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Themenicon: navigation pathCyborg Bodiesicon: navigation pathMythische Körper I
Mythische Körper
Cyborg-Configurationen als Formationen der (Selbst-)Schöpfung im Imaginationsraum technologischer Kreation: Alte und neue Mythologien von ›künstlichen Menschen‹
Verena Kuni
 

Cyborgs sind hybride Kreaturen – nicht nur als Mischwesen aus Maschine und Organismus, sondern auch als Konstrukte, in denen individuelle wie gesellschaftliche Wahrnehmungen und Projektionen, Realitäten und Fiktionen miteinander verschmelzen. Betrachtet man die Bilder, in denen Imaginationen von Cyborgs einen greifbaren Niederschlag finden, so scheinen sie sich zunächst nahtlos in die Geschichte künstlicher Schöpfungen einzuordnen. Festmachen lässt sich dies besonders augenfällig an ihrer Gestalt: Wie ihre Vorgängerinnen und Vorgänger aus Literatur und Kunst früherer Jahrhunderte sind auffällig viele Cyborg- Configurationen [1] – in den Künsten wie in der Populärkultur – am (Körper-)Bild des Menschen orientiert. Doch was unterscheidet sie als Geschöpfe eines Zeitalters, das von den rasanten Entwicklungen in den Informations- und Biotechnologien geprägt ist, von den künstlichen Menschen der Vergangenheit? Welchen Niederschlag finden die »monströsen Versprechen« (Donna Haraway), die sich mit diesen Entwicklungen verbinden, in den Bildern, die wir uns von künstlichen Schöpfungen in Menschengestalt machen? Was können uns Cyborg- Configurationen alsFormationen der (Selbst-)Schöpfung im Imaginationsraum technologischer Kreation über unser Menschenbild verraten? Vor dem Hintergrund dieser Fragen beschäftigt sich dieser Essay mit den Konstanten und Brüchen, die sich beobachten lassen, wenn man aktuelle Cyborg-Configurationen im Spannungsfeld alter und neuer Fantasmen von der Schöpfung ›künstlicher Menschen‹ betrachtet. Er führt in die alten und neuen Mythologien vom ›künstlichen Menschen‹ ein, die in historischen und zeitgenössischen Texten und Bildern von der Literatur über die bildende Kunst bis hin zum populären Sciencefiction begegnen. [2]

Am Anfang war…

Am Anfang war eine Vorstellung, die Gestalt gewinnen musste. Genauer gesagt: Eine jede Vorstellung verlangt danach, Gestalt zu gewinnen. Erst das macht sie nicht nur als Vorstellung lebendig, sondern auch mitteilbar. Erst die Gestalt verleiht ihr die Realität, die sie potentiell bereits besitzt. Deshalb sind Cyborg-Imaginationen und Cyborg-Configurationen unverbrüchlich miteinander verbunden.

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Wenn Donna Haraway eingangs ihres »Manifesto for Cyborgs« schreibt: »Cyborgs sind kybernetische Organismen, Hybride aus Maschine und Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie der Fiktion« [3] , dann versuchen wir automatisch, diese Definition in Bilder zu übersetzen. Wie haben wir uns diese Mischwesen vorzustellen? Welchen Ort haben sie in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit, welchen in unseren Fiktionen? Wenn sie sind, es sie also hier wie dort bereits gibt – sollte es uns dann nicht möglich sein, sie als Cyborgs zu erkennen und zu beschreiben?

›Erkennen‹ setzt freilich Kenntnisse über das voraus, was erkannt werden soll. Wir werden nach Merkmalen fragen müssen, die uns das Erkennen – die Identifikation – von Cyborgs gestatten. Und dann, wenn wir Vorstellungen von Cyborgs entwickeln und kommunizieren wollen, werden wir ihnen Merkmale verleihen müssen, die es anderen gestatten, sie ebenfalls als Cyborgs zu erkennen. Anschaulichkeit entwickeln diese Merkmale jedoch erst, wenn sie mit bildhaften Vorstellungen verknüpft werden. Bildhafte Vorstellungen benötigen Konturen, um sich als Figuren vom Grund abheben zu können und wahrnehmbar zu werden. Damit ist über den Verlauf der Konturen und die Gestalten, die Vorstellungen gewinnen, noch weniggesagt. Und doch schon viel: Nämlich, dass wir ihnen einen Körper geben.

Gleichwohl lässt die Vorstellung eines Körpers, der ein Mischwesen aus Maschine und Organismus ist, virtuell – und dieses prinzipielle Potential sollte in Erinnerung bleiben – eine schier unendliche Bandbreite an möglichen Verkörperungen imaginieren. [4]

… des Menschen Ebenbild? Cyborg-Körper und ihre Konturen

Angesichts dieses Möglichkeitsraums mag es zunächst verwundern, dass auffällig viele der Cyborg-Configurationen, denen wir in den Künsten begegnen, mehr oder weniger menschliche Konturen besitzen. Das hat historische und mythologische Gründe, in denen sich wiederum Geschichte und Mythos stark miteinander vermengen.

