Hinweis: Wenn Sie diesen Text sehen, benutzen Sie einen Browser, der nicht die gängigen Web-Standards unterstützt. Deshalb wird das Design von Medien Kunst Netz nicht korrekt dargestellt. Die Inhalte selbst sind dennoch abrufbar. Für größtmöglichen Komfort und volle Funktionalität verwenden Sie bitte die empfohlenen Browser.

Themenicon: navigation pathMapping und Texticon: navigation pathEditorial
Mapping und Text
Editorial
Rudolf Frieling
Internet Mapping Projekt (Dodge, Martin), 2000

Die Karte hat von Anfang an ein Territorium vermessen und beschriftet, um es in Besitz zu nehmen, es zu okkupieren und zu kolonisieren. So war historisch gesehen die Karte nicht allein Erkenntnisinstrument, sondern vornehmlich Instrument eines Wettbewerbs um ökonomische Vorteile und Macht. Diese Geschichte des Vermessens der Welt geht einher mit der Erfindung und Erprobung immer besserer Navigationsinstrumente und Zeitmesser. Die eigene Position im Verhältnis zum durchmessenen Raum zu bestimmen, war von fundamentalem Interesse. Die symbolischen und religiös determinierten Darstellungen räumlicher Zusammenhänge wurden entsprechend abgelöst von einer analogen und indexikalischen Verweisstruktur zwischen dem geografischen Raum und der kartografischen Repräsentation, die sich nautischen wie optischen Instrumenten verdankte. Der Kartograph wiederum operierte mit diesen Instrumenten wie in einem panoptischen Dorf ungeachtet der Tatsache, dass er immer schon Teil des durchmessenen Raums war, den er scheinbar von außerhalb zu kartografieren vorgab. Die Karte ist dabei nicht nur die Repräsentation eines abstrakten Raums gewesen, sondern immer auch schon Repräsentation von Wegenund Routen, das heißt, von einer menschlichen Praxis im Raum.

Genau an diesem diskursiven Aspekt (abgeleitet vom lateinischen Ursprung des ›durchlaufens‹) setzt ein spezifisch künstlerischer Umgang mit der Karte an. Dieser Blick auf das Kartographieren entwirft eine ›andere‹ Sicht auf die Karte und letztendlich auf die Unmöglichkeit der Erstellung einer Karte der Welt. Damit verbunden zeigt sich auch eine besondere Faszination für die enzyklopädischen und universalistischen oder ganzheitlichen Ansätze, wie sie auch in der Vision einer datenbasierten Erfassung der Welt verkörpert sind. Der Internetboom der 1990er Jahre und unsere zunehmende Erkenntnis, dass wir in einer vernetzten Gesellschaft leben, haben Künstler, Wissenschaftler und Programmierer zu einer neuen Topographie der Informationsgesellschaft angeregt. Ganze Mailinglisten und spezialisierte Websites widmen sich diesem Phänomen, wie es im »Atlas of Cybergeography« übersichtlich zu erforschen ist. Der entsprechende Text von Martin Dodge, »Einblicke in das Innere der Wolke. Verschiedene Formen des Internet-Mapping«

icon: top
 

fragt nach den verschiedenen Funktionen und Interessen, die in diese Kartografien eingebettet sind, und verweist zugleich im Titel seines Beitrags auf den Zustand dieses Terrains als eine Art von Wolke Doch wie kann ein Kartograph das »Innere einer Wolke« vermessen? Und welche Konstruktion von Raum vollzieht sich kognitiv in den Vorstellungen der Kartographen? Dodge verdeutlicht dabei anhand einer Fülle von Karten des Internets, wie diese jeweils einem bestimmten Kalkü [1] entsprungen sind.

Darüberhinaus beziehen sich die hier versammelten Autoren auch auf die Fülle von Internetprojekten, die sich mit den technologischen Bedingungen von Browsern, proprietärer kommerzieller Software und traditionellen Arten von Repräsentation befassen, um dazu technische oder künstlerische Alternativen und kritische Reflexionen zu entwerfen. Als Einführung in die unterschiedlichen Zusammenhänge und Perspektiven dient daher der Essay »Das Archiv, die Medien, die Kart und der Text« von Rudolf Frieling, dessen Argumentation einen Bogen schlägt von der Erweiterung und zunehmenden Auflösung fest gefügter Wissenssysteme bis in die 20. Jahrhundert zu den Datenbanken, dieheute das enzyklopädische Motiv auf eine neu konfigurierte, dynamische und vernetzte Plattform stellen. Der Begriff des ›Mapping‹ bezieht sich heute nicht allein auf die neuen, elektronischen Territorien, die sich permanent wandeln und daher mit neuen, zeitbasierten Methoden der Datenerhebung und innovativen Formen der Bildgebung eine räumliche Ahnung dieses Feldes vermitteln wollen.

