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Themenicon: navigation pathCyborg Bodiesicon: navigation pathMonströse Körper
Monströse Körper: Der verrückte Geschlechtskörper als Schauplatz monströser Subjektverhältnisse [1]
Yvonne Volkart
 

Monster sind, wie Donna Haraway sagte, nicht zufällig mit dem Wort demonstrieren verwandt: Sie zeigen. These dieses Essays ist, dass sie – so wie die Cyborgs – an und mit ihren monströsen Körpern die monströsen Verhältnisse ›demonstrieren‹,denen sich Subjekte im Informations- und Biotechzeitalter gegenübersehen. Diskutiert wird in einem ersten Schritt die Tendenz, dass der monströse Körper als ein deviant gewordener Geschlechtskörper inszeniert wird. Immer wieder ist es das Geschlecht, das nicht mehr stimmt und das darauf hindeutet, dass etwas Grundsätzliches aus den Fugen geraten ist. In einem zweiten Schritt wird gezeigt, dass die scheinbare Geschlechterkonfusion häufig mit Vorstellungen von Weiblichkeit konvergiert. Beiden Schritten ist die Frage unterlegt, ob die Inszenierung monströser Körper einerseits zu einer Bannung und Naturalisierung soziopolitischer Referenzen führt, bei der übergreifende Zusammenhänge auf ein ›simples‹ Körper- und Geschlechterproblem verschoben werden; oder ob andererseits der Körper als Schauplatz monströser Gesellschafts- und Subjektverhältnisse benannt und repolitisiert wird.

Das Monströse und Mutationistische ist in Theorien des Minoritären immer wieder als Figuration von Befreiung stilisiert worden. So versteht etwa die Women-Studies-Theoretikerin Rosi Braidotti die aktuelle Fülle an Repräsentationen von Monstern sowohl als Symptom für die postmoderne »postnukleare Sensibilität« als auch als Möglichkeiten alternativer Subjektkonstitution: »a shift of paradigm is in course, towards the teratological or the abnormal/cultural decadence. […] We need to learn to think of the anomalous, the monstrously different not as a sign of pejoration but as the unfolding of virtual possibilities that point to positive alternativities for us all.« [2] Donna Haraway konzipiert ihre Cyborgs als artefaktische Grenzfiguren und setzt sie gleich mit Chimären, Hybriden und Monstern. Mittels offensiver Identifikationen mit hybriden »Cyborg-Subjketpositionen« soll eine verrückende, verschiebende Identitätspolitik des Nicht-Authentischen und der »un/an/geeigneten Anderen« [3] betrieben werden. Während die genannten VertreterInnen die Monster als Chancen für eine neu gedachte humane Zukunft jenseits

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Klone #92 (Huber, Dieter), 2000Sibylle (Breuning, Olaf), 1997Group (Breuning, Olaf), 2001

androzentrischer Subjektvorstellungen denken, sind gerade in der Kunst viele Darstellungen von Monstern und Mutanten im ambivalenten Spektakel von Faszination und Grauen, Norm und Devianz steckengeblieben.

In der Fotografie »Klone #92« von Dieter Huber aus der Serie »Klone« sehen wir die nackten Oberkörper von einem Mann und einer Frau, die sich küssen. Ihre Zungen sind zu einer einzigen zusammengewachsen. Das Klon-Sein ist als monströse Androhung vom Unkenntlichwerden der Geschlechtergrenzen inszeniert, vom Zusammenbruch von Normen und unabsehbarer Wucherung. Das drohende Ende bipolarer Geschlechtsdifferenz deutet darauf hin, dass etwas ausser Kontrolle geraten ist.

Monster, Tiere und Freaks sind die Protagonisten, die neben geilen Frauen und verkorksten Rittern in Rüstungen die Fotografien des Schweizer Künstlers Olaf Breuning bevölkern. In »Sibylle« (1997) etwa sehen wir ein weibliches, verstümmeltes Monsterwesen – halb Tier, halb Mensch – ausgestellt auf einer Tischplatte daliegen. Doch das Frauenmonster wirkt so schlecht zusammengebastelt, dass wir eher verwundert alserschreckt sind. Auch die tierhaften Monstermänner in den fotografischen Variationen »Group«, »Steve«, »Ruben« oder »Sam«, die alle vor rotleuchtendem Urwaldhimmel fratzenhaft in die Kamera grinsen, können uns nicht richtig das Fürchten lernen. Und doch sind Olaf Breunings Fotografien monströs und unheimlich: Denn alles ist irgendwie anders geworden. Das Menschliche ist zum Animalischen, Horden- und Rudelhaften mutiert. Das einzig Feste in dieser wuchernden Szenerie – die Ritter und schönen Frauen – ist unwirklich geworden, ironische Zitate einer mythischen Stabilität und Ganzheit. Diese Mythen müssen nicht nur mühsam und über sexistisches Dominanzverhalten aufrechterhalten werden – so stellt ein Ritter in »Princess« (2000) reichlich klapprig seinen Fuss auf eine sich am Boden windende Höhlenfrau –, sondern scheinen auch aus der Mode geraten zu sein: Die Nähe der hordenhaften Monster, »Primitiven« oder »Wikingern« zu Grunge, »Skatern« oder Stadtindianern, die Vermischung von Männern und Frauen zu langhaarigen, zotteligen Schimären zeigt deutlich an, dass etwas kollabiert und aus der Fassung geraten ist, dass Vorstellungen humanistischer Individualität und

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Durchströmung II (Müller, Victorine), 2004Family Romance (Ray, Charles), 1993

Subjektivität, vor allem aber auch von vernunftorientierter Männlichkeit etwas Anderem, Kollektiven gewichen sind.

In der Installation »Durchströmung II« der schweizer Künstlerin Victorine Müller gerät eine perfekte Puppenfigur scheinbar buchstäblich aus der Fassung: Aus sämtlichen Öffnungen einer knienden, weissen Frauenpuppe strömt Wasser, das in glänzenden Plastikschläuchen einen Kreislauf der ganz anderen Art generiert: Alles (zer)fließt, wird monströs und bleibt doch unheimlich künstlich, gläsern und kompakt.

These dieses Beitrags ist, dass monströse Körper monströse Subjektverhältnisse demonstrieren, wie sie durch die Verquickung von neuen Technologien mit neoliberalen Ökonomien in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Die Ästhetik körperlicher Deformationen, das Zerfließen der Körpergrenzen und die Rekombinationen von Gliedern symbolisieren, was mit den Körpern auf soziopolitischer und subjektiver Ebene geschieht. Anhand medienübergreifender Beispiele wird danach gefragt, ob Bilder des mutationistischen Körpers die Mutationen des Alltagslebens nennen oder ›entnennen‹ und welcheRolle das Geschlecht dabei spielt.