Zunächst einmal lässt sich auf die Geburtsstunde des Begriffs ›Cyborg‹ zurückverweisen. »The Cyborg study is the study of man«, lautet definitionsmächtig der erste Satz des gleichnamigen Papiers, das am 15. Mai 1963 als »Final Report« einer Arbeitsgruppe an die NASA eingereicht wurde. Ebenso sprechend sein Untertitel:

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»Engeneering man for space«. [5] Als Manfred E. Clynes und Nathan S. Kline 1960 einer Vorstellung den Namen ›Cyborg‹ gaben, ging es tatsächlich darum, einen zukünftigen Menschen zu imaginieren – einen Menschen nämlich, der im Weltraum überlebensfähig ist. [6] Vom gewöhnlichen ›Astronauten› sollte er sich etwas Entscheidendes abheben: Technische Apparaturen, die den menschlichen Körper mit zusätzlichen Funktionen und Fähigkeiten ausstatten, um ihm diese Überlebensfähigkeit zu garantieren, sollten in diesen Körper integriert werden, organisch mit ihm verschmelzen. Ein kleiner Schritt für die Fantasie, aber ein großer Schritt für die Menschheit – so die zugrunde liegende Philosophie, die bis heute Cyborg-Utopien in Wissenschaft und Technik wie auch in den Künsten ihren Stempel aufgeprägt hat.

Zurückverweisen lässt sich jedoch auch auf die tiefe Verwurzelung der Cyborg- Utopien im Vorstellungsraum künstlicher Schöpfungen, in dem sich seit jeher eine Vorstellung als besonders wirkmächtig erwiesen hat: diejenige, einen künstlichen Menschen zu schaffen. In der westlichen Kultur spielt hier das über die religiöse Tradition überlieferteSpiegelverhältnis zwischen der ›Gottesebenbildlichkeit‹ des Menschen und der ›Menschenebenbildlichkeit‹ Gottes eine entscheidende Rolle: Es ist der Mensch, der sich als Maß aller Dinge begreift – und in seiner Fähigkeit, Leben zu geben und Menschen zu zeugen, weiß er sich ›seinem Schöpfer‹ nahe. Was ihn von letzterem trennt, ist allerdings – ebenso entscheidend – seine Endlichkeit, die auch eine Endlichkeit seiner schöpferischen Fähigkeiten meint. Diese Endlichkeiten – allen voran die Sterblichkeit, die in der christlichen Religion etwa die Menschlichkeit des Gottes-Sohnes bezeugt, während die Auferstehung zum ewigen Leben seine Göttlichkeit beweist – zu überwinden, ist eine Sehnsucht, die den Menschen bis heute nachhaltig bestimmt. Wenn man so will: Eine Allmachtsfantasie, die auf dem Boden der (Selbst)Erkenntnis menschlicher Schwäche, Verletzlichkeit und Endlichkeit wächst. Das Verlangen danach, künstliches Leben und insbesondere künstliche Menschen schaffen zu können, hat seine Wurzel in dem Wunsch, die eigene Endlichkeit zu überwinden. Vor diesem Hintergrund betrachtet, verwundert es nicht länger, dass uns Verkörperungen von Cyborgs vorzugsweise in menschlicher Gestalt begegnen.

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Anders gesagt: Cyborg-Configurationen mögen von der Sehnsucht nach einer Überwindung des »Menschlichen, allzu Menschlichen« (F. Nietzsche) künden und damit charakteristisch für ein post-humanes Denken sein. Insofern sie ihren Ursprung in der menschlichen Vorstellung haben und insofern sie sich stets am Menschen messen müssen, sind sie jedoch maßgeblich von einer anthropozentrischen Perspektive mitbestimmt. Auch deshalb bleiben die Bilder, die wir uns von Cyborgs machen, während sie Überschreitungen des Menschlichen imaginieren, an jene menschlichen Konturen gebunden, die sie zugleich durchbrechen sollen.

»Monströse Versprechen«

Diese Spannung zwischen Bindung und Überwindung ist kennzeichnend für die Vorstellungen, die wir uns von Cyborgs machen und dementsprechend auch für die Bilder, mit denen wir diesen Vorstellungen Gestalt verleihen. Donna Haraway betont: »A cyborg exists when two kinds of boundaries are simultaneously problematic: 1) that between animals (or otherorganisms) and humans, and 2) that between self-controlled, selfgouverning machines (automatons) and organisms, especially humans (models of autonomy). The cyborg is the figure born of the interface of automaton and autonomy.« [7]

So lange die Grenzen zwischen ›Tierhaftem‹ und ›Menschlichem‹ beziehungsweise ›Technischem‹ und ›Menschlichem‹ klar abgesteckt bleiben, hat dies keine Konsequenzen für den Menschen, der die Kontrollmacht über Tiere und Maschinen in seinen Händen wähnt. Cyborgs zeigen jedoch an, dass diese Grenzen brüchig werden. [8] Das bedeutet zunächst eine Bedrohung – allen voran diejenige des Kontrollverlusts, der nicht zuletzt ein Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper und die über dessen Konturen definierte Identität des Menschen ist. Zugleich gibt es jedoch auch eine Reihe von Versprechen, die mit einer solchen Auflösung von Grenzen verbunden sind. Diese nennt Haraway treffend »monströse Versprechen« [9] – was sich, wie im Folgenden noch zu zeigen wird, sehr plastisch in den Imaginationen von Cyborg-Configurationen abzeichnet. So verspricht das Paradigma des ›Technischen‹ – insbesondere im

