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Heimerdinger: Meine ursprüngliche Motivation für die Arbeit »Interiors« war, zu untersuchen, inwieweit der Horror oder die psychologischen Nuancen der Filme in den Sets schon drinstecken - was natürlich der Fall ist. Ich wollte aber sehen, wie weit das geht. Ich habe also die Räume, die als Hintergründe für die Aktion dienen, für die Betrachtung freigemacht. Eigentlich wollte ich in die Sets gehen, um vor Ort zu fotografieren, aber das war einfach nicht möglich. Das wäre viel zu aufwändig und langwierig geworden und ich fand den Weg über den Film selber dann interessanter.
Daniels: Die Erfahrung zeigt auch, dass die professionelle Standfotografie immer ein anderes Bild der Szene zeigt. Das ist nie identisch mit dem, was im Film zu sehen ist.
Heimerdinger: Ja, und hier kommt ja auch noch die Erinnerung des Betrachters mit hinein. Die Räume kommen einem ja auch vertraut vor, weil man den einen oder anderen Film gesehen hat.
Daniels: Es ist das Gefühl, als wäre man schon mal da gewesen oder hätte den Raum schon mal gesehen, und man weiß aber nicht mehr, wo und wie. Das ist ein interessanter fiktionaler Sprung. Man denkt sogar, man hat das erlebt, weil man den Film gesehen hat. Woher kommt also diese Erinnerung?
Holschbach: Hier könnte man auf die Differenz Standbild/Bewegtbild zu sprechen kommen. Bei den »Interiors«wird ja etwas gezeigt, was sich im Kino meist der Wahrnehmung entzieht. Man hat vielleicht eine Ahnung davon, kann es aber nicht genau festmachen. Das aus dem Film entnommene Standbild ermöglicht nun eine Analyse dessen. Kaja Silverman schreibt zu der Differenz von Film und Fotografie, dass der Film immer mit Amnesie verbunden ist: ein Bild löscht das vorhergehende aus. Die Fotografie ist dagegen ein analytisches Instrumentarium, mit dem ich etwas zerlegen kann.
Daniels: Daran will ich anknüpfen, und zwar auf einer allgemeineren Basis: In den 90ern ist die Auseinandersetzung mit Kino in der Bildenden Kunst eine Art Leitmotiv gewesen.
Es gab 3-4 wichtige Ausstellung, die ein breites Spektrum an Kunst, die sich auf das Kino bezieht, vorgestellt haben. Ist das ein Boom oder wie erklärt man sich das? Da scheint es doch so eine Art analytisches Interesse der Kunst an der großen Fiktionsmaschine zu geben.
Heimerdinger: Ja, dieser Boom hatte sicherlich mit dem Jubiläum 100 Jahre Film zu tun; ich denke, dass das eigentlich ein Trend war, der wieder in der Versenkung verschwunden ist.
Peters: Aber reicht das Jubiläum als Begründung? Es ließe sich doch darüber spekulieren, ob das mit der Frage nach analoger oder digitaler Technik zu tun hat. Während im Mainstreamkino der filmische Apparat immer mehr durch Digitaltechniken überlagert wird, werden die Materialitäten des klassischen Kinos mehr und mehr musealisiert.
Daniels: Oder Fragen, die in der Fotografie schon gestellt wurden, erfahren eine Erweiterung, die tatsächlich mit dem bewegten Bild dann umgesetzt wurde. Ich denke hier an Arbeiten von Cindy Sherman oder Jeff Wall aus den 70er und 80er Jahren. Meiner Ansicht nach geht es um dieBegegnung zweier großer Dispositive: die kulturelle Form des Kinos trifft mit der des Ausstellungsobjektes zusammen. Dazwischen gibt es 100 Jahre lang nur wenige Berührungspunkte und sie funktionierten und funktionieren auch heute noch nach ganz verschiedenen Prinzipien: Das Kino hat ein Massenpublikum und finanziert sich durch Eintrittskarten, während sich die Kunst durch verkaufte, singuläre Objekte trägt. Schon auf der ökonomischen Seite kommen die eigentlich nicht zusammen. Es ist kurios, dass Filme von Künstlern einzeln als Unikate verkauft werden, die eigentlich in Kinos laufen könnten. Und mit einem Mal haben diese zwei Formen Interesse aneinander gefunden.