Lust und Horror des Monströsen: Die Bannung perverser Machtverhältnisse im Diskurs des Devianten

Fantasien von gestörter Geschlechtlichkeit, Reproduktion und Individualität, von aus der Kontrolle geratenden Körpern und Organen waren vor allem zu Beginn der 90er Jahre, als der Diskurs des Posthumanen [4] um sich griff, weit verbreitet und wurden häufig mittels ganzer, glatter und puppenhafter Körper inszeniert. Ein Beispiel dafür ist die Skulpturengruppe »Family Romance« von Charles Ray. Die Arbeit wurde als Zeichen der Verirrungen biotechnologischer Versuche rezipiert sowie als Allegorie von Macht- und Gewaltverhältnissen im Familienverband [5] oder in der Flexibilisierungsgesellschaft. [6] Während sich Hubers Klonserie explizit auf die Problematik der Gentechnologie bezieht, kreisen Rays Arbeiten – nicht nur seine Arbeiten mit Mannequins – genereller um Fragen von Massen und Proportionen, Entseelung und körperlichem Exzess und sprechen damit eine grundsätzliche, in die Krise geratene Befindlichkeit an. Die puppenhaften Arbeiten aus »Chapmanworld« des britischen Geschwisterpaars Dinos & Jake Chapman

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Faith, Honor and Beauty (Aziz, Anthony; Cucher, Sammy), 1992Thank you Tighmaster (van Lamsweerde, Inez), 1993

insbesondere die Skulptur »Zygotic acceleration, biogenetic de-sublimated libidinal model (enlarged x 1000)« – ist ein weiteres Beispiel, bei dem aktuelle Diskurse um Reproduktion und Individualität als monströses Spektakel wuchernder Geschlechtskörper inszeniert sind.

In allen diesen Arbeiten ist das Ende androzentrischer Subjektivität, bei der die Voraussetzungen nicht mehr stimmen und zu grauenerregenden Perversionen führen, das grosse Thema. In allen geht es um Kontrolle und ihren Verlust. Referenzen zur Biopolitik mittels neuer Technologien und Modewellen blitzen auf. Die Heillosigkeit des Anomalen als mögliche Zukunft wird im fasziniert-abschreckenden Bild des Zusammenbruchs normalisierter Heterosexualität inszeniert; entstellte oder wuchernde Geschlechtlichkeit, vor allem eine weiblich anmutende Reproduktionskraft wird als Bild des Monströsen zelebriert. In der einseitigen Symptomatisierung des Devianten als Analogisierung pervertierter, unheimlicher Machtverhältnisse kommen kulturpessimistische Vorstellungen zum Tragen. Diese re-installieren das Abnorme gleichzeitig als zuVerwerfendes und Faszinierendes und halten keine Optionen frei, es jenseits des Abgewerteten und Tabuisierten zu reinterpretieren.

Entstellte Geschlechtlichkeit als Verlust von Individualität

In der Kunst der 1990er Jahren tauchte in völlig verschiedenen Medien immer wieder die Thematik monströser Verrückung oder Entstellung des Geschlechts und der Geschlechtsteile sowie der Versiegelung des Körpers auf. Zieht man die Konvention in Betracht, dass Geschlechtlichkeit nicht nur die fundamentale Basis für Differenz, sondern auch für Individualität und Subjektivität ist, verwundert die unaufhörliche Skizzierung der Bedrohung von Geschlechtlichkeit nicht. Das Motiv der Entstellung des Geschlechts bezieht sich also nicht nur auf die Reproduktionstechnologien, die das Geschlecht obsolet machen, sondern genereller auf eine Welt, in der mittels Biopolitik das Ende des Individuums angepeilt wird.

Sowohl in »Faith, Honor and Beauty« des Künstlerduos Aziz & Cucher als auch in Inez van Lamsweerde's Fotoserie »Thank you Thighmaster« (1993) sind Geschlecht, Scham- und Körperhaare sowie

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Final Fantasy (van Lamsweerde, Inez), 1993The Forest (van Lamsweerde, Inez), 1995

die Brustwarzen mittels digitaler Verfahren ausgelöscht. Der Körper dieser jungen Models ist zu einer undurchdringlichen Oberfläche, ohne Membrane und Öffnungen geworden. Beide Bildserien zeigen, dass der Zwang zur Selbst- Gestaltung gemäß konventionalisierten Ideal-Massen Monster gebiert und dass Geschlecht eine arbiträre Angelegenheit wurde, die nicht auf Evidenzen, sondern auf ›Technologien‹ baut. Wie in den weiter vorne diskutierten Arbeiten, so wird auch in diesen das zutiefst Unheimliche und Beunruhigende des Cyborgkörpers in seiner geschlechtlichen Entstellung und wundenlosen Geschlossenheit inszeniert. Im Gegensatz zu den besprochenen männlichen Autoren thematisiert van Lamsweerde ausdrücklich den Fetischcharakter der Frau und zeigt auf, dass die Informationsgesellschaft neue Möglichkeiten für die neue Frau bereithält. In der Fotoserie »Final Fantasy« etwa verknüpft sie Biotech- mit Männerfantasien von der Lolita und lässt beides im grausigen Grinsen der kleinen Mädchen kulminieren. In der Fotografie »Well, basically basuco is cocaine mixed with kerosene« ist hingegen auch weibliches Begehren präsent. Einerseits scheinen diebeiden stereotypen Barbie-Schönheiten die direkten Sprösslinge der NASA-Technologie und damit Fetische in einer phallokratischen Ordnung zu sein, andererseits sind sie mit ihren Fahrrädern und dem Apollo-Eis als fordernde Frauen dargestellt, die männliche Technokultur für sich selbst haben wollen. Dieses Bild ist das Kondensat einer posthumanen Kondition, in der alles künstlich und nicht unschuldig, aber scheinbar heiter und genussvoll ist. Das Monströse ist nicht mehr das Danebengegangene, sondern die normalisierte Angepasstheit und Reinheit der Körper selbst.

Die (scheinbare) Fluidität der Geschlechter

Während in van Lamsweerdes frühen Arbeiten das Monströse zukünftiger Körper die Auslöschung des Weiblichen bei dessen gleichzeitiger sexualisierender Hypertrophierung ist, steht in der darauffolgenden Serie »The Forest« das Durcheinandergeraten von Männlichkeit bzw. der Geschlechter zur Debatte. Der offensichtlich ekstatische Zustand der effeminiert wirkenden Männer auf ein Anderswo hin, das Zerfließen purer Männlichkeit, ist nicht als Horror dargestellt, sondern als etwas Offenes, Lustbringendes.

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Diese Cyborg-Fetische zeigen ihre Nicht-Wunden, die Verschiebungen, Eingriffe und Zurichtungen, die gemacht werden, um sie als Fetische platzieren zu können und sie schlagen die Überschreitung der Geschlechtergrenzen als neue Möglichkeiten von Subjektivität vor. Auf die Auslöschung von Individualität und Geschlechtlichkeit folgt die Flexibilisierung postmoderner Identitäten. Diese erscheint als Fluidität der Geschlechter und Ethnien – ein Thema, das vor allem im Bereich der digitalen Fotografie, der Werbung und des Musikclips [7] Hochkonjunktur hatte.

Bekannt wurden etwa Ugo Rondinones wirkungsvolle Selbstinszenierungen als Frau in der Fotoserie »I don't live here anymore« (1995-2001). Als Grundlage nahm Rondinonoe Modefotografien perfekter Frauen und montierte überall sein Gesicht hinein. Das hat nicht nur zur Folge, dass ein weibliches Model ganz unzimperlich einen Bart trägt, sondern dass einem beim Betrachten der Serie auch immer wieder das ähnliche Gesicht aus ziemlich verschiedenen Körpern anguckte. Das nahtlose Gleiten von Körpern und Geschlechtern, wie es die digitale Fotografie ermöglicht, erscheint damit als etwas Ortloses,Instabiles und Unheimliches. Dass der männliche Künstler die Instabilität (männlicher) Subjektivität durch sein Frau-Werden repräsentiert ist allerdings keine Erfindung der digitalen Medien. Es wurde nicht nur in der Fotografie der 1970er Jahre von Künstlern wie Urs Lüthi, Robert Gober oder Andy Warhol breit durchgespielt, sondern war auch ein Motiv, das bereits im 19. und Anfangs des 20. Jahrhunderts bei Literaten und Künstlern, wie etwa Marcel Duchamp, Fuß fasste. Diese medienübergreifende Tradition untermauert letztlich aber nur die These, dass Konfusionen von Subjektivität als Geschlechterkonfusionen und beim männlichen Künstler vor allem als Instabilwerden von Männlichkeit inszeniert werden. Das Frau-Werden oder Monsterwerden weist dabei, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird, bemerkenswerte Analogien auf.

