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Themenicon: navigation pathCyborg Bodiesicon: navigation pathErweiterte Körper
Erweiterte Körper
Interview von Yvonne Volkart mit der Medien-Künstlerin und Theoretikerin Jill Scott über Fantasien von einem erweiterten Körper als einem morphologischen und relationalen Körper
Jill Scott
 

Yvonne Volkart (YV): Der Körper und die Technologie standen schon immer im Mittelpunkt der zahlreichen Aktivitäten, mit denen Sie sich als Künstlerin und Medien-Theoretikerin und im Augenblick als Leiterin einer wissenschaftlichen Forschungsprojekts zum Thema Interface beschäftigt haben. Welchen Einfluss haben die neuen Technologien ihrer Meinung nach auf den Körper und dessen Wahrnehmung?

 

Jill Scott (JS): Ich glaube, dass sie mit Sicherheit einen erheblichen Einfluss ausgeübt haben, besonders durch die Fantasien, die man sich dank der Medien-Technologien ausmalen kann. Medien- Technologien wie z.B. die virtuelle Realität und die Bildschirm-Interaktion in Echtzeit können den dargestellten organischen Körper mit dem imaginären digitalen Abbild des Körpers verschmelzen lassen. Außerdem können elektronische Interfaces dem Publikum zusätzlich die Möglichkeit zur künstlichen Manipulation sowie zur digitalen Kontrolle und Navigation bieten. Aber wir werden auch zu Zeugen einer Veränderung der Definition des Körpers dank Technologien wie der Biotechnologie, der künstlichen Intelligenz und derPhysik. Ich bin mir bewusst, dass es in letzter Zeit in den Reihen dieser Wissenschaftsgebiete eine ganze Reihe ethischer Vorbehalte und kritischer Reaktionen in Bezug auf die Methode der Reduktion und ein weitaus größeres Interesse an ganzheitlichen und umfassenden Formen der Darstellung bestehen. Traditionell hat hierzulande, wie schon Haraway bemerkte, der Vorgang des wissenschaftlichen Forschens selber das Beweisen und das Bezeugen nicht nur dessen kommerzielles Potential verändert, sondern auch die subjektiven und objektiven Herangehensweisen an die Forschung selber modifiziert. In der letzten Zeit ist eine optimistisch stimmende Öffnung des Diskurses zwischen den einzelnen wissenschaftlichen Forschungsgebieten zu beobachten, was auch durchaus Auswirkungen darauf haben könnte, wie wir in Zukunft unseren Körper wahrnehmen werden. Da sich Medien-Künstler oftmals der gleichen Werkzeuge der Visualisierung bedienen wie Wissenschaftler, kann die Kombination aus Kunst und Wissenschaft vielleicht einen noch größeren Einfluss auf die Wahrnehmung des Körpers und dessen zukünftige Evolution ausüben vorausgesetzt,

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Taped (Scott, Jill), 1975Inside/Out (Scott, Jill), 1978Continental Drift (Scott, Jill), 1989

die Künstler fühlen sich dafür verantwortlich, sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Dies ist einer der Forschungsgegenstände, die wir im Rahmen unseres Projektes »artists-in-labs« noch weiter entwickeln und analysieren wollen.

 

YV: Bevor wir uns weiter über diesen letztgenannten wichtigen Punkt unterhalten, möchte ich noch mehr über Ihre Einschätzung Ihres künstlerischen Werkes erfahren. Was ist mit den Auswirkungen der neuen Technologien auf den Körper, was ist mit der Subjektivität und der Gesundheit? Haben diese Themen ihre Arbeit beeinflusst? Wir würden Sie das Verhältnis zwischen den Transformationen des Körpers und Ihrer Arbeit und das Verhältnis zwischen diesen Transformationen und dem Thema Cyborg-Körper beschreiben?