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Zeitalter neuer Technologien – die Überwindung von Schwächen, die mit der biologischen Existenz verbunden sind, namentlich der Gebrechlichkeit und Sterblichkeit des menschlichen Körpers. Dies zeichnet nicht nur den Cyborg-Entwurf von Klines und Clyne, sondern auch zahlreiche Cyborg-Imaginationen aus, die in der Sciencefictionliteratur und im Film begegnen – denken wir etwa an den von Arnold Schwarzenegger verkörperten »Terminator« aus der gleichnamigen Filmreihe. [10] Auch dem ›Tierhaften‹lassen sich unter bestimmten Blickwinkeln positive Qualitäten abgewinnen – beispielsweise dort, wo Instinkte und Fähigkeiten bei Tieren besser ausgebildet sind als beim Menschen. Die auf den ersten Blick recht humanoid wirkenden Borgs aus der Sciencefictionserie »Star Trek« [11] – die freilich keine Cyborgs sind, sondern Lebewesen, die eine andere Evolution durchlaufen haben als der Mensch – zeichnen sich durch eine kollektive, vernetzte Intelligenz aus, die dem Vorbild zur Schwarm- und Staatenbildung neigender Tierarten abgeschaut ist, was sie den Menschen strategisch überlegen macht. Und schließlich kann gerade dort, wo die Mechanismen der Kontrolle eine Unterdrückungoder mindestens eine Einengung bedeuten, im ›Kontrollverlust‹ auch das Versprechen eines Befreiungspotentials liegen. Genau dieses Potential stellt Donna Haraway in ihrem »Manifesto for Cyborgs« heraus: Cyborgs, so Haraway, brechen mit der Tradition einer vom Menschen kontrollierten und beherrschten Schöpfung, die sich auf eine Genealogie von Schöpfern und Geschöpfen beruft und in der weder die Grenzen zwischen Mensch und Tier beziehungsweise Mensch und Maschine noch die zwischen Subjekten und Objekten genau umrissen sind. [12] Erodiert wird damit eine Reihe von klassischen Dichotomien, auf deren Festschreibung sich die Vormachtstellung des westlichen, weißen, männlichen Menschen traditionell beruft. Umso reizvoller kann es für jene sein, die nicht von den tradierten Machtverhältnissen profitieren, Cyborg-Potentiale für sich zu entdecken.

Schnittstelle Geschlecht

Eine der Schnittstellen, an denen der Wunsch, vom Maß des Menschen vorgegebene Grenzen zu durchbrechen, und die Wirkungsmacht von Bindungen

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an das Maß des Menschen in besonders markanter Weise aufeinander treffen, ist das Geschlecht. Das lässt sich bereits an den beiden ›Grenzen‹ erkennen, deren Brüchigwerden Haraway als Voraussetzung für das Entstehen von Cyborg-Configurationen nennt. [13] Mit dem ›Tierhaften‹ ist eine Bindung an die Sexualität und das biologische Geschlecht assoziiert, die – als ›triebhaft‹, ›ungezügelt‹ und der Maxime der Arterhaltung unterworfen – das, was als condition humana gilt, zugleich unter- wie überschreitet. Mit dem Verlust des menschlichen Ethos einer bewusst regulierten Sexualität ginge also zugleich eine Aufgabe von Kontrollfunktionen einher, die als ›befreiend‹ imaginiert werden können. Demgegenüber scheinen die Paradigmen des ›Technologischen‹ – und dies gilt schon für die Automaten beziehungsweise Maschinen, um so mehr jedoch für informationstechnische Systeme – das Versprechen einer Überwindung der Bindung an körper-geschlechtliche Reproduktion zu implizieren. Auch die Automatisierung kann jedoch eine Delegation oder Aufgabe von ›menschlichen‹ Bewusstseinsfunktionen implizieren. Die Vorstellung einer ›sex machine‹ ist mit dem ›Tierhaften‹ und dem›Technologischen‹ gleichermaßen kompatibel. Beiden Figuren der Überschreitung haftet mithin im Hinblick auf den Aspekt des Geschlechts beziehungsweise die Sexualität etwas Ambivalentes an, auf dessen Oszillationen im Folgenden noch zurückzukommen sein wird.

Zunächst aber könnte man fragen, warum Cyborgs überhaupt ein Geschlecht haben sollten: Müsste man nicht annehmen, dass eine künstliche Schöpfung weder zu ihrer Herstellung noch zu ihrer Vermehrung eines geschlechtlichen Zeugungsaktes im konventionellen Sinne bedarf?

Eine Frage, die sich mit Fug und Recht bereits an die Vorgängerinnen und Vorgänger der Cyborgs richten ließe – die Imaginationen von künstlichen Menschen also, die in Kulturund Kunstgeschichte begegnen: Vom legendären Golem der jüdischen Mythologie [14] über Pygmalions belebte Skulptur und die unheimliche Puppe Olimpia aus E. T. A. Hoffmanns Novelle »Der Sandmann« [15] bis hin zu Frankensteins Monster aus Mary Shelleys gleichnamigem Roman [16] und zahlreichen Sciencefictionfantasien, von Villiers de l'Isle Adams »Eve future« [17] über die Roboterfrau Maria aus

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Fritz Langs »Metropolis« [18] bis zu den Replikanten aus »Blade Runner« [19].

Schaut man hier auf die ›Schnittstelle Geschlecht‹, scheint die Antwort allerdings recht eindeutig auszufallen: Die Körper dieser Geschöpfe – das zeigen sowohl die Erzählungen, die von ihnen berichten, als auch die Bilder, die über sie kursieren – sind sehr deutlich (und Bedeutung stiftend) durch ein Geschlecht markiert, das sich mehr oder weniger an den traditionellen Konzepten von ›Männlichkeit‹ oder ›Weiblichkeit‹ orientiert.

Künstliche Menschen oder Anthropomorphismus als Imperativ

Der ›Imperativ des Anthropomorphismus‹ besagt: Zur gelungenen Herstellung eines Menschen gehört ein Geschlecht. Und zwar ein Geschlecht, das Eins ist oder das Andere, jedenfalls eine ein-deutige Zuordnung erlaubt. So lautet das Gesetz, dem in unserer Gesellschaft wissenschaftliche, juridische und soziale Instanzen gleichermaßen Folge leisten, wie sie um seinen Fortbestand bemüht scheinen. Sekundiert werden sie dabei nicht nur von der Kulturgeschichtereligiöser und mythologischer Überlieferungen, die zwei- oder mischgeschlechtliche Gestalten in die Reiche des Numinosen oder des Monströsen verweisen.