Die Monstrosität des unendlich verschaltbaren, digitalen Körpers

Während in den 90er Jahren viele Künstler das Monströse in Form variabler, puppenhafter Geschöpfe mit entstelltem oder variablem Geschlecht und fluider Ethnie inszenierten, tendiert die Entwicklung der letzten Jahre dahin, das Sexuelle von einem identifizierbaren Körper zu lösen und nur noch

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Grosse Spiegel werden verloren. Informationen von Abwesenheit, damit Anwesenheit entstehen kann. (Netzhammer, Yves), 2000Again & Again/The Border (Melhus, Bjørn), 1998

strukturell wirken zu lassen. So sind etwa die geschlechtlichen Verstörungen in Aziz & Cucher's frühen Fotoserien in späteren Arbeiten, wie etwa »Chimera«, durch Fantasien von Hautlandschaften und -objekten oder sich paarender Elektroteile abgelöst worden. In den digitalen Körperbildern von Yves Netzhammer, etwa in seiner frühen Arbeit »Grosse Spiegel werden verloren. Informationen von Abwesenheit, damit Anwesenheit entstehen kann« oder in seinem vielteiligen Ausstellungsprojekt »Die überraschende Verschiebung der Sollbruchstelle eines in optimalen Verhältnissen aufgewachsenen Astes«, hat sich eine reproduktive Kraft der Gestalten bemächtigt und treibt sie zur permanenten Wandlung. Es gibt kein Innen und Aussen, sondern nur sich multiplizierende, variierende Oberflächen, unendliche Rekombinierbarkeit, und doch erinnern die Sujets an sexuelle Fantasien von Eindringen, Verschmelzen, Ausstossen oder Geburt: So wenn sich eine glatte, kompakte Oberfläche wölbt, ausstülpt, wenn aus ihr eine Schnecke kriecht oder wenn sie menschliche Figur, Hand, Finger, Fühler wird. Das Monströse ist nicht mehr das Hässliche undDeformierte, sondern das (zu) Glatte und permanent Fließende. In Olaf Breunings neuerer Fotoserie »I never invite my friends again, they are weird! I-IV« (2003) wird das unheimlich Fließende des digitalen Bildes zum buchstäblichen Zerfließen und Monströswerden des Gesichts.

Diese homogen-fluide Ästhetik digitaler Körper wird immer wieder als Effekt der technischen Möglichkeiten der neuen Medien interpretiert. Ich behaupte jedoch, dass diese Körpervorstellungen weniger technikbedingt sind als vielmehr sowohl der Metaphorik des Informationszeitalters entspringen als auch genereller Basisfantasien von der Auflösung von Subjektivität sind. Gerade die skulpturalen Beispiele zeigten, dass die Fantasien der Fluidisierung und Wucherung der Körper nicht mediengebunden sind.

Von der Technik zur Metapher: Die Fluidität digitaler Körper

Ein horizontaler, grüner Strahl, der eine auratische Säule bildet und aus der heraus ein blonder Mann in Unterwäsche – der Künstler tritt. In Björn Melhus' Video »Again & Again (The Borderer)« (1998) werden Machbarkeitsvorstellungen aus Biotechnologie und Schönheitschirurgie digital

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inszeniert; es geht um Kloning, um Kontrolle und aus der Kontrolle geraten: Die Reproduktionstechnologie zeigt den Mann als göttergleichen Kreator, multipliziert seinen Körper in ornamentalen Pflanzenmustern und lässt ihn am Schluss hoffnungslos in ein schwarzes Loch abstürzen. Es geht um den Zusammenbruch und die Durchlässigkeit kategorialer Grenzen von Natur und Technik, von Körper und Subjektivität: der Protagonist ist ein Cyborg. Er ist zwar Mann, doch ist er gleichzeitig synthetischer Knotenpunkt von Mann-, Vater-, Mutter-, Kind-, Bruder-, Pflanze- und anorganischem Kathodenstrahl- Sein. Seine Männlichkeit ist nicht mehr souveräne Herr-lichkeit, sondern ein Versammlungsort multipler Konzepte des Reproduktiven, die den Demiurgen erfasst haben und in den Stand des (buchstäblich von seiner Kleidung) Entblössten versetzen. Er ist – wie übrigens die meisten Gestalten in Melhus' Videoarbeiten – ein unmarkierter Wiedergänger und Grenzbewohner von Limoboland [8] , jenseits von Tod und Kastration: Das schwarze Loch ist nicht der Tod, sondern die Uterusmaschine in Aktion, die den Tod zugunsten unendlicher Replikation des Einen ersetzt hat und unaufhörlich Menschen, Pflanzen undBilder repliziert.

Der zentrale Gedanke im Diskurs der Fluidität von Medientechnologien und Körpern ist das Prinzip der algorithmischen Programmierbarkeit. Dieses wird zur Metapher sowohl für digitale als auch für Artificial Life oder wie Melhus' Beispiel zeigt, für biotechnologische Manipulationen. So schreibt der russisch-amerikanische Medientheoretiker und Künstler Lev Manovich in seinem Buch »The Language of New Media«, dass das fundamentalste Prinzip digitaler Medien die »numerische Repräsentation« sei. Die Konsequenzen sind, dass »ein neues Medienobjekt« erstens formal (mathematisch) beschrieben werden könne und zweitens, dass es »Gegenstand algorithmischer Manipulation« würde. [9] Ein weiteres Prinzip ist die »Variabilität«. Diese bestehe darin, dass »das neue Medienobjekt nicht etwas für jetzt und immer Fixiertes ist, sondern etwas, das in verschiedenen, potentiell unendlichen Versionen existiert«: »New media (…) is characterized by variability. (Other terms that are often used in relation to new media and that might serve as appropriate synonyms of variable are mutable and liquid. Instead of identical copies, a new media

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object typically gives rise to many different versions.« [10] Mit der Variabilität meint Manovich nicht nur die mediale Oberflächenrepräsentation, das nahtlose Ineinanderfließen aufeinanderfolgender Sequenzen, sondern auch die mittels der Programmierbarkeit entstandene Möglichkeit, ähnliche, voneinander leicht differierende Medienobjekte in beinah unbegrenzter Anzahl zu produzieren. Dies würde der Ökonomie der postindustriellen Gesellschaft entsprechen, die auf Individualität und freie Wählbarkeit und nicht mehr auf Massenstandard und serielle Repetition des Gleichen setze.