Aber ist die Metapher des Raums, durch den der Kartograph navigiert, überhaupt zutreffend. Während die philosophisch orientierte Einführung von Christine Buci-Glucksmann mit ihrem Essay »Vom kartografischen Blick zum Virtuellen« genau diesen Gedankengängen assoziativ folgt: »Denn die Karte als Artefakt ist mit Deleuze ein »Plateau« mit mehreren Schichten und Zugängen, die eine neue Form des Sehens skizzieren – nämlich die einer Projektion der Unendlichkeit in der Aufsicht – und neue Arten von Abstraktion, von Abstrahierungen als Diagramme.«.Demgegenüber insistiert Wolfgang Ernst in »Jenseits des Archivs: Bit-Mapping« auf der mathematischen und topologischen Perspektive, nach der das digitale Mapping gerade das Feld der räumlichen Metaphern

icon: top
Mnemosyne-Atlas (Warburg, Aby M.), 1924

hinter sich lässt: » Aus medienarchäologischer Sicht geht es im Cyber›space‹ nicht um Bilder, Töne oder Texte, sondern um Bits.«

Ein besonderes Interesse gilt auch den Kartographien visueller oder audiovisueller Dokumente: Ein technischer, innovativer Ansatz der Suche nach Bildern mit Bildern wird von Stéphane Marchand-Maillet, »Bilder-Suche oder Führer durch die Datenbank?«,vorgestellt, während Graham Harwood in » Nine(9) – Linker and other Subjective Mappings« das kollektive Mapping einer Community in einem Projekt realisiert hat, in dem es besonders um die soziale Interaktion im Umgang mit neuen Tools für die Formulierungen und Formen einer eigenen Identität geht. Die künstlerische Haltung zum Thema des Kartographierens von Texträumen wie von sozialen Beziehungen verkörpern auch die Netzkunstprojekte von Daniela Alina Plewe und Ismael Celis, die bereits im Kontext von »Medienkunst im Überblick« veröffentlicht wurden und die erste Phase der Formulierung des Konzepts für diesen Schwerpunkt auf vielfältige Weise angeregt haben.

Ob historisch, philosophisch oder künstlerischfokussiert, in allen Fällen zieht sich die Frage nach den (prekären) Beziehungen zwischen Bildern/Tönen einerseits und Texten/Sprache andererseits wie ein roter Faden durch diesen Themenschwerpunkt. Die Verbindung mit »Text« im Titel verweist darüber hinaus auf das wichtige Moment, dass die Theorie und das Material zu den Beziehungen zwischen den Medien und den Künsten im selben Kontext vermittelt werden müssen. In welchen Medien die Künstler der Moderne auch immer arbeiteten, sie operierten mit radikalen Konzepten von Alterität und Differenz, die heute in den elektronischen Medien ihre zeitgemäße Form gefunden haben. Das Interesse an Datenbanken, Suchmaschinen, Datenvisualisierungen und Kartografien ist ein Indiz für die künstlerische Recherche in dem scheinbar uferlosen Feld der Wissensproduktion. Walter Benjamin (»Das Passagen-Werk«) wie auch Aby WarburgMnemosyne-Atlas«) haben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Modelle entwickelt, wie in einem überlieferten Terrain textlich und bildlich Kontingenzen und Konstellationen einen anderen Zugang zur Vermittlung von Wissen und Erkenntnis ermöglichen können. Die Produktion von Dokumenten,

icon: top
Agonistics: A Language Game (Sack, Warren), 2004

Artefakten, Texten und Bildern überstieg schon damals das Fassungsvermögen eines Individuums. Heute ist die dynamische und virtuelle Konfiguration des Archivs ein Reflex auf die Datenmenge ebenso wie auch eine Produktionsbedingung dieser Daten. Das Archiv stellt sich in dieser Perspektive nicht nur als ein passiver Speicher dar, sondern als ein aktiver Generator. Die ›Daten‹, seien sie nun Texte oder Bilder, sind so gesehen weniger das ›Gegebene‹, wie die Etymologie nahe legt, sondern eher das Gemachte, Produzierte – sie sind ›Fakten‹. Diesen Produktionsbedingungen auf die Spur zu kommen, historisch, philosophisch, diskursiv oder algorithmisch, ist ein Interesse, das als roter Faden in diesem thematischen Feld dient.

Das kuratorische Konzept ist wesentlich präzisiert worden durch eine Reihe von Vorträgen, die im Rahmen der Konferenz »Media Art Net Lectures: Mapping« am ZKM Karlsruhe am 23./24. Januar 2004 gehalten wurden. [2] Ich danke allen Vortragenden, auch wenn nicht jeder Beitrag in die endgültige Auswahl der hier versammelten Texte Eingang finden konnten, doch haben Anne Nigten, Steve Dietz, Warren Sack und Brett Stalbaum wichtige Hinweiseund Anregungen für meine Einführung geliefert. [3] Insofern als Warren Sack für den Schwerpunkt «Public Sphere_s« mit »Agonistics – a language game« ein neues Onlineprojekt entwickelt hat, das sich mit zentralen Fragestellungen des Mapping-Themas spezifisch auseinandersetzt, hat diese Zusammenarbeit auch fruchtbare Querverlinkungen generiert. Das Thema ist bei weitem zu umfangreich, als dass es hier vor allem auch in seinen wissenschaftlichen Implikationen und Anwendungen umfassend dargestellt werden kann. [4] Eine Anmerkung mag dazu wie ein Ausblick auf zukünftige Forschung dienen: Während wir in vielen klassischen und historischen Fällen immer wieder Bilder in Texte überführen, durch unsere medien- oder kunsthistorischen Diskurse nicht zuletzt, ist es die große Aufgabe der bildgebenden Verfahren heute, Daten und theoretische Modelle in Bilder zu überführen und damit begreifbar zu machen. Die Relationen zwischen den Daten und Bildern, zwischen Werk und Analyse, zwischen Geografie und Karte stehen im Zentrum der Auseinandersetzung in diesem thematischen Feld.

icon: top