Entsprechendes spiegelt auf weiten Strecken auch die (Kunst-)Geschichte der Imaginationen von ›künstlichen Menschen‹ wider. In diesen Schöpfungsgeschichten ist es nämlich das dezidierte Ziel, mit den Mitteln der Kunst und Technik eine idealtypische Verkörperung des ›natürlichen Geschlechts‹, einen ›echten Mann‹ oder eine »Eva der Zukunft« zu schaffen. Anders gesagt: Was diese künstlichen/künstlerischen Schöpfungen von natürlichen Menschen unterscheidet beziehungsweise unterscheiden soll, ist nicht nur ihre äußerliche Perfektion, sondern auch die Überwindung »menschlicher, allzumenschlicher« Schwächen. Das haben sie mit den Cyborgs gemein.

Was solche künstlichen Kreaturen jedoch als perfekte Menschen einer ›zweiten Natur‹ ausweist, ist nicht nur ihre menschliche Figur, sondern auch ihr Geschlecht – das im Übrigen, wie noch zu zeigen sein wird, nicht selten in einem spezifischen Spannungsverhältnis zum dem ihrer Schöpfer

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beziehungsweise Hersteller steht, die ihrerseits wiederum die Seite des Menschen repräsentieren, der als gottgleicher Künstler oder genialer Ingenieur in die Fußstapfen des schöpfenden Gottes tritt.

Die Eva der Zukunft

Stolz prophezeit der Protagonist des gleichnamigen Sciencefictionromans, der Erfinder Edison, seiner »Eve future« – einer mit den Mitteln höchster Kunstfertigkeit und modernster Technik geschaffene Inkarnation des ›ewig Weiblichen‹: »Diese Kopie aber wird das Original überleben und stets jung und lebendig erscheinen. Es ist künstliches Fleisch, das niemals altern wird […]« [20] . Seine künstliche Frau ist zwar am Vorbild einer lebenden Frau orientiert und deshalb eine ›Kopie‹ – eine ›Kopie‹ jedoch, die dem ›Original‹ in mehrfacher Hinsicht überlegen sein soll. Allem voran darin, dass sie über die vergängliche Natur menschlichen Lebens und menschlicher Schönheit triumphiert. Hadaly – so heißt Edisons »Eva der Zukunft« – ist zudem hochintelligent und von gepflegten Umgangsformen, Eigenschaften, die sie umso begehrenswerter machen. Da sie – anders als ihremenschlichen Geschlechtsgenossinnen – aber ihrerseits kein aktives Begehren oder andere, weitergehende Ansprüche an die Männer stellen soll, weist sie eine gewisse Gefühlskälte auf, die selbst ihren Verehren eher unheimlich ist. An diesem Punkt entpuppt sich die Perfektion der künstlichen Frau – ganz ähnlich wie diejenige der belebten Puppe Olimpia aus E. T. A. Hoffmanns »Der Sandmann« [21] – als monströser Zug. Am Ende wird Edison seine Erfindung deshalb zerstören.

Indes scheint sie sich im Zeitalter der informations- und biotechnologischen Produzierbarkeit unter neuen Vorzeichen zu verkörpern. Seine »Eva der Zukunft« hat in der profanen Realität des postmodernen Medienalltags mittlerweile auf höchst prosaische Weise Gestalt gewonnen. Die ›Femmes fatales digitales‹, die uns unser Internetanschluss auf den Monitor zaubert – das sind zunächst einmal jene nicht immer bildschönen, wohl aber alle marktgängigen Klischees von Weiblichkeit nachgerade übererfüllenden Wesen, wie sie uns auch sonst in den Massenmedien allenthalben begegnen. Einschlägig startete etwa schon 1997 das von Ex-Hackern mit herausgegebene Hochglanzmagazin »Konr@d«, indem es auf dem Titelblatt seiner ersten

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RE-Constructing EVE (Roca, Javier), 1999

Ausgabe das farbige Modell Naomi Campbell als sexy ›Cyborg‹ präsentierte und im Heftinneren mit einwärts gewandten Knien und züchtig gesenktem Blick posieren ließ. [22] Und auch sonst erweisen sich die digitalen Technologien und ihre Bildträger beziehungsweise -multiplikationsapparate als wahre ›Junggesellenmaschinen‹ [23] . Ob man nun die Entwürfe für dienstbare Avatare und virtuelle Filmdiven, wie sie etwa das MIRALab seit einigen Jahren kreiert, künstliche Popsternchen wie Kyoko Date [24] oder Computerspielfiguren und -heldinnen wie Lara Croft [25] ansieht oder die ›neue Eva‹, die in »RE-Constructing EVE« (1999) von Javier Roca begegnet: Sie alle sind auf ihre Weise ›Schwestern‹ der »Eve future« – idealisierte ›Ersatzfrauen‹, die das haben, was ›echte‹ Frauen nicht haben beziehungsweise das zu geben versprechen, was diese mittlerweile verweigern. Und sie alle sind Kopien ohne Original. Das gilt selbst für die ›virtuelle Marilyn‹ des MIRAlab: So sehr sie ihrem Vorbild, der Schauspielerin Marilyn Monroe in ihren äußeren Konturen, in Mimik und Gestik ähneln mag, ist sie doch nichts als die aus Datensätzen bestehende Kopie eines Bildes – und genau genommen sogar eine Kunstfigur, inder das Bild einer Kunstfigur wieder belebt wird.