Peters: Aber traditionellerweise hat die bildende Kunst das Standbild favorisiert; deshalb möchte ich jetzt mit einer leichten Verschiebung fragen: Was macht das Interessante des Filmischen für das Fotografische aus? Wie kann man aus der Tradition des Standbildes heraus das Bewegtbild reflektieren? Hier geht es meines Erachtens nicht um die Rolle des Kinos in der bildenden Kunst, sondern um die Differenz von
Bewegtbild und Standbild. Und was hat die Figur des Schauspielers damit zu tun? Du arbeitest ja nicht mit der Essenz des Kinos, sondern mit allem, was zur Rahmung und zum Format gehört.
Heimerdinger: Ich versuche mich immer mehr dem Label Kino zu verweigern. Natürlich kommt alles von Hollywood; aber thematisch habe ich mich immer mehr davon weg entwickelt.
Holschbach : Thomas Trummer schreibt über Deine Arbeit »Waiting Acting Waiting« (2002) mit dem Schauspieler Wolfram Berger , dass in dem Part, wo Berger das Warten bewusst spielt, ihn dieses Spiel gegenüber der Kamera emanzipiert. Das Spiel gibt ihm mehr Kontrolle über das mediale Verhältnis. Das Schauspiel wäre das, was man dem Kamerablick überhaupt entgegensetzen könnte. Wenn ich von einer voyeuristischen Perspektive aus gefilmt werde, habe ich diese Möglichkeit nicht.
Heimerdinger: Deshalb musste ich Ihn ja auch um Erlaubnis bitten, ob ich zeigen darf, was ich ihm da gestohlen habe.
Peters: Aber woran kann man die beiden Aufnahmesituationen unterscheiden? Ist es die Frage der Qualität des Schauspiels, die gespieltes und echtes Warten unterscheidbar macht? Im Idealfall nimmst du ja so professionelle Schauspieler, dass man über die Qualität nicht stolpern muss. Also wären die zwei Versionen des Wartens im Film im Idealfall tatsächlich ununterscheidbar. Wenn man die Auflösung bekommt, wann Berger spielt und wann er wartet, erscheint es im Nachhinein so evident, aber wenn man es ohne dieses Wissen betrachtet, könnte beides auch raffiniert gespielt sein. Das fand ich das interessante daran, dass sowohl das Spiel als auch der Film sich um einen authentischen Eindruck bemühen. Dadurch wird das so ununterscheidbar.
Heimerdinger: Vielleicht hätten meine Anweisungen an Wolfram Berger genauer sein müssen. Ich hätte sagen müssen: Spiel dich selbst beim Warten. Das habe ich damals nicht so formuliert.
Mit Nichtschauspielern habe ich lediglich eine Polaroid-Serie und meine ersten beiden Videos gemacht (Bildbeispiel) das Thema war aber auch damals schon das Spiel mit Pose und ›authentischem‹ Verhalten.
Peters: Ich finde interessant, dass die Idee, eine authentische Szene fotografieren zu können, immer mit der Idee zu tun hat, unbeobachtet zu fotografieren. Die Präsenz der Kamera verändert an sich schon die Szene. Nun könnte man, da man sich ständig unter einem Kamerablick der Überwachungskameras befindet, darüber spekulieren, ob das sich unter einem Kamerablick befinden möglicherweise zu einer Existenzweise werden könnte.
Holschbach: Das bringt mich auf den Begriff des Screen Tests Walter Benjamin hat ihn zum ersten Mal aufgebracht. (siehe: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen) Benjamin spricht davon im Zusammenhang mit dem Filmschauspieler, der nicht vor dem Publikum agiert, sondern vor der Kamera und der von der Kamera getestet wird. Roland Barthes hat mal so schön gesagt, dass wir mit der Fotografie als Medium einenSpiegel bekommen, der uns den Blick des anderen zeigt. Das ist etwas anderes, als wenn ich mich vor den Spiegel stelle und in dieses Verhältnis eintrete. Wir sind nicht nur immer mehr Kameras ausgesetzt, sondern agieren, zumindest unbewusst, immer auch vor einem Idealbild, das uns fotografisch und filmisch vorgespiegelt wird. Dieses neue mediale Verhältnis ist heutzutage schon soweit implementiert, dass man immer in Hinblick auf dieses Verhältnis agiert. Nur, wenn man das wirklich bewusst vollzieht, hat man die Möglichkeit, sich dem zu entziehen.