 

JS: Als Künstlerin habe ich immer daran geglaubt, dass die Medien in der Lage sind, die neuesten Diskurse in Bezug auf die sich ständig verändernde Vorstellung vom Körper zu untersuchen. Ich habe mich allerdings auch deswegen für die Medien entschieden, weil ich diekörperliche und interaktive Rolle des Publikums in eine neue Richtung lenken wollte. Eine meine ersten Arbeiten mit dem Titel »Taped« (1975) stellte den Körper nicht nur als Symbol dar, sondern versetzte den Zuschauer in die Rolle des Befreiers, während ich bei anderen Arbeiten aus dieser Zeit die Video-Überwachung dazu benutzte, um die Körperbewegungen der Zuschauer in codierte Darstellungen zu transformieren (z.B. bei »Inside/Out«, 1978). In den 80er Jahren begann ich mich dafür zu interessieren, wie das digitale Bild die traditionellen Darstellungsweisen und Metaphern des Körpers auf dem Bildschirm verändern kann. Zu diesem Zeitpunkt wurde bei mir Brustkrebs diagnostiziert (»Continental Drift«, 1989). Seitdem liegt mein Hauptaugenmerk auf den Transformationen unseres Körpers durch die Molekularwissenschaft und den Transformationen unseres Denkens dank aus der Soziologie und der Psychologie stammender utopischer Konzepte, die sich mit den Themen Zeit und Raum befassen. Daher haben Sie ganz recht, es waren in der Tat meine eigenen gesundheitlichen Probleme, die mich dazu bewogen haben, mich mit dem Thema des Cyborg-Konzeptes zu

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Interskin (Scott, Jill), 1997Frontiers of Utopia (Scott, Jill), 1995Bodies INCorporated (Vesna, Victoria), 1995

beschäftigen und hier besonders mit der Einbindung der Technologie in den Körper und mit den Auswirkungen der medizinischen Visualisierung auf die Art und Weise, wie wir unseren Körper sehen und deuten (»Interskin«, 1997). Ich habe immer noch ein großes Interesse daran zu versuchen, den Körper neu zu definieren, indem ich das Publikum in die hybriden Environments mit einbeziehe, in denen es wiederum selber mit den Fragestellungen zum Thema der Transformation des Körpers interagieren können.

 

YV: Was verbindet Ihre Körper-Bilder und Ihre Fantasien mit anderen kulturellen, künstlerischen und akademisch-wissenschaftlichen Themengebieten, und was unterscheidet sie von diesen?

 

JS: Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich oftmals unmittelbar von der Lektüre von Büchern und dem damit in Zusammenhang stehenden theoretischen Diskurs, die sich besonders mit den Themen Körper und Identität beschäftigen, inspiriert worden bin. Außerdem bin ich von den populären Zukunftsfantasien von imaginären Körpern, die aus Science-Fiction-Szenarien stammen, beeinflusst worden und hier besonders von jenen Dystopien, die von dem ethischen Potential der Biotechnologie geprägt sind. In anderen Bereichen meiner Arbeit, z.B. bei »FRONTIERS OF UTOPIA«, sind sehr archivarisch anmutende Darstellungen zu finden, die vom Dokumentarfilm und mündlichen Erzählungen (histories) bzw. :herstories 9 (ihren Erzählungen), wie ich sie nenne, inspiriert sind. Diese Art von Darstellungen vergrößern mein Interesse an der Aufhebung von Zeit und Raum, bei dem die Darstellung und die Interpretation des weiblichen Körpers von großer kultureller Bedeutung ist. Als Künstlerin teile ich natürlich das Interesse an der Erforschung der Diskurse über die Transformation des Körpers mit anderen Künstlerinnen wie Victoria Vesna, Char Davies, Melinda Rackham, Diane Gromala und Adrianne Wortzel. Jede dieser Künstlerinnen hat eine andere Herangehensweise an die Konzepte des mediatisierten Publikums, der Darstellung des Körpers und des konstruierten Raumes. Während die Netzwerke von Victoria Vesna wie z.B. »Bodies INCorporated« oftmals Kommentare zu den politischen Metaphern des Besitzes und des Handels mit Körperteilen und

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Empyrean (Rackham, Melinda)Osmose (Davies, Charlotte), 1995Living Book of the Senses (Gromala, Diane), 2000Camouflage Town (Wortzel, Adrienne), 2001