Manovich's Konzept der Variabilität, Liquidität und Mutabilität bezieht sich in einem weiteren Schritt auf die Art und Weise, wie die User mit Daten und Medienobjekten umgehen und wird dann generell zu einem Modell postindustrieller Kultur, die auf scheinbar freie Wahl- und Gestaltungsmöglichkeit setze. Damit trifft Manovich einen wichtigen Punkt, dem wir auch in der scheinbar freien, posthumanen Gestaltungsmöglichkeit des Körpers immer wieder begegnen. Trotz der vermeintlich technikbasierten Argumentation Manovich's wird jedoch bald klar, dasssie sich letztlich lediglich auf die algorithmische Programmierbarkeit abstützt und dass sein Diskurs bezüglich des Fließenden und Programmierbaren deskriptiv und metaphorisch ist. Damit steht Manovich nicht allein da. Neben Theoretikern wie Marcos Novak oder Peter Weibel findet sich diese ambivalente, technometaphorische Argumentation auch in Vivian Sobchacks Anthologie über Morphing wieder. [11] Sowohl die Herausgeberin als auch ein Grossteil der AutorInnen gründen ihre Argumentation bezüglich der Ästhetik des Morphs einerseits in dessen algorithmischer Struktur, andererseits weisen sie auf historische Vorläufer und die generelle kulturelle Faszination an Formen des Fluiden, Transformativen und Metamorphischen. »Morphing is not merely a novel computergraphic mode of figuration, nor is the morph merely a novel narratological figure. Both are novel – and specifically historical – concretions of contemporary confusions, fears, and desires and both, wether visible or invisible in their use, allegorize the quick-changes, fluid movements, and inhuman accelerations endemic to our daily lives. […] the morph is not only meta-morphic in its shape-shifting

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formlessness that greedily 'devours all forms'; it is also meta-phoric in its inherent tropological movement and its historically substitutive activity.« [12] Sobchack macht klar, dass es sich mit der digitalen Morphingmethode um eine neue technische Möglichkeit von Bildentwürfen handelt, die gleichzeitig alte Fantasien nährt und in ihrer historischen Kontingenz weiterentwickelt. Insofern wird in ihrer Anthologie auch ein starkes Gewicht auf die Faszinationsgeschichte und allegorische Bedeutung des Morphs gelegt: »The morph fascinates us not only because of its physical impossibility and strangeness but also because its process and figuration seem less an illusionist practice than both a presentational mode and an allegory of late capitalist ‹realism›.« [13] Das homogene, nahtlose Gleiten, das der Morph vor Augen führt, wird mit dem Funktionieren der Macht in der aktuellen Informationsgesellschaft identifiziert, die, so Sobchack, »kein Zentrum mehr hätte« und keine haltbare Substanz mehr. Damit bezieht sie sich auf aktuelle postmarxistische Theorien, die das Strömen und Vernetzen, das Flexible und Immaterielle als akuten Zustand orten. So sprichtetwa der USamerikanische Theoretiker Manuel Castells davon, dass die Informationsgesellschaft »ein globales kapitalistisches Netzwerk [sei], dessen Bewegungen und variable Logik in letzter Instanz die Wirtschaft bestimmen und Gesellschaft beeinflussen« [14] . Gemäß Castells befinden wir uns in einer Transformation, in der »ein Raum der Ströme anstelle eines Raums der Orte« entstünde. [15] Das Informationszeitalter wird als globales Netzwerk, als »Raum der Ströme« beschrieben, in dem prinzipiell alles miteinander verschaltbar wird und übergangslos ineinander fließt. Donna Haraway nennt diese neue Logik der Verschaltung und des Fließens »Informatik der Herrschaft« und meint damit, dass Materialitäten und Organismen nurmehr in der Logik des Binarismus verstanden und damit zu Zeichen und Codes würden: »Was früher als Organismus betrachtet wurde, ist heute ein Problem genetischer Kodierung und des Zugriffs auf Information« [16] .

Die entscheidende Wende zur Informationsgesellschaft besteht hier für Haraway in der »Übersetzung von Welt in ein Kodierungsproblem«. Mit ihrer Begrifflichkeit möchte sie, so wie Castells, darauf hindeuten, dass Macht und Ausbeutung nicht

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einfach ausgelöscht sind in einer Netzstruktur, sondern anders und neu verlaufen. Gilles Deleuze hat in seinem Text »Postscript on the Societies of Control« [17] ebenfalls auf die neu verlaufenden Machtstrukturen verwiesen. Er spricht von einer Kontrollgesellschaft im Gegensatz zur Disziplinargesellschaft, wie sie Michel Foucault vor allem in »Überwachen und Strafen« herausgearbeitet hat. In der Argumentation von Deleuze wird nochmals deutlich – wie schon bei Haraways Konzept der »Informatik der Herrschaft« –, dass das numerische Prinzip als Metapher für das Funktionieren neuer gesellschaftlicher und ökonomischer Ordnungsstrukturen verwendet wird. In Anschluss an Foucaults Entwurf der Disziplinierung, die qua sozialer Institutionen der Einschließung und Überwachung (das Panoptikum ist der Modellfall davon) erzeugt wird, folgert Deleuze für die Kontrollgesellschaft: »Dagegen sind die verschiedenen Kontrollmechanismen untrennbare Variationen, die das System einer variablen Geometrie mit numerischer (das heisst nicht notwendig binärer) Sprache bilden. Die Einschließungen sind unterschiedliche Formen, Gussformen, die Kontrolle jedoch sind eineModulation, sie gleichen einer sich selbst verformenden Gussform, die sich von einem Moment zum anderen verändert, oder einem Sieb, dessen Maschen von einem Punkt zum anderen variieren.«

Die Analogien in der Argumentation sind deutlich: Wie für Haraway und Manovich, so ist es auch gemäß Deleuze nurmehr der Code, der als neue Sprache zählt und Individuen »dividuell« machte. Beide Gesellschaftsformen vergleicht er mit Tieren: Der Maulwurf sei das »Tier der Einschließungs-Milieus, während das der Kontrollgesellschaften die Schlange ist.« »Der Mensch der Disziplinierung war ein diskontinuierlicher Produzent von Energie, während der Mensch der Kontrolle eher wellenhaft ist, in einem kontinuierlichen Strahl, in einer Umlaufbahn. Überall hat schon das Surfen die alten Sportarten abgelöst.« Fluidität ist zum dominanten Prinzip des postindustriellen Kapitalismus und dessen Subjekten geworden und sie leitet sich, auch bei Deleuze, aus dem Prinzip der Numerik ab. Und so wie Castells oder Haraway, macht auch Deleuze deutlich, dass es sich bei diesen Transformationen nicht nur um »eine technologische Entwicklung, sondern eine

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Dandy Dust (Scheirl, Hans), 1998Dollspace (da Rimini, Francesca)Host (Lucas, Kristin), 1997

tiefgreifende Mutation des Kapitalismus« handelt. Deleuze, der sich zwar auf die Begrifflichkeit der Computer Science stützt, weist klar darauf hin, dass es sich bei diesen Phänomenen um Effekte kapitalistischer bzw. neoliberaler Politiken handelt, um Effekte also, die in einem längeren historischen Zeitraum gesehen werden müssen, in dem immer wieder die ›Maschinen‹ oder Cyborgs für bestimmte sozio-ökonomische Konzepte gestanden sind.