Daniels: Mir scheint es aber in der Arbeit, die wir gesehen haben, vielmehr um die Differenz zwischen verschiedenen Bildertypen zu gehen. Eigentlich ist hier die Funktion des fotografischen Bildes mit der des filmischen Bildes ausgetauscht: Einmal werden Filme in Einzelbilder zerlegt, wie es in der Fotoarbeit »Interiors« geschieht, oder es werden Dinge, die man normalerweise als Fotos erwarten würde, in bewegte Bilder übersetzt: zum Beispiel die Filmporträts von Schauspielern, die sie sich selbst in bestimmten Rollen betrachten. Ich frage mich nun, ob die verschiedenen
Funktionen von Fotografie als scheinbarem Rest-Ort des Authentischen und von Film als per se Fiktionalem in Ihrer Arbeit durch eine Art Rollentausch diese Irritation erzeugen.
Heimerdinger: In meiner Beobachtung ist beides austauschbar. Sie müssen sich vorstellen, dass ich bei keiner meiner Arbeiten weiß, was ich am Ende bekomme. Das ist natürlich bei einer filmischen Arbeit wie der improvisierten Liebesszene extrem gewesen, aber auch bei den Fotos weiß ich nicht, was ich am Ende bekomme.
Peters: Erstaunliche ist doch bei diesem 16 mm Film, dass sich allein schon durch die Geräusche des Abspielgerätes sofort ein Kinoerlebnischarakter einstellt. Einerseits gibt es die Versuchsanordnung oder Laborsituation mit den Schauspielern, die natürlich inszeniert ist, aber dann gibt es auch einen Ereignischarakter, den Du nicht mehr steuerst. Die Steuerung ist vorher gelaufen. Und man kann Deine Arbeit weder der einen noch der anderen Seite komplett zuschreiben: es ist kein wissenschaftlicher Film, aber auch kein Spielfilm.
Daniels: Die Schauspieler haben in Ihrer Arbeit die Freiheit, eine gewisse Eigendynamik zu entfalten. Ich wollte gerade schon behaupten, dass die Arbeit der Künstlerin hier die Arbeit einer Regisseurin ist, aber so etwas darf der Regisseurin ja gerade nicht passieren. Da wäre die einfachste Frage: Findet das alles nur einmal vor der Kamera statt? Es gibt keine Probe und keine Wiederholung der Szene?
Heimerdinger: Ja, es gibt nur eine Aufnahme, keine Probe. Daniels: Und wie lauten die Instruktionen, die Sie geben? Bekommen alle Schauspieler, bevor sie vor die Kamera treten, einen Zettel in die Hand, oder wird das eher locker verabredet?
Heimerdinger: Ich rede so viel wie möglich mit den Schauspielern vorher darüber, was ich mir vorstelle.
Daniels: Also es gibt eher die dialogische Form und keine schriftliche Drehanweisung.
Heimerdinger: Nein, dazu sind die Eingriffe ja auch zu minimal. Bei Wolfram Berger war das lustig: als er wirklich auf sein Spiel gewartet hat, mussten wir ihn irgendwie vor der Kamera halten. Und deshalb haben wir alle gespielt, nur er nicht. Der Kameramann hat gespielt, dass er das Licht einrichten muss und so weiter. Und während Berger da stand, gaben wir ihm dann Anweisungen: Jetzt zieh mal die Jacke aus, oder kuck mal da rüber usw.
Daniels: Beeinflusst es die Schauspieler, wenn sie Ihre Arbeit kennen und wissen oder ahnen, was da passieren wird? Gibt es schon so etwas wie eine Erwartungshaltung, dass man als Schauspieler von Ihnen überlistet wird? Oder versuchen die Schauspieler, das zu umgehen ?
Heimerdinger: In der Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Martin Glade aus Berlin ist die Beeinflussung gegenseitig gewesen. Viele Arbeiten sind mit ihm gemeinsam entstanden und mittlerweile kommt er auch mit seinen Ideen zu mir und sagt mir, wie er sich gerne zeigen möchte in meiner Arbeit.
Daniels: Das ist ja genau das, was in der so genannten objektiven Forschung nicht passieren darf: dass der Forscher sein Sujet verändert.