Avataren in Cyber-Städten abgeben, sorgt Melinda Rackham dafür, dass ihre Zuschauer in VRML-Welten hineingezogen werden, mit denen sie erreichen will, die virtuelle Realität weiblicher zu gestalten. Mit anderen Worten: Sie versucht, den Usern das Gefühl zu geben, dass sie mit körperartigen, flauschig-weichen Avataren zusammenleben, die in einer Art :softspace 9 umherschweben. Bei ihrer Arbeit »Empyrean« wird der Raum zu einem lebenden Organismus, dem folgende Attribute zuerkannt werden: Er wächst, und in ihm schweben molekulare Körper umher. Der gleiche Wunsch nach einer intuitiveren interaktiven Erfahrung ist auch das zentrale Thema bei den Werken von Char Davies, wie z. B. bei »Osmose«. Allerdings ist hier das Interface das eigentliche Fundament für den Körper, da die realen organischen Atemzüge der Zuschauer es ihnen ermöglicht, durch mehrere künstlich erzeugte Märchenwelten zu navigieren. Im Vergleich dazu können die Zuschauer in Diane Gromalas Werk »Living Book of the Senses« den Inhalt und die einzelnen Schichten des Buches mit Hilfe ihres (bio-)sensorischen Feedbacks beeinflussen. Bei anderen Werken beschäftigt sie sich mit der Gesundheit und mit denGrenzwerten des menschlichen Schmerzes. Oftmals bittet sie den Betrachter, eine gesellschaftlich verantwortungsvolle Rolle zu übernehmen. Adrianne Wortzel ist bei ihren Theaterspektakeln auf der Suche nach Metaphern für die Vereinigung von Robotern und Menschen, wie z. B. bei »Camouflage Town«, bei dem es um einen vom Internet gesteuerten Roboter geht, der sich in öffentlichen Kulturräumen bewegt. Was diese Künstlerinnen gemeinsam haben, ist das große Interesse an der Transformation des Körpers. Sie alle untersuchen Dramen, Räume und die Interaktivität, um dieses Interesse zum Ausdruck zu bringen. Ich habe mit ihnen oft über die Rolle diskutiert, die wir Frauen bei der Erforschung von technologischen Metaphern innehaben. Daher führen wir oft einen gemeinsamen Diskurs über die Medien als Mittel für den Zweck, die Erfahrungen des Zuschauers mit dem Körper in Zeit und Raum zu verändern.

 

YV: Wie und in welchem Ausmaß hat sich der Diskurs über den Körper im Hinblick auf Körper- Fantasien und künstlerische Strategien sowie auf Theorie und Wissenschaft in den letzten Jahren verändert?

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A Figurative History (Scott, Jill), 1996

JS: Die einfachste Antwort auf diese Frage wäre wahrscheinlich der Versuch, die Reaktion auf den feministischen Diskurs und dessen Zunahme in den letzten 15 Jahren nachzuzeichnen. Wir Frauen hatten damit begonnen, die Technologie als eine Möglichkeit für uns zu entdecken, uns neu zu erfinden und zwar sogar so grundlegend, dass wir selber das eigene Geschlecht wählen und die eigene Identität selbst bestimmen wollten als auch das Umfeld, in dem es bzw. sie existieren kann. Dazu gehören Frauen, die sich an dem aktuellen Diskurs über vermischte Realitäten und integrierte Technologie-Zonen beteiligen: gemeint sind Räume, in denen nicht nur geografische Grenzen und Zeitzonen aufgehoben sind, sondern in denen Frauen Einzug gefunden haben in den Bereich der Technologie. Vielleicht stehen diese Veränderungen in Zusammenhang mit unser eigenen sich wandelnden Beziehung zur Technologie, bei der die Darstellung von Körpern problemlos weitaus künstlichere, virtuellere und organischere Transformationen beinhalten kann. Meiner Meinung nach können künstliche Charaktere auf dem Bildschirm diese Veränderungen gut wiedergeben. Zusätzlich können virtuelle Agenten alsMetaphern benutzt werden, um die neue Vorstellung vom Körper als einem mit einbezogenen und medial vermittelten Körper zu illustrieren, der aus relationalen Netzwerken und Technologie-Zonen besteht. In meinem Werk »A Figurative History« (1995) habe ich versucht dem Betrachter einen Eindruck davon zu vermitteln, wie man sich als Cyborg fühlt, indem ich ihm die Kontrolle über die Körper der Charaktere auf dem Bildschirm dadurch gegeben habe, dass er die eigene natürliche Elektrizität seines Körpers nutzen konnte. Wenn das Publikum in diesem Fall interagierte, war es in der Lage, über Post-Gender-Perspektiven und multiple Persönlichkeiten nachzudenken und mit Kombinationen aus immateriellen und materiellen Oberflächen zu experimentieren. Eines des wichtigsten Ziele von Medien-Kunst ist es, diese Definitionen vom Körper miteinander zu verschmelzen, indem sie mehrdeutige räumliche und temporale ganzheitliche Perspektiven verwendet, so wie Gilles Deleuze es einst vorgeschlagen hatte. Diese Definition des Körpers im Sinne von Deleuze wird heutzutage mit großem Interesse betrachtet. Er vertritt die Meinung, dass der Körper zwischen molar und molekular, zwischen Sein