Bei diesen Prozessen, und wie die bisher diskutierte Kunst anzeigt, geht es dabei immer wieder um die Frage, was diese Umwandlungsprozesse für die Menschen bedeuten und was für Subjekte sie hervorbringen. So identifiziert auch Sobchack den Morph nicht nur mit dem Informationszeitalter, sondern auch mit neuartigen Subjektsentwürfen. Sie schreibt: »At the same moment, its very fluidity destabilizes dominant Western metaphysics (primarily focused on essences, categories, and identities, including those of gender and race) and dramatizes instead a ‹process metaphysics› that is less about ‹being› than about ‹becoming›.« [18] Donna Haraway spricht von »Cyborg-Subjektivitäten«, oder von»FemaleMan«, Rosi Braidotti von »Monstern« und Gilles Deleuze/Félix Guattari von »Werden« statt Sein. Alle diese Subjektentwürfe gründen auf Konzepten von Fluidität, Transformation und Mutation. Es sind Körper- und Subjektkonzepte, die den Herrschaftsverhältnissen der Informationsgesellschaft entspringen, sie verkörpern und symptomatisieren, sie sind aber gleichzeitig auch deren widerständige Durchquerungen und Effekte. Die ProtagonistInnen, die in Medienkunstprojekten wie »Dandy Dust«, »I.K.U.«, »Dollspace« oder »Host« auftauchen, verkörpern solche widerspenstigen und dystopisch/utopischen Cyborgs. [19]

Die fluide Weiblichkeit des Informationszeitalters

Ein weiterer Aspekt in dieser Debatte um die fluiden digitalen Körper kommt hinzu, wenn wir die damit verhängten Geschlechterbilder betrachten. Es zeigt sich nämlich, dass die fluiden (Techno-)Körper und -Subjektivitäten in der Repräsentation und Rezeption häufig mit Weiblichkeitsbildern analogisiert werden. Das unheimlich Wuchernde und unkontrolliert Reproduktive deckt sich mit unbewussten

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Vorstellungen von Mütterlichkeit. Als Modellfall wird dabei immer wieder auf den Film »Terminator 2« verwiesen. In diesem Film stehen sich der flexibel-fluide Cyborg T-1000 und der stahlharte Terminator (Arnold Schwarzenegger) als Kontrahenten gegenüber. T-1000 vertritt das Böse, während sich Schwarzenegger in diesem Film im Gegensatz zum vorgängigen »Terminator 1« zum menschenrettenden Cyborg gemausert hat. T-1000 ist ein gefährlicher Widersacher, weil er – ungleich kleiner, schmächtiger und flexibler – sich in unvorhersehbare Zustände und Körper morphen kann. Er passt sich Extrembedingungen permanent an, ist einmal messerscharfe Waffe, dann zusammenbrechender Körper oder koagulierende Flüssigkeit, die zu neuer Gestalt fusioniert. Der T-1000 scheint keine Wesenheit, sondern reiner Informationscode. Deshalb ist er immer wieder als Repräsentant elektronischer Technologie und damit des Informationszeitalters interpretiert worden, das gegen das anachronistische, bereits rührend-klumpig und ungefährlich gewordene Industriezeitalter ankämpfen würde. [20] Am Schluss enden beide Terminator-Typen in einem flüssigen Stahlbad, derT-1000, damit das Böse vertilgt wird, der Terminator, damit seine Cyborghaftigkeit nicht die Reinheit und Natürlichkeit der Menschheit gefährdet. Dass der Sieg des Menschen und des Anachronistischen über das technisch Neue nur ein vorläufiger ist, macht der nachfolgende Film »Terminator 3« vollends klar: Hier ist der fluide Morph wiederauferstanden, diesmal in weiblicher Gestalt, und sie wird am Ende auch nicht mehr ausgelöscht werden, sondern als tödliche Bedrohung weiterschwelen. In der dekonstruktivistischen Rezeption wurde der Cyborg T-1000 immer wieder als ein weibliches Prinzip interpretiert, und dies obwohl T-1000, außer in einer kurzen Sequenz, in der er auch zu einer Frau wird, hauptsächlich in männlicher Gestalt auftritt. ›Weiblich‹ ist das, was morpht, zerfließt, wiederaufersteht, was reiner fluider und immaterieller Informationscode, antihumanistisch und schwächlich ist. [21] Mit anderen Worten: Der Kampf der beiden Maschinentypen wird ebenfalls als Allegorie zweier ökonomischer Gesellschaftsformationen gelesen, aber als eine, die sich über die Geschlechtermatrix in Szene setzt und damit die Krisen

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und Neukonstitutionen von Subjektivität mitverhandelt. Mit den vielfältigen Herausforderungen des Informationszeitalters kommen die androzentrischen Fantasien »einer wasserdichten Einheit« (Haraway) buchstäblich ins Fließen oder führen buchstäblich zu Auflösungen.

Alle genannten AutorInnen weisen auf Klaus Theweleits Untersuchung der Freikorps-Männer in seinen beiden Bücher »Männerphantasien I und II» ab. Theweleits wegweisende Analyse zur Psychopathologie des Faschismus zeigt diesen als Grenzfall des Patriarchats, dessen Ziel es ist, ›Männlichkeit‹ über die Vorstellung eines unverwundbaren, ganzen Körpers, als Norm von Subjektivität zu installieren: Das männliche Subjekt spaltet, um dieses Phantasma des ganzen, stabilen ›Körperpanzers‹ aufrecht zu erhalten, alles, was diesen gefährden könnte, als gefährliche weibliche Flut- und Fließphantasie von sich ab. Der Knotenpunkt, auf den diese Beschreibung setzt, ist das von Theweleit, aber auch von anderen feministischen Theoretikerinnen herausgearbeitete kulturelle Imaginäre, das Weiblichkeit mit dem Flüssigen, dem Monströsen und dem Mütterlich-Abjekten identifiziert. [22] Das ›Ich‹ ist in permanenter Konfusion mitGrenzen: Das Bild des Fluiden versinnbildlicht sowohl die Bedrohung, die dem Körperpanzer durch das Fließende geschieht, als auch dessen buchstäbliches Zerfließen. Damit wird nun deutlich, dass es sich mit diesen Bildern auch um Repräsentationen eminent psychischer Verfassungen handelt, um Krisen und Symptome, die um die Knotenpunkte von Ermächtigung und Entmächtigung kreisen, um Kohärenz und Auflösung, um den Verlust der Grenzen.

Die Gemeinsamkeit zwischen faschistischem Körperpanzer, Cyborg und fluidem Morph liegt darin, dass man ihnen kein ›Ich‹ attestiert, dass sie reine Hüllen und Fleischpakete sind, in permanenter Konfusion mit Grenzen: »Es [das wahrnehmende Subjekt] befindet sich ebenfalls in einer Art Auflösung. Dieser Vorgang, in dem der Tötende wie sein Opfer ihre Grenzen verlieren und eine Verbindung eingehen, in der eine halluzinatorische Wahrnehmung vorherrscht, die den Mann in einen Trancezustand versetzt, scheint das wirkliche Ziel der Angriffe zu sein.« [23] Theweleit vergleicht diese Prädisposition zur »Auflösung der Personengrenzen« mit der Angst vor der Zerstückelung, die das Kleinkind durchmacht, und der

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Lust nach Verschmelzung in der präödipalen Phase der Mutterbeziehung. Theweleits Analyse der Mutter-Kind-Beziehung entspricht dem Begriff des »Abjekten«, wie er von der französischen Psychanalytikerin Julia Kristeva entwickelt wurde und davon abgeleitet oft auch für die Kultur- und Subjektanalyse verwendet wird. Für Kristeva ist der mütterliche Körper das Abjekte, mit dem es in einer permanenten Grenzkonfusion steckt. Monströs ist also nicht mehr das vom Einen (Männlichen) abgespaltete Andere (Weibliche), sondern vielmehr die Unabgespaltenheit und Vermischtheit. Die Andersheit enthält immer auch das Eine, die flexible Mutabilität ist immer Körperpanzer und dessen Zerfließen. Die gemeinsame Auflösung der beiden gegensätzlichen Typen im Ort liquider Ursprünglichkeit sowie ihre variable Serialität weist sie als prinzipiell von der gleichen Art Seiende aus. Nur so erklärt es sich, dass T-1000 und mit ihm sehr viele digitale Bildfindungen weniger ein »weiblich-ekliger Morast« sind, wie Mark Dery in Anschluss an Theweleit sagt, sondern eine gereinigte, metallische, künstliche Flüssigkeit.