Holschbach: Das ist ja auch der Grundkonflikt in der Arbeit des Portraitfotografen gewesen: die Portraitierten haben ein Bild von sich im Kopf, das sie meist bestätigt sehen wollen, während der Fotograf alle möglichen Techniken und Tricks anwendet, um das vermeintlich Echte vor die Kamera zu bekommen. Den großen Portraitfotografen wird zugesprochen, dass ihnen das gelungen ist - die Frage, ob das ein Mythos ist, bleibt an dieser Stelle ausgesetzt. Die andere Möglichkeit, auf die ich angesichts der Arbeit gekommen bin, will ich Authentizität durch Dauer nennen: Dauer ist ein wesentliches Element, um Posen zu durchbrechen. Im Fotografischen oder Filmischen geht es immer auch um das Problem der Pose und des „echten Ausdrucks. Diese Arbeit mit der Dauer scheint hier als Methode auf, um doch noch diesen Ausdruck zu bekommen - einfach über die Zeit.
Heimerdinger: Ja. Das ist bei dem Video mit Martin Glade (»The space between us fills my hear with intolerable grief and impossible joy«) extrem, wo ich ihn gebeten habe, eine halbe Stunde zu lachen und dann eine halbe Stunde zu weinen und es dann eigentlich austauschbar wird. Da ist die gespielte Emotion irgendwann nicht mehr von der echten Emotion zu unterscheiden und auch die Emotionen vermengen sich.
Peters: Im Vergleich mit der fotografischen Arbeit, die Du den Videos gegenübergestellt hast (Bildbeispiel), in der Grimassen und Gesten von Glade festgehalten sind, zeigen sich sehr gut die unterschiedlichen filmischen und fotografischen Ausdrucksmöglichkeiten. Das Fotografische braucht immer eine Überspitzung, um überhaupt lesbar zu sein, während sich das Filmische in einer Dauer entwickelt und dadurch die Möglichkeit hat, mehr Momente des Unzutreffenden oder Misslungenen einzubauen und zu erhalten.
Heimerdinger: Das ist vielleicht mit dem Unterschied zwischen Theater- und Filmschauspiel zu vergleichen.
Frage aus dem Publikum: Die Bildspracheder Fotografin Nina Lüth, mit der Sie bei der Serie »Martin as« zusammen gearbeitet haben, ist ja recht bekannt und sehr eigenständig wie kam es zu der Entscheidung, mit ihr für die Serie mit Martin Glade zusammen zu arbeiten?
Heimerdinger: Wenn ich einen Film drehe, dann drehe ich den ja auch nicht selber, dann habe ich ja auch einen Kameramann. Ich war natürlich die ganze Zeit dabei. Ich könnte mir auch vorstellen, dieses Projekt mit einem anderen Fotografen zu fotografieren, aber mit demselben Schauspieler. Das würde bestimmt vollkommen anders. Es ist ein ähnliches Spiel wie mit dem improvisierenden Schauspieler, von dem ich nicht weiß, was ich bekomme. Martin Glade hatte sich im Vorfeld jedes einzelne Bild genau überlegt und zurechtgelegt. Er hat zum Beispiel gekocht und dann gegessen. Dabei war ihm sehr wichtig, was er kocht; nicht nur, dass gekocht wird, sondern was er kocht. Dieser gespielte Tagesablauf war fast wie eine rituelle Handlung.
Daniels: Es wird im Zusammenhang mit der digitalen Bildproduktion ja viel über den Tod der Fotografie und damit über den Verlust der Rolle des fotografischen Bildes als authentischem Abbild der Wirklichkeit geredet während das digitale Bild dagegen angeblich total manipulierbar und beliebig wird. Sie verwenden digitale Bildbearbeitung nur in den zwei ersten Arbeiten, die sie hier gezeigt haben. Trotzdem arbeiten Sie an der Frage der Authentizität, nur mit anderen Mitteln. Diese Fragestellung, die oft als eine mediale gestellt wird, – hier chemisch, dort elektronisch – , haben Sie in den Bildgegenstand verlagert. Spielen diese medialen Umbrüche in ihrem Denken trotzdem eine Rolle? Ihren Versuchsanordnungen sieht man ja, dass es schon vor der Kamera nicht authentisch zugeht, und dass somit die Frage nicht am Medium aufzuhängen wäre, sondern an dem, was vor dem Medium passiert.
Heimerdinger: Da kann ich gar nicht soviel dazu sagen. Es gibt ein sehr großes Repertoire an Medien und an Möglichkeiten innerhalb dieser Medien und ich habe immer zuerst die Idee und dann greife ich mir die technischen Möglichkeiten oder ein Medium, um dieseIdee zu verwirklichen. Mir geht es eigentlich nie in erster Linie um das Medium und seine Möglichkeiten, sondern eher um die Figuren und deren Möglichkeiten und um meine eigenen Möglichkeiten.