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Future Bodies (Scott, Jill), 1999

und Veränderung zu etwas Anderem hin und her schwebt, dass er hin und her schwankt und sich ständig im Zustand der konstanten Veränderung befindet. Dieser Schwebe-Zustand könnte, wenn man ihn mit den kommunikativen Technologien verschmelzen ließe, zu einer Erweiterung unserer Definition des Körpers beitragen.

 

YV: Diese Ideen stehen in engem Zusammenhang mit Ihren Netz-Event-Experimenten namens »FUSION«, oder? Können Sie uns mehr darüber erzählen?

 

JS: Wir haben an der Bauhaus-Universität versucht, einige dieser medienbezogenen Veränderungen in der Wahrnehmung mit den Einflüssen des wissenschaftlichen Diskurses zu kombinieren. Ich entwickelte mehrere Online-Experimente namens »FUSION«, die ich über einen Zeitraum von drei Jahren durchführte. Bei vielen dieser Kunstwerke aus Sydney, Los Angeles und Weimar ging es um die Veränderung des Verhältnisses zwischen virtuellem Körper und Klang sowie um die Aufhebung von geografischen Grenzen und den Grenzen des Körpers als auch um die Rekonstruktion der Natur mit Hilfe der Wissenschaft.So stellte z.B. Melinda Rackham beim ersten »Net Event of Fusion« im Jahr 1999 ihr VRML-Netzwerk über Hepatitis vor, und Victoria Vesna präsentierte »Bodies INCorporated«. Beide waren zudem an einem meiner Werke mit dem Titel »Future Bodies« beteiligt. »Future Bodies« waren Agenten (bzw. Bots), die ich auf einem Hotline-Server mit Hilfe eines Internet-Chats entworfen hatte. Im Hintergrund der Szenerie war ein mit Hilfe von künstlicher Intelligenz arbeitendes Programm in der Lage, Schlagwörter wiederzuerkennen. Daher schien es, als ob diese Agenten tatsächlich auf die Reaktionen des Publikums reagieren würden. Thema des kritischen Dialogs, den ich zwischen drei virtuellen Charakteren bzw. Agenten (Frau Reich, Frau Arm und Frau Perfekt) entstehen lassen wollte, war die Kommerzialisierung der genetischen Manipulation.

 

YV: Wie reagierten die Bots auf die Schlagwörter? Bis zu welchem Grad konnten Sie den Ablauf kontrollieren?