In vielen digitalen Bildentwürfen überlagern sich die dualen Prinzipen: Das, was bisher das ›Natürliche‹ war, das Offenheit und Wohlgefühl oder umgekehrt Ekel und Faszination erregende Prinzip von Flüssigkeit und Durchlässigkeit, ist etwas völlig Undurchdringlich-Geschlossenes und Künstliches, aber nie Fixiert-Starres, sondern unaufhörlich Bewegliches und Oberflächenhaftes, nach Außen Verkehrtes geworden. Das Konzept der ›Natur‹,wofür gemäß Theweleit fluide Weiblichkeit steht, ist zu einer zweiten, künstlichen, (männlich) programmierten Natur mutiert, die noch immer Assoziationen an eine fluide Weiblichkeit wachhält.

Diese Überlagerungen erklären, dass in den neueren Computeranimationen Yves Netzhammers etwa das Sujet eines scheinbar konventionellgeschlossenen Puppenkörpers ins Zentrum rücken kann, gleichzeitig aber reine variable Oberfläche ist und damit dem Konzept des geschlossenen Körperpanzers völlig widerspricht. [24]

Die monströse Mütterlichkeit der Überwachungstechnologie

Auch in Björn Melhus' digitaler Videoinstallation »Departure – Arrival/Arrival –

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Come to Daddy (Cunningham, Chris), 1997

Departure« kommen die Fantasien der Überlagerungen eines sexuell ausgelöschten, kompakten Puppenkörpers mit denen einer monströs wuchernden Reproduktionskraft zusammen: In einer Doppelvideoprojektion fallen Körper rhythmisch herab. Gegenüber in einer Glasvitrine befinden sich je zwei LED-Leuchttower, die wie eine geheime Steuerungszentrale wirkt. Die laut aufschlagenden, kommenden und gehenden Körper wirken desexualisiert, ohne Geschlechtsorgane und ohne Nabel. Manchmal bläht sich der Bauch plötzlich, als wenn er schwanger wäre oder zu wuchern beginnen würde.

Dass das verdeckt Monströse einerseits mit der Entstellung von Geschlecht, andererseits mit einem mütterlichen Bauch konnotiert wird, ist weder Zufall noch Einzelfall: Es verbindet die Fantasie von neuen Reproduktionsmöglichkeiten ohne Mutter und bindet das Reproduktive gleichzeitig fantasmatisch an Mütterlich-Abjektes. Der Horror liegt im Zusammenprall eines grenzenlosen Mütterlichen bei gleichzeitiger Auslöschung von Sexualität und Weiblichkeit. Neben vielen der in »Cyborg Bodies« diskutiertenkünstlerischen Beispiele taucht diese Fantasie vor allem im Horrorfilm auf, z.B. in »Alien« oder »Tetsuo«. Die Filmtheoretikerin Mary-Anne Doane schreibt dazu: »Technology promises more strictly to control, supervise, regulate the maternal – to put limits upon it. But somehow the fear lingers – perhaps the maternal will contaminate the technological. For aren‘t we now witnessing a displacement of the excessiveness and overproliferation previously associated with the maternal to the realm of technologies of representation, in the guise of the all-pervasive images and sounds of television, film, radio, the Walkman?« [25] Die mütterliche Fähigkeit der Reproduktion ist auf eine allmächtige (Medien-)Technologie übergegangen, die Monster hervorbringt, die ihrerseits wieder für das Monströse neuer Technologien und Ökonomien steht.

Diese Fantasie taucht explizit auch in Chris Cunningham's Musikclip »Come to Daddy«

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auf, in dem ein Fernseher ein Monster gebiert. Die Ineinssetzung von Medienapparatur mit dem weiblich-mütterlichen Körper beziehungsweise mit dem Uterus und der Vagina ist, wie die Argumentation von Doane zeigte, nichts Neues. [26] »Come to Daddy« thematisiert aber auch Momente des Niedergangs androzentrischer Subjektivität und damit die Frage nach anderen Formen von Subjektivität. Es gibt eine signifikante Stelle, die von der Bedrohung des autonomen, ›weissen Mannes‹ kündet: In einem Parkhaus wird der einzige menschlich wirkende Mann von den brutalen Spielen der Mutantenkinder zu Tode erschreckt. Er setzt sich ins Auto – in einen stahlharten Sicherheitspanzer sozusagen – und fährt mit Vollgas ab. Obwohl er wie die Kinder einen Pferdeschwanz trägt, und so tendenziell einer von ihnen werden könnte, will er sich nicht mutieren lassen, sondern zieht die Autonomie und Isolation im Auto der hybriden Hordenhaftigkeit der Kinder vor. »Come to Daddy« arbeitet mit historisch tradierten Fantasien des sowohl Monströs- als auch Utopisch-Weiblichen [27] . Die Kinder sind viel eher Mädchen als Jungen, doch kommt es nicht zu Deckungen mit dem weiblichen Körper. Körper und Geschlecht sind vielmehr durcheinander, unbestimmt, variabel und mutierend. Damit inszeniert es sowohl das Überwältigende und alles Durchdringende von Medien- und Biotechnologien als es auch zukunftsversprechendeFluchtmöglichkeiten anvisiert. Als Schauplatz von Symptomen und Effekten des Spätkapitalismus bergen sie Momente der Kritik und Hoffnung, die viel mit Haraway's Cyborgkonzeption gemeinsam haben. Haraway's Cyborg-Mythologie konzipiert ja den Cyborgkörper als Effekt- oder Symptomkörper der ihn produzierenden Medien- und Biotechnologien. Der Körper ist bei Haraway, entsprechend dem Tenor von Michel Foucault, Abdruck und Effekt der diesen hervorbringenden Technologien der Macht. Die Cyborg ist, wie sie immer wieder sagt, »im Bauch des Monsters« [28] entstanden, unnatürlich, Effekt der Macht, die sich gegen ihre eigenen Konzeptionen wendet. Genau das wird hier latent suggeriert: Die Medien-Technologie produziert ihre eigenen Devianzen, d.h. unberechenbare Monster, die sich gegen sie selbst richten können. In diesen huschenden Gestalten ist ein organischer Rest verkörperlicht, der vom abgewrackten Fernseher weder aufgezeichnet noch geteilt werden kann. Und insofern ihre Rudelhaftigkeit Kontexte aufscheinen lässt, die jenseits sturer heterosexueller Normen liegen, erscheinen sie als höchst lebendige Geschöpfe der monströsen Jetztzeit, die ihre Monster gebiert.

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Wucherungen und Exzesse

Die tätsächliche Dekonstruktion der naturalisierten Beziehung zwischen Frau, Technologie und Monster bieten aber erst die Künstlerinnen Lee Bul und Patricia Piccinini. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit geht es thematisch bei beiden um die Frau als kontrollierbarer Techno-Cyborg und als unkontrollierbares, wucherndes animalisches Monster. Man könnte sagen, dass Lee Bul den ästhetischen Subtext des geschlechtlich Unbewussten von alten und neuen Medien und Technologien umsetzt. Sie inszeniert dabei das Gegensätzliche der beiden Fantasien des geschlossenen und wuchernden, monströsen und cyborghaften Körpers als gewissermaßen einer Basisfantasie entsprungen. Dass dabei nebst Anspielungen auf Manga und Anime auch auf historische, wie etwa die Werke von Hans Bellmer oder die Surrealisten gemacht werden, enthüllt die in steter Re-artikulation begriffenenen Imaginationen als Universalien sich wiederholender Ängste.