Eine jede »Eve future« reanimiert in diesem Sinne nichts anderes als ein altes Bild: die Eva vor oder nach dem Sündenfall. Wenngleich die biblische Legende von dieser Eva behauptet, die erste ›natürliche Frau‹ gewesen zu sein, wissen wir doch, dass sie nichts als ein Fantasma ist.

Kreatoren und ihre Kreaturen

Mit Kunst hat schon dieser Schöpfungsmythos zu tun, doch erst mit dem Bildhauer Pygmalion tritt der Mensch als Schöpfer einer belebten Figur hervor – als Künstler, der seine Statue so lange wie eine Geliebte verehrt, bis sich die Götter seiner erbarmen und das Bild für ihn zum Leben erwecken. In der »Eve future« wiederholt sich diese wundersame Belebung der Kunst zu Fleisch – wohl kaum zufällig in spiegelbildlicher Entsprechung zu jenen Cyborg-Mythen, die das Fleisch durch die Kunst der Technik aufgerüstet sehen wollen. Allerdings zeichnen sich die modernen Variationen auf die Pygmalion-Legende dadurch aus, dass der moderne Schöpfer-Künstler-Ingenieur nicht mehr auf die Gnade der Götter angewiesen ist, sondern seine Kunstfrau

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selbst zum Leben zu erwecken versteht.

Das verbindet sie mit den Erzählungen eines anderen Strangs, der ebenfalls zu den Cyborgs führt und ursprünglich zwar keine Schöpferinnen, wohl aber männliche Kreaturen kennt. Auch dieser Faden beginnt zunächst in Mythos und Religion: Hier finden wir den Adam Kadmon, den Urmenschen aus Lehm – und den Golem, den der Rabbi Löw nach dem Vorbild des ersten Menschen knetet. [26] Marge Piercy hat in ihrem feministischen Sciencefictionroman »Er, Sie und Es« – eine der Lektüren, die Donna Haraway zu ihrem »Manifesto for Cyborgs« inspirierten – die Geschichte des Golem mit derjenigen eines Cyborgs verflochten, um jene Spur freizulegen, die in die Moderne führt. [27] Piercys ›Golem‹ ist – wie derjenige der Legende – geschaffen als tumber Helfer, als Kampfmaschine schlichten Gemüts, die erst dadurch, dass sie lernt, wie ein Mensch zu sein, zu einem gefährlichen Wesen wird. Darin ähnelt er – im Unterschied übrigens zu ihrem Cyborg Jod, dessen künstliche Intelligenz von einer Frau trainiert wird, die ihn zu einem vernunftbegabten und zugleich einfühlsamen Wesen macht [28] – der Hauptfigur in einer der bekanntestenErzählungen von künstlichen Menschen: Das ›Monster‹ in Mary Shelleys »Frankenstein« ist die erste Kreatur, die nicht mehr im Zeichen der Kunst, sondern dem der modernen (Natur- )Wissenschaft ›geboren‹ wird. [29] Und sie ist die erste Kreatur, die den Namen ›Cyborg‹ verdient: Denn hier wird menschliches Fleisch mit den Mitteln der Technik zum Leben revitalisiert, ein Organismus technologisch zum Leben erweckt.

Schöpfungsgeschichten, revisited

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass im Zeichen von Cyborg-Configurationen auch die alten Erzählungen von ›künstlichen Menschen‹ Konjunktur feiern können – in den Künsten ebenso wie in der Populärkultur. [30] Doch wo liegen die entscheidenden ›Schnittstellen‹ dieses kulturellen Erbes zu den Entwicklungen im Bereich der digitalen Technologien einerseits und auf dem Sektor der Gen- beziehungsweise Biotechnologien andererseits, die ganz offensichtlich einen Gutteil zu dieser Konjunktur beigetragen haben?

Was die digitalen Technologien mit der Gentechnologie mindestens auf einer metaphorischen

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Ebene miteinander verbindet und zugleich das Tertium Comparationis zu den kulturgeschichtlich überlieferten Fantasmen von ›künstlichen Menschen‹ bildet, ist das suggestive Versprechen, die Formel des Lebens selbst zu finden und reproduzieren zu können, also: Leben zu schaffen. [31]

Lebende Bilder

Mit den kunst- und kulturhistorischen Geschichten vom ›künstlichen Menschen‹ wird die Gentechnologie in Verbindung gebracht, weil sie sich mittelbar mit der künstlichen Herstellung organischen Lebens beschäftigt – während sie unmittelbar den genetischen ›Code‹ manipuliert, also auf der Ebene eines ›Programms‹ operiert, was sie wiederum umso leichter mit den digitalen Technologien in Verbindung bringen lässt. Die Vermengung der technologischen Paradigmen mag unzulässig sein – gleichwohl ist sie viel sagend. So kann uns der Kurzschluss von der biologischen zur digitalen Technologie und zur Simulation künstlichen Lebens in einer Virtual Reality verraten, dass es auch in den Diskursen um die Gentechnologie implizit weniger um eine Belebung der Materie, als um eineMobilisierung von Bildern geht, nämlich um die Propagierung eines bestimmten Menschenbildes. In diesem Sinne ist den beiden Technologien also tatsächlich etwas gemeinsam: Nicht nur, insofern sie dort, wo sie zu reproduzieren scheinen, tatsächlich etwas produzieren, sondern auch insofern sie dort, wo sie zu produzieren scheinen, etwas reproduzieren: Nämlich eben jenes normative Bild vom Menschen, das auch in Bezug auf Geschlechtervorstellungen tradierte Normen transportiert.