 

JS: Der Ablauf basiert auf einem Programm namens » Eliza«, das es dem Zuschauer ermöglicht, Sätze einzutippen. Wenn diese Sätze bestimmte von mir aufgelistete Schlagwörter beinhalten, dann reagieren

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e-Skin (Scott, Jill), 2004

die Charaktere auf eine bestimmte Art und Weise. Das Programm besitzt ein Zufalls- Potential, das unvorhersehbare Reaktionen auslösen kann. Auf diese Weise kann das Programm Satzkombinationen herstellen: Wenn ich z. B. »Wie geht es Ihnen?« eintippe, antwortet der Bot »Mir geht es gut. Und wie geht es Ihnen?«. Es kursiert im Moment ein ähnliches Programm namens »Alice« im Internet. Bei »Future Bodies« bestimmten sehr ausgeklügelte Drehbücher die Aktionen der Charaktere, und bei der Dramaturgie ging es um die Themen Schönheit, Frauen, Medien und genetische Manipulation.

 

YV: Wenn ich mir Ihr neues Forschungsprojekt »e-Skin« anschaue, so scheint es mir, als ob Sie sich für eine neuartige Vorstellung von Erweiterung interessieren würden. Eine Vorstellung, bei der es nicht mehr um einen weiterentwickelten und optimierten, sondern eher um einen kodierten, auf dem Internet basierenden und kommunikativen Körper geht. Wie würden Sie dies beschreiben?JS: Das ist eine schwierige Frage, denn die Beschreibung von kodierten, auf dem Internet basierenden und kommunikativen Körpern ist keine leichte Aufgabe. Ausgehend von meiner Beschäftigung mit Interfaces und Biotechnologie begann ich mich für die Entwicklung von künstlicher Haut zu interessieren. Unsere eigene organische Haut und deren Haare sind unser wichtigstes taktil-reaktives Interface, das mit besonderen metaphorischen Konnotationen der Kommunikation ausgestattet ist. Ich selber bin außerdem der Meinung, dass sich die Medien-Kunst nicht länger auf audio-visuelle Stimuli verlassen sollte, sondern sich anderen Möglichkeiten der sensorischen Wahrnehmung zuwenden sollte. Zusammen mit dem Artificial Intelligence Lab hier in Zürich habe ich mich auf die Interaktion mit Objekten konzentriert, bei der wir Berührungen und taktiles Feedback sowie biologische Simulationen als Möglichkeiten der Kommunikation zwischen Objekten verwenden. Das heißt, wir versuchen, Erweiterungen des Körpers zu bauen, die die Kontaktstelle, an der das Organische auf das Künstliche trifft, vergrößert, so dass die Grenze zwischen beiden verschwimmt. Wir nennen diese Skulpturen »e-Skin«. Sie sind hitze- und

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stoßempfindliche Objekte, die auf Berührungen reagieren und entweder virtuelle oder reale Environments kontrollieren. Diese neuartige Vorstellung von einem Cyborg versucht die für den Zuschauer bestehende Lücke zwischen der Berührung und anderen Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören und Eigenwahrnehmung) zu schließen. Zudem ist die symbiotische und räumliche Transformation des Mensch-Maschine-Interface von großer Bedeutung. Mit anderen Worten: »e-Skin« versucht, den Punkt, an dem der Körper (die biologischen Funktion) und das Objekt (die künstliche Realität) zusammentreffen, zu erforschen, indem es Körperfunktionen wie Druck, Temperatur, Vibration du Eigenwahrnehmung verwendet. Im Zusammenhang mit Kunst sind die rassischen und ethischen Metaphern, die mit der Haut zusammen hängen, weitere wichtige Faktoren, die es darzustellen gilt. YV: Würden Sie sagen, dass dies eine »Evolution« zu Beginn des Interviews haben Sie diesen höchst umstrittenen Begriffs selber verwendet im Sinne eines Fortschritts und einer Erweiterung ist oder etwas, das jenseits dieses Fortschrittsglaubens liegt?JS: Ich würde sagen, dass man das Wort »Evolution« hier nicht in Sinne von Darwin verwenden sollte, sondern mehr in einem morphologischen Sinn.