1997 begann Lee mit der Produktion verschiedener Cyborgs. Die Serie »Cyborgs W1-W4« sind Skulpturenaus Silikon, die fragmentierte Frauentorsi mit glatter und geschlossener Oberfläche zeigten. Die überhöht ästhetisch wirkenden Inszenierungen der erotisierten mechanischen Frau der Avantgarde und der Cyborgs aus dem Manga sind gleichzeitig kaputt und verwachsen und verwehren einen eindeutig fetischisierenden Blick. Sowohl ihre aufzupumpenden Monumentalskulpturen aus Plastik mit einer asiatischen Schönheit darauf als auch die menschengroßen Skulpturen »Monster: Pink« und »Monster: Black«, die wie wuchernde Geschwüre wirken, sind Auseinandersetzungen mit Projektionen des Monströs-Wuchernden-Weiblichen. Sie erinnern an Vorstellungen des Abjekten, an eine hysterische Ausbreitung ohne System und Organisation. Es ist der reproduktive Aspekt des mütterlichen Körpers, der hier inszeniert und mit Kabeln, mechanischen Teilen und Drähten ineinander gewickelt wird. Dass Lee dies ganz bewusst tut, zeigt eine Performance, in welcher sie sich ein rot angemaltes wucherndes Gebilde anzog und damit auf den Strassen herumlief. Sie zeigte sich lustvoll schwanger mit der Fähigkeit zum gruseligen Wuchern.

Lee Buls Arbeit macht klar, dass die Angst vor

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The Mutant  Genome Project (Piccinini, Patricia), 1994

weiblicher Monstrosität und ihrer Fähigkeit zur Reproduktion trotz neuer Technologien, die diese (Reproduktions-)Fähigkeiten zu übernehmen scheinen, nicht überwunden ist. Es wird vielmehr deutlich, dass das Monströse des Techno-Sozialen auf das Weiblich-Mütterliche projiziert wird. Dadurch, dass sie das Fürchterlich- Aggressive und Überbordend-Disseminierende dieser techno-organischen Gebilde in Szene setzt, enthüllt sie die Strategien der Verschiebungen psychosozialer Ängste auf den monströsen, sexualisiert oder desexualisierten mütterlichen Körper ohne aber selbst eindimensionale Schließungen zu wiederholen. Obwohl Lee Buls Arbeit klar auf die Reproduktionsfantasien in Bio Engineering und neuen Medien verweist, verortet sie selbst ihre Arbeit in traditionellen Medien, insbesondere in Skulptur und (Video-)Installation. Diese mediale Distanz erlaubt es, das Augenmerk auf den fantasmatischen Aspekt zu richten. Die auffallend glatten, kompakten und undurchdringlichen Oberflächen dieser scheinbar nach außen gekehrten ›Innereien‹ haben bei aller medialen Differenz auch viele fantasmatische Gemeinsamkeiten mit denpermanent mutierenden und und fluidisierenden Bildern, wie wir sie aus der Praxis des Morphings kennen, wo es ebenfalls nur noch mutierende Oberflächen ohne ein Innen, ohne Durchlässigkeiten gibt. So wird evident, dass es nicht nur fantasmatische Gemeinsamkeiten zwischen der fetischisierten Cyborgfrau und dem hässlichen Monster gibt, sondern auch, dass der scheinbar so radikale Unterschied zwischen dem verschlossenen Cyborg- und dem offenenen und wuchernden Monsterkörper kein fundamentaler ist.

Die Frau und ihr Monster: Das Geschlecht

Die Dekonstruktion von Monster und göttinnengleichem Model als Produkte derselben Fantasie von perfekter Kontrolle und Unkontrollierbarkeit setzt Patricia Piccinini in Szene. 1994 begann sie mit ihrer Serie »The Mutant Genome Project«, für das sie die 3D animierte Figur »LUMP« (lifeform with relating to genetic engineering and ›consumer medicine‹) kreierte. LUMP bedeutet auf Deutsch Klumpen, Geschwulst, Masse, ist aber bei Piccinini ein kitschiges Puppenwesen aus der Konsumkultur. Es erscheint durch und durch

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Protein Lattice (Piccinini, Patricia), 1997

synthetisch und irgendwie vertraut. In Serien wie etwa »Psycho« brachte Piccinini die in Australien bekannte TV-Persönlichkeit Sophie Lee ins Bild und ließ sie den missgestalteten, aber niedlich aufgemaschelten LUMP wie ein Kind im Arm halten. Wie die ›Mutter‹,so ist ihr LUMP immer schon Fetisch: Monster und Göttin als Projektionen derselben Fiktion des A-Normalen – Ideal und Verworfenes – und dessen völliger Verdrängung und Auflösung in der glatten, durchkalkulierten Oberfläche. In der 1997 begonnenen Foto- und Videoserie »Protein Lattice« tragen schöne weibliche Fotomodels jene durch die Medien bekannt gewordene Maus, der man auf dem Rücken ein menschliches Ohr wachsen ließ. Diese nackte Hybridmaus mit ihrer gigantischen Ohrmuschel und der unheimlichen Öffnung ins Innere des Körpers weist auch auf das weibliche Genital und nähert sich durch die inszenierte Nähe zum Model diesem buchstäblich an: Beide sind monströse Cyborgs.

In den Jahren 2000–2001 entwickelte Piccinini das Projekt »SO2«. Die SO2 (synthetic organisms 2) sind eine Art haarlose Maulwürfe oder Embryos – Hybride zwischen nicht entwickeltem Mensch und Tier, diePiccinini in ihren digitalen Fotografien oder gar im Zoo auftauchen ließ. In der Fotografie »Waiting for Jennifer« sitzt ein junger Mann am Steuer seines Autos, neben ihm hockt tolpatschig hingelümmelt eines dieser nackten Monster. In der SO2-Serie gibt es keine weiblichen Geschöpfe mehr, sondern nur noch Monster und Männer. So hocken in »Social Studies« etwa drei kleine Rollbrett fahrende Jungs auf dem Boden und bestaunen ein Monster, das auf dem Parkplatz herumläuft, oder in »Kick Flip Ollie« sieht man ein solches Tier unbemerkt an den Jungs vorbeihuschen. Prekär an dieser Fotoserie ist, dass diese Monster bereits an Terrain gewonnen zu haben scheinen und zum Alltag gehören. Assoziationen zum Gewimmel von Mäusen und Ratten drängen sich auf, zu einer nicht endenden formlosen Masse von Fleisch und Haut. Nicht nur deshalb, weil die Frau in weiblicher Gestalt so offensichtlich abwesend ist, sondern darüber hinaus auch deshalb, weil diese formlos nackten, obszön anmutenden, potentiell unendlich wimmelnden Monstertiere eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Wuchernd-Abjekt-Mütterlichen haben, drängt sich die Vermutung auf, dass diese zwar hässlichen,

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aber irgendwie auch nett erscheinenden Monsterchen den Platz ›von Jennifer‹ eingenommen hätten.

Weder bei Piccinini noch bei Bul liegt der Schrecken in den weiblich scheinenden Mutationen und Monstern, den Geschlechterkonfusionen oder der unkontrollierbar gewordenen mütterlichen Reproduktionskraft. Das Monströse liegt vielmehr in der völligen Synthetisierung von Welt und der total gewordener Relativität zwischen undurchlässiger Kompaktheit einerseits und völliger Offenheit und Nackheit andererseits. Damit stehen diese Enwürfe im Kontext der aktuellen Fluiditätsfantasien des digitalen Zeitalters, die weiter vorne diskutiert wurden. Im Gegensatz zu den meisten diskutierten Arbeiten machen sie jedoch die symptomatischen Verschiebungen von Weiblichkeit, Fluidität, Digitalität und Monstrosität evident.