Die Verknüpfung beider Technologien mit den mythologischen Narrationen, die von der künstlichen beziehungsweise künstlerischen Belebung der Körpern berichten, fügt sich in diesen Zusammenhang ein: Wofür Dr. Frankenstein (stellvertretend für den legendären Wissenschaftler) und Pygmalion (stellvertretend für den mythologischen Künstler) stehen, ist die Schaffung künstlichen Lebens auf dem Wege der Belebung toter Materie: im Falle Frankensteins aus Fleisch, im Falle Pygmalions aus Stein. Genau genommen heißt es also auch hier: Es werden Bilder belebt. [32]

In den Re-Lektüren der alten Geschichten und im

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Wiederaufruf ihrer bewegenden Bilder geht es jedoch nicht allein um eine Vor- und Frühgeschichte der Reproduktionstechnologien, die mit der biologischen (und sexuellen) Re-Produktion menschlichen Lebens konkurrieren, wie im Folgenden deutlich werden soll.

Kreuzungen von Kunst und Wissenschaft

Bezeichnend ist nämlich auch, dass die seit der Renaissance kursierende Gleichsetzung des ›Divino artista‹ mit dem ›Deus artifex‹ einerseits [33] und dem technisch wie künstlerisch versierten ›Universalgenius‹ andererseits im Zeitalter dieser neuen Schöpfungsmythologien ebenfalls eine wahre Renaissance erfährt. Allerdings zeugt davon nicht nur die Berufung auf Leonardo da Vinci, der in den theoretischen Debatten um Kunst im Zeitalter neuer Technologien als Modell für den ›genialen‹ Künstler-Wissenschaftler-Ingenieur allenthalben begegnet und auch Buchtitel von Herbert W. Frankes Streitschrift zur »Kunst im Zeitalter des Computers« [34] bis zum Cover der deutschen Ausgabe von Bruce Sterlings Cyberpunkroman »Schismatrix« [35] ziert und zum Namenspatron zahlreicher Projekte erkoren wird,so etwa für die »International Society for the Arts, Sciences and Technology (ISAST)«, die seit 1968 die Zeitschrift »Leonardo« herausgibt. Und es sind keineswegs allein Künstler wie Eduardo Kac, welche die Rolle des Wissenschaftlers für sich in Anspruch nehmen. Umgekehrt gefallen sich nämlich auch nicht wenige Wissenschaftler darin, als Künstler aufzutreten beziehungsweise wie Craig Venter sich mit einem Künstler zu vergleichen. [36]

Wiederum erweisen sich die Analogisierungen der Technologien und ihre Überblendung mit den mythischen Narrationen, die zu neuen Mythologien von Kunst- und Wissenschaftsgeschichte(n) führen, als sprechend – besonders an der ›Schnittstelle Geschlecht‹: Nicht nur heroisieren die Erzählungen das menschliche, genauer gesagt, das männliche Bemühen, dem ›Geheimnis des Lebens‹ auf die Spur zu kommen. Darüber hinaus geht es auch um die Möglichkeit einer ›Verbesserung der Natur‹, die der traditionellen und kulturell tradierten Perspektive entsprechend als »Geburt ohne die Frau« verstanden wird. [37] Ihr bleibt – bis in aktuelle Variationen dieses Kernstoffs hinein, vom Alienklon »Ripley« aus »Alien IV« [38] bis zum

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Redeeming the Gene, Molding the Golem, Folding the Protein (Rapoport, Sonya), 2001

Klonschaf »Dolly« [39] – bestenfalls die Rolle einer (Aus)Trägerin, des Austragungsortes für die Experimente der Produktionskünstler vorbehalten. Tatsächlich ist schon in den historischen Vor-Bildern (beziehungsweise Bilder- Geschichten) nur scheinbar die Kreatur die Hauptfigur. Vielmehr jedoch ist sie die Projektionsfläche eines Diskurses, dessen fantasmatischer Kern – und dies verraten bereits die Titel der Geschichten – zuvorderst um die menschlichen/männlichen Schöpfer kreist, deren ›wahrhaftige‹ Kunstfertigkeit (im Falle Pygmalions) belohnt oder deren Hybris wieder die natürliche/göttliche Schöpfung (im Falle Frankensteins) zum Scheitern verurteilt beziehungsweise in ihrem Scheitern vorgeführt wird. Letztlich handelt es sich hier um eine auf ethischer und ästhetischer Ebene geführte Diskussion des Kreator–Status, der Gottgleichheit des Menschen–Mannes, die <over her/his/its dead body> [40] geführt wird. Genau dies macht die Aktualität der alten Narrationen für die zeitgenössische Debatte aus. Wenn nämlich die Geschichte des für seine Hybris bestraften Wissenschaftlers mit derjenigen des für seine Kunstbelohnten Künstlers überblendet wird, dann hat das für den Aufruf des >Künstler–Wissenschaftlers< und des >Wissenschaftler–Künstlers< zweierlei Konsequenz: Der Künstler wird über sein Engagement für die Wissenskünste promoviert – und ist dafür zuständig, im Aufruf von Bildern des Schreckens und des Scheiterns den Mahner und Warner zu mimen. Der Wissenschaftler, der sich als >neuer Prometheus< [41] oder Pygmalion geriert, darf mit der Legende vom mythischen Heilsbringer – den die Götter aus Missgunst bestrafen – und der vom begnadeten Künstler auch deren moralischen Ethos in Anspruch nehmen.

