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Dieter Roth »Solo Szenen«
Dieter Roth, »Solo Szenen«, 1997 – 1998
© Dieter Roth
 


 
Dieter Roth »Solo Szenen«Dieter Roth »Solo Szenen«

Kategorien: Installation | Video

Schlagworte: Archiv | Überwachung


 

 Dieter Roth
»Solo Szenen«

Eine Videoinstallation (hier in der Galerie Hauser & Wirths, Zürich) mit 128 Videotapes, die in wechselnder Folge auf mindestens 40 Monitoren gezeigt werden. Die Videos zeigen Dieter Roth in seinem Alltagsleben und sind vom 7.3.1997 bis 28.4.98 in Bali, Island und verschiedenen Stellen von Basel entstanden. Die folgenden Stills zeigen eine Querschnitt daraus.


In den 25 Jahren, in denen ich fernsah, beunruhigten mich zusehends die Schauspieler und ihre Darstellung in Spielfilmen. Die meisten Szenen sollten offensichtlich so aussehen wie Szenen aus jedermanns Alltag. Aber sie zeigten nicht, was sie zeigen sollten. In diesen Filmen war derjenige ein guter Schauspieler, der sich in unwirklichen und phantastischen Geschichten normal und wie im täglichen Leben verhalten konnte. Oder es lief auf das Gegenteil hinaus: Man bediente sich eines phantastischen, enthusiastischen Spielstiles, um wenig aufregende Alltagsszenen darzustellen. Mit Dokumentarfilmen verhielt es sich ähnlich. Man suchte extreme Begebenheiten (und fand sie auch): Kriege und Katastrophen, was wirklich extreme Geschehnisse sind, wurden dargestellt, als passierten sie überall und jeden Tag.
Ich gab das Fernsehen auf, was schwierig war, da ich die Freiheit genoß, meine Zeit so zu verbringen, wie ich es am liebsten hatte (außer in Zeiten der Not). Oft saß ich tage- und wochenlang vor meinen Apparaten, und im Lauf Zeit begann ich, mehr und mehr zu leiden und mich angewidert zu fühlen. Manchmal, nach vielen Monaten unentwegter Sauferei, wenn ich keinen Schlaf mehr finden konnte – allenfalls eine einzige Stunde nach ein oder zwei Stunden des Wachseins –, konnte ich mir im Fernsehen keinen Film mehr anschauen (im Kino bin ich jahrelang nicht mehr gewesen), ohne zu schimpfen und zu schreien. Und doch mußte ich diese Spielfilme sehen.
Eine Möglichkeit, mit dem Trinken aufzuhören, war für mich immer, nach Island zu gehen und dort zu leben. Dort gewöhnte ich mir das Trinken ab, sobald ich, wie in den späten sechziger und siebziger Jahren, die meiste Zeit in einem Haus wohnte, das 5 bis 10 Autostunden (was von der Jahreszeit abhing) vom nächsten Spirituosenladen entfernt war. Heutzutage gibt es an allen möglichen Orten in Island Spirituosengeschäfte, hingegen schaffe ich es dort (meistens), keinen Alkohol anzurühren; zum einen durch meine nachhaltige Furcht vor dem Trinken, zum andern durch die Scham, die ich empfinde, wenn ich in Anwesenheit meiner Enkelkinder trinke. Die Kombination aus einem kranken Körper, der keinen Alkohol mehr verträgt, und einer Menge Enkelkinder, die es für unnatürlich halten, wenn ihr Großvater säuft, hilft mir, nüchtern zu bleiben. Wenn ich lange genug trocken bin (mehrere Monate), gelingt es mir wieder, mit Gegenständen wie Tonbandmaschinen und Videokameras zu arbeiten. Seit März '97 versuche ich, Filme zu drehen, die ich mir ausdachte, als ich mir die Spielfilme im Fernsehen ansah. Die nicht gerade aufregenden Gefühle und Tätigkeiten der ersten zehn Monate des Trockenseins nach einer langen Zeit der Trunksucht (2-3 Jahre) scheinen mir ein gutes Material für die gleichförmigen (weder über- noch untertrieben dargestellten) Filmszenen zu sein, die ich produzieren will.
Die Videofilme, die ich während eines Genesungsaufenthaltes in Island und seiner Fortsetzung in Basel gedreht habe, begann ich, aufzunehmen als »Solo Szenen«, da man die schwierige Zeit, mit dem Trinken aufzuhören, durchaus als Solozeit bezeichnen kann. Dennoch mußte ich nach einigen Monaten an 2 verschiedenen Orten in Island nach Basel reisen, um die Ausstellung in Marseille vorzubereiten. Und da Björn und seine Freunde nach einer Weile ebenfalls kamen, erhielt ich die Gelegenheit, ein paar lebhaftere Szenen aufzunehmen – wenigstens auf Polaroidfilm.
Die einsamen »Solo Szenen« indessen möchte ich nochmals ausprobieren: wenn die Ausstellung vorbei ist, und ich meine Tage wieder in Ruhe verbringe. Ohne solches Zeugs, das Eindruck machen soll. Allerdings mag die eindringliche Nichtheit, die ich suche, für mich nicht zu erreichen sein.
Dieter Roth