Zusammenfassung

Ansatz dieses Kapitels war es, am Beispiel unterschiedlicher medialer Inszenierungen den Fantasien eines ver-rückten und/oder fluiden künstlichen Geschlechtskörpers auf die Spur zukommen und als Knotenpunkt der Auseinandersetzung mit monströs gewordenen Technologien und Subjektverhältnissen zu lesen. Bei den Inszenierungen wurde vor allem die Überlagerung zweier, scheinbar gegensätzlicher Körper- und Geschlechterkonzeptionen augenscheinlich: Es gibt einerseits die Vorstellung eines geschlossenen, perfekten und wundenlosen ganzen Körpers, dessen homogene und kompakte Oberflächen keinerlei Schnittstellen zu einem Innen enthalten. Menschliche Charakteristika wie Nabel und Körperöffnungen fehlen, die Körper erscheinen entweder geschlechtslos oder oberflächlich geschlechtlich markiert, wobei die geschlechtsdifferierenden Merkmale wie Genitalien, Brustspitzen oder Körperhaare oftmals ausgelöscht sind. Ob skulpturaler Körperpanzer oder seriell entindividualisierter Datenklon – die Repräsentation geschlechtlicher Wesenlosigkeit oder Verrückung, kombiniert mit der Vorstellung eines luft- und wasserdichten, alterslosen Körpers ohne die ›Wunden‹ der Geschlechtertrennung und der Abnabelung vom mütterlichen Körper hält sich mit einer auffälligen Konstante zur Visualisierung von Cyborgs, Mutanten,

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Replikanten, Monstern oder Hybriden. Dieses Modell signifiziert häufig ›Männlichkeit‹ insofern, als die Neutralität des Geschlechts mit einer Art universalem, männlichen Geschlecht konnotiert wird. [29] Neben diesen verschlossenen Körpern zeigen sich andererseits Figurationen mit einem Hang zur Offenheit, zu permanentem Wandel, zu einer wuchernden, monströsen Transformationskraft, die nur noch mutierende, fluide Oberfläche scheint. Dieses Modell konnotiert, da generativ, monströs und fluide, ›Weiblichkeit‹. Beide Modelle können getrennt erscheinen, doch häufig überlagern sie sich, so dass beide Vorstellungen gleichzeitig vorhanden scheinen. Diese Überlagerungen wecken die Assoziation, dass sich eine monströs-mütterliche Reproduktionskraft des ›männlichen‹ Modells bemächtigt hätte. Die Vereinnahmung menschlicher ›Natur‹ durch Technik, das Ende von Durchlässigkeit und geschlechtssspezifscher Reproduktionskraft signifizieren beide. Da, wo nicht mehr von Müttern geboren wird, machen Geschlechtsteile und Körperöffnungen keinen Sinn mehr; bzw. umgekehrt, da wo die Geschlechtsteile verrückt sind, kann eskeine natürliche Reproduktion mehr geben. Und da, wo es keine Öffnungen gibt, sondern nur Ausstülpungen und Verkehrungen, fluide, sich multiplizierende und variierende Oberflächen, da gibt es auch kein Innen mehr. Ein Körper, der von Maschinen abstammt, ist selbst im Begriff, Maschine zu werden. Ein solcher Körper braucht keine Flüssigkeiten mehr, die ihn durchströmen, die in ihn eindringen und sich aus ihm ausscheiden. Ein solcher Körper ist selbst Maschinenfluidum geworden, digitale Liquidität.

Zentrale Bedeutung kam in unserer Diskussion den digitalen Medien zu, deren numerische Grundstruktur nahtlose, homogene und fluide Oberflächenästhetiken hervorbringt und Analogien zur biotechnologischen Machbarkeit suggeriert. Sowohl unsere Diskussion der technischen Voraussetzungen als auch die mediale Breite der analysierten Arbeiten hat jedoch gezeigt, dass die wiederholte Thematik der Homogenisierung und Fluidisierung des Körpergeschlechts nicht nur aus den neuartigen technischen Möglichkeiten der neuen Medien-Technologien resultieren kann, sondern dass es dabei einerseits um Basisfantasien gehen muss, die mit jedem Medium wiederkehren, und andererseits um

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spezifische historisch-technische Konditionen, die semantisch mit jedem Medium verhandelt werden können. Wenn wir davon ausgehen, dass der ver-rückte Geschlechtskörper den Schauplatz der Subjektverhältnisse des Informationszeitalters und seiner Ökonomien abgibt, dann legen diese wiederkehrenden Fantasien folgende Schlüsse nahe: Die beiden Körpermodelle – der geschlossene und der offenfluide – verhandeln die beiden Formen der Kontrolle, wie sie am Beispiel von Deleuze' Text »Postscript on the Societies of Contro«l diskutiert wurden. Während das geschlossene Körperpanzer-Modell die älteren Modelle von Disziplinierung, Einschließung und Abschließung verhandelt und gleichzeitig nochmals das Bild des individuellen ganzen Körpers aufzurichten versucht (»der Maulwurf«), repräsentiert das zweite Modell die neuen Formen der Kontrolle, wie sie die »Informatik der Herrschaft« generiert (»die Schlange«) und gleichzeitig die Möglichkeit, dass etwas aus der Kontrolle geraten und monströs zu wuchern beginnen könnte. Diese Wirkungen und Ambivalenzen der Inszenierungen werden nicht unwesentlich über dielatenten strukturellen Geschlechtszuschreibungen gesteuert und helfen letztlich mit, dass unbewusst die Geschlechterkrisen wichtiger werden als die realpolitischen Referenzen. Die Bezugnahme auf Theweleit hat gezeigt, dass es bei den dominanten Vorstellungen, die um den fusionierend-verschlossenen oder umgekehrt oberflächenhaft-fluiden Körper kreisen, nicht um naturalistisch-mimetische Abbilder akuter Menschwerdungen handelt, sondern um imaginäre Fiktionen, die geschlechtsspezfisch fundiert sind. Wenn man aktuelle Stammzellenforschung an menschlichen Embryonen sowie die Versuche zur künstlichen Befruchtung betrachtet, wenn man in Augenschein nimmt, dass die Reproduktion auch historisch betrachtet eines der härtest umkämpften politischen Felder war und ist und wenn man sieht, dass die Reproduktion sich von der Frau ablöst, dann sind solche Angstfantasien nicht unbegründet. Und dann sind auch künstlerische Produktionen, die danach fragen, wie man mitreden kann, wenn es um die Entwerfung des Menschen von morgen geht, angebracht. Als problematisch erachte ich lediglich, dass viele Arbeiten gar nicht so weit gehen, sondern in

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den Inszenierungen psychischer und latent geschlechtsspezfischer Befindlichkeiten steckenbleiben und damit der Naturalisierung von gesellschaftlichen Verhältnissen Vorschub leisten. Damit wird deutlich, dass sogar für diese neuen Formen von Macht und Kontrolle, wie sie Deleuze oder Haraway fassen, immer noch stark auf alte Repräsentationen von Unterdrückung und Entindividualisierung zurückgegriffen wird: Das Ende des ganzen (männlichen) Körpers und seiner Geschlechtlichkeit und das Auftauchen einer weiblich-minoritären Kraft, die Regeln außer Kraft setzt. Auch zeitlich lässt sich eine gewisse Tendenz festmachen, dass zu Beginn und Mitte der 1990er Jahre die Angst vor Entmenschlichung zumeist in diesen desexualisierten oder geschlechtlich konfus gewordenen (Puppen-)Hüllen ohne Organe ausgedrückt wurde, während sich in den letzten Jahren vermehrt Bilder von mikrokosmischen, fluiden Entitäten breit zu machen beginnen. [30]

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