An dieser ›Schnittstelle‹ setzt die Künstlerin Sonya Rapoport mit ihrer webbasierten Arbeit »Redeeming the Gene, Molding the Golem, Folding the Protein« (2001) an. Sie nimmt mit der Golem-Legende eine traditionelle ›Schöpfungsgeschichte‹ zum Ausgangspunkt, um sie unter den Vorzeichen der Gentechnologie neu zu erzählen. Verfolgt man diese Narration entlang des künstlichen DNA-Strangs, dessen Proteinbasen sich zu einem Navigationssystem entfalten, das dem Sephirotbaum der Kabbala nachempfunden ist, stößt man unter anderem auch

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Genesis (Kac, Eduardo), 1998GFP Bunny (Kac, Eduardo), 2000

auf das Künstler-Gen , für das Eduardo Kac mit Arbeiten wie »Genesis« (1999ff.) und »Alba«, dem »GFP Bunny« (2000ff.), Pate gestanden hat. [42] Der Hybris seiner Selbstbehauptung als ›Künstler-Wissenschaftler‹, der die Paradigmen der Gentechnologie in seiner Arbeiten positivistisch zitiert, setzen Rapoports Protagonistinnen Lilith und Eva – weibliche Urbilder männlicher Schöpfungsphantasien – ein kabbalistisches »Golem-Gen« entgegen, mit dessen Hilfe sie nicht nur das »Künstler-Gen« läutern, sondern auch sich selbst vom Fluch der Dämonisierung, der den biblischen Legenden entsprechend auf ihnen lastet, erlösen und neu erschaffen.

Monstren machen

Welche Ansatzpunkte bietet nun speziell die ›Schnittstelle Geschlecht‹, wenn man nicht den charismatisierten ›genetic‹ oder ›digital Engeneer‹, sondern ›die andere Seite‹ der Schöpfung, also die Kreaturen der Kreatoren ins Auge fasst?

Kennzeichnend ist für die künstlichen Geschöpfeder Moderne an den Kreuzungspunkten von Kunst und Wissenschaft, dass sie – gerade dann, wenn sie dem ›Imperativ des Anthropomorphismus‹ zunächst genügen – früher oder später ihre Monstrosität offenbaren, die nicht nur das Misslingen des Schöpfungsaktes, sondern auch ihre Un-Menschlichkeit demonstriert.

Auf der einen Seite steht die Schar weiblicher ›Puppen-Körper-Automaten‹ [43] , die – geht man von ihren Konturen aus – das Erbe von Pygmalions schönem Bildnis anzutreten scheinen. Doch dieser Eindruck trügt: Zwar werden sie wie Galathea als Objekte des Begehrens belebt – charakterlich gleichen sie jedoch eher der »Eve future«: Sobald sie ein ›Eigenleben‹ zu führen beginnen, entfalten sie dämonische Züge, so dass ihnen schleunigst der Garaus gemacht werden muss. [44] Nicht umsonst trägt die Kunstfrau in »Metropolis« den Beinamen »die falsche Maria« – hinter ihrem täuschend schönen Äußeren, das nichts von ihrer Monstrosität verraten mag, steht die Maschine: eine Konstruktion, die nichts Menschliches an sich hat. Auf der Seite der männlichen Geschöpfe wiederum

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steht Frankensteins Monster, das von seinen Körpermassen her ›echte‹ Männer in den Schatten stellen mag. Als tumber Tropf, der kleine Mädchen als Blumen behandelt und gegenüber der Frau seines Schöpfers bestenfalls ein unbeholfenes Begehren zu Ausdruck bringt, verkörpert er jedoch alles andere als ›wahre Männlichkeit‹.

›Natürliche Töchter‹ oder ›ganze‹ Männer sind diese Kreaturen also nicht – und das zeigt sich besonders markant an der ›Schnittstelle Geschlecht‹: Einem Monstrum mögen mechanische oder animalische Sexualitäten zugebilligt werden. Diese sind dann jedoch ihrerseits monströs, das heißt, als bedrohlich und pathologisch charakterisiert. Anders gesagt: Die Kreaturen der Kreatoren stellen den Kernerzählungen entsprechend Gegenpole zum ›ganzen/richtigen‹ Menschen/Mann, den ihr Schöpfer verkörpert, vor.

Daran ändert sich auch in jüngerer Zeit nur wenig. Eher lassen sich im Zeichen der digitalen und der genetischen (Re-)Produktionstechnologien Kontinuitäten und Wiederaufnahmen benennen, in denen Abweichungen von den mustergültigen Vorlagen bestenfalls Steigerungen der Monstrosität markieren – bezeichnenderweise dort, wo es um die ›bedrohte‹ Grenze zwischen ›Künstlichkeit‹ und ›Natürlichkeit‹, zwischen ›Weiblichkeit‹ und ›Männlichkeit‹ geht. Ebenso eindeutig, wie die Überschreitung dieser Grenze(n) als Bedrohung erscheint, fällt damit die Rolle der Monster aus: Die Norm, zu der nicht zuletzt das Machtverhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf gehört, wird hierdurch bestätigt und nachhaltigstabilisiert. Das ›unheimliche‹ genetische Upgrade von Ripley in »Alien IV«, das ihrem weiblichen Körper – ganz im Sinne der Grenzüberschreitungen, die Haraway als charakteristisch für die neuen technologische Ordnung beschreibt – männliche und animalische Qualitäten einschreibt, ist »over her dead body« vorgenommen worden. Als männlich gekennzeichnete Cyborg-Heroen wie der »Robocop« [45] oder der von Schwarzenegger verkörperte, zum Beschützer mutierte Kampfmaschine »Terminator II« mögen als ›Manns-Bilder‹ um den Erhalt gefährdeter ›Ideale‹ wie der Kernfamilie ringen, was sie zweifelsohne ›menschlich‹ erscheinen lassen soll. [46] So etwa, wenn letzterer in »Terminator II« an der Seite der guten Mutter gegen eine ›entmenschlichte‹, vom geschlechtslosen T1000 repräsentierte neue Technologie kämpft und im »Terminator III« dafür sorgen soll, dass ihr Sohn und dessen Freundin das Ende der Welt überleben, um als letztes Menschenpaar zu ›Adam und Eva der Zukunft‹ zu werden. [47] Sie besitzen aber ungeachtet ihres hypertroph mit Merkmalen von ›Männlichkeit‹ ausgestatteten Körpers keine eigene sexuelle Identität. Der doppelt konnotierte Phallus bleibt also immer in der Hand der Ingenieure: Er ist nur dort am ›richtigen Ort‹.

