfügung stellten. Das Projekt wäre nicht zustande gekommen ohne die finanziellen Unterstützungen der HGKZ (ICS), Pro Helvetia und dem Präsidialdepartement der Stadt Zürich.

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