 

YV: »e-Skin« ist für unterschiedliche Environments konzipiert. Eines von ihnen soll ein intelligentes Büro für Studenten mit einem smarten Environment werden. Jeder Student wird ein Interface tragen, das ihn/sie mit dem Büro und anderen Studenten verlinkt. Es gibt eine Online-Version, die einmal rund um den ganzen Tisch verläuft. Sie müssen nicht mehr :von Angesicht zu Angesicht 9 miteinander kommunizieren, vielmehr tun dies die Interfaces für sie. Dieses denkbare Environment scheint die Vorstellung vom Optimum und von Überwachung voll und ganz zu befürworten, obwohl dies vielleicht nicht unbedingt das wichtigste Ziel zu sein scheint. Wie gehen Sie als Künstlerin, die neue Möglichkeiten der Kommunikation und der Erweiterung zu entwickeln versucht, die über den bloßen Fortschritt der Intelligenz hinausgehen, mit diesem Problem um?

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JS: Vielleicht kann ich diese Frage am besten beantworten, indem ich sage, dass es bei »e-Skin« um zwei grundlegende Untersuchungen geht. Da ist zunächst einmal das von Ihnen bereits erwähnte Konzept, ein reaktives Büro-Environment, bei dem die Verwendung des Interfaces mit einer realen Umgebung verbunden ist und, ja, es sollte diese Konnotationen und die kritischen Auseinandersetzung mit der Überwachung und der Entkörperlichung beinhalten. Dies ist gleichzeitig auch das kommerzielle Interesse einer unserer Forschungspartner im Bereich des Informationsmanagements. Außerdem gibt es zwei virtuelle audio-visuelle Environments, bei denen das Interface dazu verwendet werden kann, um auf Themen aus den Bereichen Kunst und Wissenschaft zu reagieren. Der wissenschaftliche Kontext besteht aus einer Reise durch die unterschiedlichen Hautschichten (die Epidermis und die Dermis der menschlichen Haut). Hier kann der Betrachter etwas über den aktuellen Diskurs rund um die wissenschaftliche Erforschung der Haut lernen, indem er das Interface benutzt. Als Künstlerin ist der Kunst-Kontext natürlich weitaus interessanter für mich. In diesem Fall können dreiCharaktere, die einen jeweils unterschiedlichen kulturellen Background haben, ihre persönlichen Geschichten erzählen, indem sie auf die Verwendung des Interface durch den Zuschauer reagieren. Wir hoffen, dass diese drei Interaktions- Level eine Art ergonomischer und metaphorischer Erweiterung der Haut in Form eines intelligenten Interface ergeben werden. Außerdem kann die Verwendung von »e-Skin« das Bewusstsein dafür wecken, dass eine intuitivere Wahrnehmung und gesündere Navigationsgeräte im Rahmen der Technologie eher vonnöten sind, als dass man einfach nur zusätzliche Kontrollmechanismen entwirft.

 

YV: Würden Sie sagen, dass die Kunst dazu beitragen muss, dass industriell hergestellte Geräte verbessert werden, so dass wir weitaus beruhigter zu Cyborgs werden können?

 

JS: Ja, so ist es. Die meisten unserer interaktiven Technologien sind schlecht konstruiert und ungesund für den Körper, besonders die Computer-Tastatur.

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YV: Am Anfang unseres Gesprächs haben Sie vorgeschlagen, dass Kombinationen aus Kunst und Wissenschaft vielleicht einmal einen wichtigen Einfluss auf die Wahrnehmung des Körpers und auf dessen zukünftige Entwicklung haben werden. Wenn Sie dieser Meinung sind, ist es dann nicht so, dass die Kunst dabei behilflich ist, den neo-liberalen Wunsch, einen Cyborg zu erschaffen, im schlechtesten Sinne des Wortes wahr werden zu lassen?

 

JS: Wie Haraway schon in Bezug auf die genetische Veränderung von Zellen sagte: Was wir nicht vergessen dürfen ist, dass wir vielleicht schon einmal etwas »Anderes« waren und dass wir uns irgendwann einmal auch wieder in eine »andere Spezies« verwandeln werden. Ich selber glaube, dass Künstler sehr wohl in der Lage sind, die problematischen ethischen Folgen und die gesellschaftlichen Implikationen der Transformation des Körpers mit Hilfe von wissenschaftlicher Forschung zu kommentieren.

 

Übersetzung: Uli Nickel

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