Gleichwohl kann sich die ›Schnittstelle Geschlecht‹ auch als Angelpunkt potentieller Devianz, also Abweichung vom Verlauf der sonst so stereotyp verlaufenden Narrationen erweisen. So etwa im verfilmten Musical »The Rocky Horror Picture Show« [48] :

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Frank'n'Furters Kreatur Rocky – gleichsam die Inkarnation eines ›Mister Universum‹ – ist eigentlich als Gespiele für seinen transsexuellen Schöpfer konzipiert. Die Hauptfigur in Tim Burtons Variation auf die »Frankenstein«-Erzählung wiederum, »Edward mit den Scherenhänden« [49] , übt trotz der bis ins karikaturhaft gesteigerten ›phallischen‹ Überformung seiner Finger zu Scherenklingen eine unvergleichliche erotische Anziehung auf die Frauen aus, denen er, ganz dienstbares Geschöpf, die Haare schneidet – während die Männer, deren Vorgartenhecken er trimmt, ganz offenbar einen Kommentkampf (entsprechend den rituellen Scheinkämpfen von männlichen Tieren zur Paarungszeit) wittern beziehungsweise unter Kastrationsängsten zu leiden beginnen. Hier zeigen die Monstren – in einer unerwarteten Wendung der »monströsen Versprechen« (Haraway) [50] – ein subversives Potential.

»Reinvent Yourself!«

Allerdings spiegeln sich die »monströsen Versprechen« der neuen Technologien nicht allein in Nach- und Neuerzählungen der alten Geschichten von derSchöpfung künstlichen Lebens wider. Als ›Figur des Dritten‹ kommt nunmehr einem alten philosophischen Topos neue Bedeutung zu, indem er ebenfalls beim Wort genommen werden will: Die Selbstschöpfung findet sich unter den Vorzeichen der Cyborg-Configurationen im Zeitalter ihrer technologischen Realisierbarkeit wieder. [51] Ebenso, wie im Fernsehen oder populären Illustrierten mehr oder weniger uneingeschränkt biomedizinische Technologien zur ›Verschönerung‹ oder gar ›Verbesserung‹ des eigenen Erscheinungsbildes geworben wird, werden zugleich mithilfe der neuen Technologien auch die entsprechenden Vorbilder entworfen, kreiert und mitgeliefert. Der Imperativ dieser Cyborg-Configurationen lautet: »Reinvent Yourself!« [52] – Erfinde Dich selbst!. Und dies schließt die Erfindung eines neuen Körpers mit ein.

Der ›Fleischwerdung‹ einer solchen ›Selbsterfindung‹, in der die tradierte Dichotomie von ›Geist‹ und ›Körper‹ auf unerwartete Weise in sich zusammenfällt, scheinen immer weniger Grenzen gesetzt – und es gibt immer mehr Menschen beiderlei Geschlechts, die euphorisch auf das Angebot, ›sich

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selbst neu zu erfinden‹, reagieren. In diesem Sinne können Film- und Popstars, die wie Liz Taylor mit Schönheitsoperationen dem Altern ihres Köpers zu entgehen versuchen oder sich wie Michael Jackson sogar gänzlich in eine Kunstfigur verwandeln, als Protagonisten des ›Posthumanismus‹ gelten, dem der Imperativ der ›Cyborgisierung‹ zur Maxime geworden ist. [53] Das bedeutet jedoch nicht, dass die mit diesem Imperativ verbundenen Versprechen ihre monströsen Züge verlieren würden: Manipulationen des menschlichen Körpers haftet nach wie vor etwas Unheimliches an. Diese Kehrseite der Medaille lässt sich längst nicht mehr allein im Spiegel einer Sciencefictionsatire wie »Brazil« betrachten. Der Protagonist des Films träumt sich immer wieder in eine Fantasiewelt, in der er sich vom schwächlichen Durchschnittsmenschen in einen Superhelden verwandelt, während seine alternde Mutter mittels fehlschlagender Schönheitsoperationen zum Monster mutiert, das am Ende von keiner menschlichen Kontur mehr zusammengehalten werden kann. [54] Jacksons von biomedizinischen Eingriffen von der Pigmentbleichung bis zur Nasenoperation deutlich gezeichneten Züge lassen ihn mittlerweile selbstin den Augen so manches ehemaligen Fans als ein Monster erscheinen. [55] Dass dies nicht zuletzt daran festgemacht wird, dass sein Äußeres zwischen Mann, Frau und Kind zu changieren scheint und auch seine Sexualität der Devianz verdächtigt wird, dürfte kein Zufall sein. Erneut erweist sich die ›Schnittstelle Geschlecht‹ als Kristallisationspunkt sowohl des Fantasmatischen, als auch des Unheimlichen der (Selbst-)Schöpfung.

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